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/ 17.06.2013
Fransisco Budi Hardiman

Die Herrschaft der Gleichen. Masse und totalitäre Herrschaft. Eine kritische Überprüfung der Texte von Georg Simmel, Hermann Broch, Elias Canetti und Hannah Arendt

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2001 (Europäische Hochschulschriften: Reihe XX, Philosophie 625); 256 S.; brosch., 40,39 €; ISBN 3-631-37929-3
Philosoph. Diss. München; Gutachter: N. Brieskorn, A. Ponsetto. - Mit dem wiederholten Verweis auf die "allgemeinmenschlichen Aspekte" (18) konstatiert der Autor, die von der Gewalt ausgehende Faszination stelle eine anthropologische Grundkonstante dar. In diesem Lichte erscheinen ihm Phänomene wie Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus historisch nur insofern als genuine Neuerungen des hochtechnisierten 20. Jahrhunderts, als "sich das Böse im Menschen nun durch neue Mittel vollziehe" (18). Prinzipiell sei totalitäre Herrschaft - auch jenseits des historischen Kontextes Italiens, Deutschlands oder Russlands im 20. Jahrhundert - "ein Element, das dem Denken, Empfinden und Handeln des Menschen innewohnt" (22). Hardimans Ansatz ist wesentlich erfahrungszentriert, Totalitarismus will er nicht als abstrakte Lehre, sondern als soziales Phänomen analysieren - daher fasst er sogar noch das Denken der von ihm exemplarisch zurate gezogenen jüdischen Autoren als primär durch deren Opferrolle geprägt auf. Genau besehen gilt sein Interesse vor allem den soziologischen und psychologischen Mechanismen, die die absolute Konzentration von Macht zu totalitärer Herrschaft überhaupt erst ermöglichen. Die Bedingung ihrer Möglichkeit vermutet er dort, "wo die menschliche Seele am brüchigsten ist" (26). Dazu will er in kritischer Überprüfung von Texten Simmels, Brochs, Canettis und Arendts einen Begriff der Masse und der für sie konstitutiven Idee der Gleichheit entwickeln - wobei seinem Denken prägend ein Verständnis von Massenpsychologie zugrunde liegt, in das Marx ebenso einfließt wie Le Bon. Diesem analytischen Teil (Kapitel 1 bis 4) folgt dann ein synthetischer (Kapitel 5 und 6), in dem die Ergebnisse des ersten zusammengefasst, weitergetrieben und zu einem politisch-ethischen Ansatz verdichtet werden sollen. Das Gedankengebäude, mit dem Hardiman das Denken der von ihm untersuchten Autoren überwölbt, ist jenen jedoch konzeptionell nicht gewachsen. Zur Verdeutlichung sei kurz die Hauptthese der Studie zitiert: "[R]ein logisch gedacht [...] kann es eine totale Gleichheit wie auch eine totale Herrschaft faktisch nicht geben. Könnten alle beherrscht und gleichgemacht werden, so würde die Loyalität bzw. der Gehorsam total und es gäbe keine Möglichkeit mehr, sich dem Herrscher zu widersetzen. In einer solchen Situation würde der beherrschte Teil seinen Wert für die Herrschaft verlieren, weil er keine Herausforderung für den Herrscher mehr bildet. Der Herrscher braucht deshalb Widersacher, und die Herrschaft ist nichts als ein Spiel mit der Gefahr." (34) Methodisch und in den Quellenangaben wirkt die Arbeit ähnlich schwammig und unbeholfen. Sie scheint in weitgehender Ermangelung der Einsicht geschrieben zu sein, die zwischen Gemeinplätzen und Theorien zu diskriminieren und die zitierten "Theorien" in ihrer Aktualität und Bedeutung relativ zueinander angemessen zu bewerten wüsste. Inhaltsübersicht: Vom Individuum zum Kollektiv. Simmel über die Genese der Masse: Masse, Herrschaft und Vernunftgesetze; Das Individuum und die Masse; Der "Mehrwert" des Individuums; Gleichheit und Gleichwertigkeit; Die vorherbestimmte soziale Harmonie. Das Grundmotiv der Vermassung. Die Überlegungen Brochs zum Massenwahn: Der Dämmerzustand; Die Vermassung und die Angst; Die Erscheinung des Massenwahns. Masse und Macht. Canettis Herrschaftsphänomenologie: Die Verwandlungsfähigkeit des Menschen; Die Berührungsfurcht und die Massenbildung; Der Machthaber und das Überleben. Wurzellosigkeit, Ideologie und Terror. Hannah Arendt über totalitäre Massenbeherrschung: Die Sinnverschiebung des sozialen Ganzen; Die Wurzellosigkeit: Krise der politischen Gemeinschaft; Die Ideologie und die Massenbeherrschung; Der Terror: das Wesen der totalitären Herrschaft. Die Herrschaft der Gleichen. Von der Vorstellung zur Struktur. Eine Synopse: Die Vorstellung: Angleichen, Unterscheiden und Sich-Einordnen; Das Motiv: die Angst und die Vermassung; Das Handeln: Distanz und Nähe, Macht und Überleben; Die Struktur: die Massengesellschaft und die Ordnung der Gleichen. Die Entmassung. Politisch-ethische Überlegungen: Die Gemeinschaft und die Entmassung; Die Erziehung zur Mündigkeit: Selbstbehauptung, Solidarität und Toleranz; Von der "Masse" zur "Zivilgesellschaft"; Die Rolle der Eliten.
Thomas Nitzsche (TN)
M. A., Fachreferent für Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek in Jena (ThULB).
Rubrizierung: 5.425.46 Empfohlene Zitierweise: Thomas Nitzsche, Rezension zu: Fransisco Budi Hardiman: Die Herrschaft der Gleichen. Frankfurt a. M. u. a.: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/15777-die-herrschaft-der-gleichen_17999, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 17999 Rezension drucken
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