/ 04.06.2013

Konrad Adam
Die Republik dankt ab. Die Deutschen vor der europäischen Versuchung
Berlin: Alexander Fest Verlag 1998; 240 S.; geb., 39,80 DM; ISBN 3-8286-0037-9Der Autor, bekannter Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zeigt sich entsprechend dem pessimistischen Titel seiner zweiten Monographie als ein entschiedener, im Grunde erzliberaler Skeptiker. Die Europäische Union, ihr institutioneller Apparat und das oft diskutierte Demokratiedefizit dienen dem Autor als aktuelles Zugpferd für die generelle Kritik am politischen Betrieb. Parteien und Verwaltung, Lobbyisten und Experten besitzen danach zuviel Macht, und die Orientierung am Bürger bleibt auf der Strecke. Geradezu beängstigend erscheinen Adams Szenarien für die Zukunft Europas, die man in Brüssel besichtigen könne: Dort würden "die neuen Oligarchien, die Fachleute für Wirtschaft, Technik und Verwaltung dem Volk ein Beispiel dafür geben, was sie unter Effizienz verstehen. Die Lobbyisten der restlos freien Marktwirtschaft haben sich dort zu Hunderten, die Ministerialbeamten aus aller Herren Länder zu Tausenden niedergelassen" (83). Es drohten Korruption und Verschwendung, die Verfassung sei ein unleserliches Monstrum, das zudem erst durch einen kaum legitimierten Europäischen Gerichtshof mit Leben erfüllt werde (236, 67).
Parallel dazu beklagt Adam innerstaatlich den Machtverlust der Parlamente zugunsten der Parteien und der in alle Lebensbereiche eindringenden Verwaltung. Es würden darüber hinaus immer mehr und immer schlechtere Gesetze verabschiedet, Abgeordnete seien von Gruppeninteressen abhängige "Vertreterexistenzen" ohne Mut und Urteilskraft (59). Fraktionen seien zum Lehensbesitz der Parteien und die Parteien zu Außenstellen des Parlaments, zu "Fraktionsparteien" geworden. Es gehe den Parteien darum, sich – vor allem finanziell - weitgehend unabhängig von Wahlen und Wählern zu machen: "Die Summe der Fraktionsmittel hat die direkte Parteifinanzierung längst hinter sich gelassen." (60 f.)
Die unweigerlich aufkommende Frage nach alternativen Modellen oder gar konkreten Gegenvorschlägen stößt auf allgemein gefaßte und rückwärtsgewandte Antworten wie den "Rückzug des Staates aufs Wesentliche" oder die "Rückbesinnung auf den Sinn des Politischen". Nötig seien "Formen der Verweigerung, der Nötigung und des Aufbegehrens" – doch welche? Man benötige von jedem Bürger "ein offenes Bekenntnis dazu, daß so der Staat nicht aussieht, den man will" (233) – doch wie soll er aussehen? Adam äußert nicht nur keine neuen Kritikpunkte, er läßt zudem auch die Möglichkeit aus, neue konstruktive Vorschläge zu machen. Der Reiz des Buches besteht darin, daß sich der Autor in keine Schublade packen läßt, auch in keine parteipolitische. Er stimmt weder in die "Kampflieder" für den deutschen Sozialstaat noch in das wirtschaftsliberale "Marktgeschrei" ein. So wie er Gerhard Schröder ein programmatisches Vakuum bescheinigt, ist Helmut Kohl für ihn die Personifizierung des Aussitzens von Problemen, der Personalisierung aller Machtfragen und des fehlenden politischen Mutes.
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.2 | 2.35 | 2.37 | 2.331
Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Konrad Adam: Die Republik dankt ab. Berlin: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/5337-die-republik-dankt-ab_7005, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 7005
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M. A., Politikwissenschaftler.
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