/ 04.06.2013
Carl Böhret / Götz Konzendorf
Ko-Evolution von Gesellschaft und funktionalem Staat. Ein Beitrag zur Theorie der Politik
Opladen: Westdeutscher Verlag 1997; 267 S.; brosch., 38,- DM; ISBN 3-531-13093-5Das Buch erhebt den Anspruch, eine Theorie makrosozialer Zusammenhänge, insbesondere derjenigen zwischen Gesellschaft und ihren Subsystemen einerseits und dem Staat andererseits sowie deren Ko-Evolution zu formulieren. Diese Theorie wird entfaltet anhand von eingangs erläuterten "untersuchungsleitenden Hypothesen" (27 ff.), einer Bestandsaufnahme der bundesdeutschen "Systemgeschichte" (34-129) sowie der Diskussion gegenwärtiger Trends, die den Autoren zufolge anzeigen, daß sich Gesellschaft und Staat der Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg in die transindustrielle Gesellschaft befinden (121-145). Vor diesem Hintergrund werden die Aufgaben des funktionalen Staates in der Übergangsphase von der industriellen zur transindustriellen Gesellschaft skizziert (146-193), bevor Böhret/Konzendorf abschließend die Theorie der Ko-Evolution gesellschaftlicher Bereiche formulieren (194-238). Ein zentrales Ergebnis der Überlegungen besteht darin, daß eine wechselseitige Entwicklungsabhängigkeit der einzelnen gesellschaftlichen Teilsysteme aufgewiesen wird. Genau dies meint der Begriff der Ko-Evolution, den die Autoren auch als "Aneinander-Entwicklung" bezeichnen. Entscheidend ist nun, daß dysfunktionale Prozesse, die sich gegenwärtig nach Meinung Böhrets und Konzendorfs in verschiedenen Bereichen deutlich (etwa in der Massenarbeitslosigkeit) abzeichnen, vermieden werden müssen, wenn eine stabile Systemfortentwicklung gerade auch angesichts der vielbesprochenen Globalisierungsvorgänge ohne allzugroße Brüche stattfinden soll. Und die Botschaft der Autoren lautet, daß solche dysfunktionalen Entwicklungen auch tatsächlich vermieden werden können, nämlich durch den entwicklungssteuernden Staat, der allerdings die richtige Politik betreiben muß, nämlich eine Politik, die sich am besten von der Theorie der Ko-Evolution beraten läßt, denn die "erlaubt vorsichtige, sehr grobe Prognosen" (234) und kann immerhin feststellen, daß bestimmte Politiken (zu denen nicht die der gegenwärtigen Bundesregierung zu gehören scheint) entwicklungsfördernd im Sinne einer bruchlosen Erreichung der transindustriellen Gesellschaft sind. Entgegen einer heute zunehmenden Skepsis bezüglich der Steuerungsmöglichkeiten des Staates in der ausdifferenzierten Welt kommen die Autoren zu der Feststellung, daß der Staat die Richtung des Wandels entscheidend mitbestimme und zentraler Akteur bleibe: "Politische Führung und Verwaltung werden damit zu einem Zentrum für funktionale Zukunfts-Entwicklung, zu einer Entwicklungsagentur, die die demokratische Entwicklung fördert und den technologisch-ökonomischen Wandel mitbestimmt und sozial abfedert." (175)
Der Weg zu diesem Fazit ist sowohl in theoretischer wie in empirischer Hinsicht problematisch und provoziert tatsächlich die von den Autoren erwartete (18) Kritik. Hierin ist die Fruchtbarkeit des Buches zu sehen, das zahlreiche interessante Beobachtungen und theoretische Vorschläge enthält und das daher zur Lektüre all jenen empfohlen sei, die sich die Frage nach der Zukunft des Staates oder nach dem Charakter der gegenwärtigen Gesellschaft stellen. Ein Kritikpunkt sei abschließend noch erwähnt: Der Leser fragt sich angesichts der mehrfachen Betonung der auch praktischen Absichten und Konsequenzen der vorgelegten Theorie, die von vornherein auf eben diese "Praxis" angelegt zu sein scheint, ob hier nicht letztlich praktische Absichten den theoretischen Befund gesteuert haben und vieles nicht eher eine Argumentation pro domo darstellt, anstatt einer solchen, die nur der theoretischen Rechenschaftsfähigkeit verpflichtet ist. Angesichts vergleichbarer Theorieangebote, namentlich desjenigen Luhmanns (das von den Autoren zurückgewiesen wird), wird man dies kritisch diskutieren müssen.
Michael Henkel (MH)
Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.41 | 2.21 | 2.22 | 2.2
Empfohlene Zitierweise: Michael Henkel, Rezension zu: Carl Böhret / Götz Konzendorf: Ko-Evolution von Gesellschaft und funktionalem Staat. Opladen: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/5122-ko-evolution-von-gesellschaft-und-funktionalem-staat_6731, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 6731
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Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
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