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/ 03.06.2013
Carl Schmitt

Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916 - 1969. Hrsg., mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Günter Maschke

Berlin: Duncker & Humblot 1995; XXVII, 668 S.; 198,- DM; ISBN 3-428-07471-8
An Carl Schmitt scheiden sich heute die Geister nicht minder als je zuvor, aber Freund und Feind (um es schmittianisch auszudrücken) werden es begrüßen, daß jetzt endlich eine zentrale, lange Jahre erwartete Ausgabe von wichtigen, sonst oft nicht einfach zugänglichen Aufsätzen Schmitts erschienen ist. Der Titel gibt nicht nur die Bandbreite des Inhalts wieder, er soll zugleich die Entwicklung von Schmitts Denken kennzeichnen. Die äußere Aufmachung des Bandes ist vorbildlich; der Verlag wußte, was er einem seiner Renommierautoren schuldig ist. Die Edition ist mit Liebe und Sachverstand von Günter Maschke, einem der entschiedensten Anhänger Schmitts, besorgt worden. Jeder Aufsatz ist von ausführlichen "Anmerkungen des Herausgebers" begleitet, in denen Maschke weiterführende Literatur angibt, zeitgenössische und spätere Diskussionen aufgreift und Anspielungen und Anregungen Schmitts für den heutigen Leser aufschlüsselt. Den "Anmerkungen" schließt sich jeweils ein "Anhang des Herausgebers" an, der nicht minder aufschlußreiche Informationen über Anlaß, Umfeld und Aufnahme der einzelnen Schmitt-Aufsätze enthält. Bis hierher also ist die vorgelegte Arbeit uneingeschränkt empfehlenswert. Doch leider hat Maschke auch noch ein knappes Vorwort geschrieben, und dieses Vorwort ist schlichtweg indiskutabel. Die Selbstverständlichkeit, mit der Maschke die Alliierten des Zweiten Weltkrieges als "Feindmächte" (XIX) oder "Feindseite" (XIX, XXI) tituliert, mag ja eine Übernahme Schmittscher Kategorien sein. Aber auch dann hätte man sie kennzeichnen müssen. Was soll man mit dem Lob für Schmitts "waches Bewußtsein vom Vorsprung der Feindseite im geistigen und wissenschaftlichen Präpariertsein auf den totalen Krieg" (XIX) anfangen? Was soll die Bezeichnung "Präventivkrieg" (XXV) als mögliche Interpretation für den Überfall auf die Sowjetunion? Was die beständige Denunziation der "Ergebnisse des 1945 triumphierenden Universalismus" (XXV) im Völkerrecht, gegen den die Großraumtheorie positiv in den Kampf geführt wird, auch wenn Maschke in den differenzierteren Passagen seines Vorwortes auf die Defizite dieses Ansatzes durchaus eingeht? Hier ist auch der apologetische Impetus des Vorwortes zu finden: Es geht Maschke anscheinend um eine Distanzierung Schmitts vom Nationalsozialismus, auch wenn man "freilich behaupten [darf], daß eine 1933 unter zahlreichen Vorbehalten gegebene Zustimmung zum Nationalsozialismus weniger erklärungsbedürftig ist, als eine sofortige, massive Ablehnung" (XVIII). Sic! Dementsprechend gestaltet sich auch das Bild Schmitts in der Weimarer Republik für Maschke als "ein loyaler Jurist, der durch Ausschöpfung aller vorhandenen Mittel zu retten versuchte, was zu retten war. Würde Schmitt dem Bilde entsprechen, das heute so gerne von ihm gezeichnet wird, so hätte er die Republik schon kurz nach ihrer Geburt bekämpfen müssen: die Illegalität der Entstehung ihrer Verfassung und die Unterschrift unter das Versailler Diktat hätten ihm dabei ein gutes Gewissen verschaffen können" (XVII). Abgesehen davon, daß Schmitt ja nun gerade kein Positivist war - Illegalität der Reichsverfassung? Maschke gibt exakt einen Beleg dafür, nämlich ein Buch des Juristen Axel von Freytag-Loringhoven von 1924. Maschke verschweigt, daß sein Belegautor DNVP-Mitbegründer und Reichstagsabgeordneter war, völkisch-nationalistischer Antisemit und Mitbeteiligter an der "Machtergreifung". Belege dieser Art geben dem heutigen Leser zu denken. Was bleibt damit als Fazit? Das Vorwort kann die gründliche Editionsarbeit nicht im Werte schmälern. Aber gerade diese Edition hätte ein adäquates Vorwort verdient, nicht eine blanke Apologie. Inhalt: Günter Maschke: Vorwort (XIII-XXVII). I. Verfassung und Diktatur: 1. Diktatur und Belagerungszustand. Eine staatsrechtliche Studie (1916); 2. Reichspräsident und Weimarer Verfassung (1925); 3. Diktatur (1926); 4. Das Ausführungsgesetz zu Art. 48 (sog. Diktaturgesetz) (1926); 5. Der bürgerliche Rechtsstaat (1928); 6. Konstruktive Verfassungsprobleme (1932); 7. Starker Staat und gesunde Wirtschaft (1932). II. Politik und Idee: 8. Absolutismus (1926); 9. Macchiavelli. Zum 22. Juni 1927 (1927); 10. Der Rechtsstaat (1935); 11. Was bedeutet der Streit um den "Rechtsstaat"? (1935); 12. Politik (1936); 13. Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes (1937); 14. Dreihundert Jahre Leviathan (1951); 15. Die Stellung Lorenz von Steins in der Geschichte des 19. Jahrhunderts (1940); 16. Das "Allgemeine Deutsche Staatsrecht" als Beispiel rechtswissenschaftlicher Systembildung (1940); 17. Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten (1942); 18. Amnestie oder die Kraft des Vergessens (1949). III. Großraum und Völkerrecht: 19. Führung und Hegemonie (1939); 20. Raum und Großraum im Völkerrecht (1940); 21. Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht (Text der 4. Aufl., 1941); 22. Die Auflösung der europäischen Ordnung im "International Law" (1890-1939) (1940); 23. Die Raumrevolution. Durch den totalen Krieg zu einem totalen Frieden (1940); 24. Das Meer gegen das Land (1941); 25. Staatliche Souveränität und freies Meer. Über den Gegensatz von Land und See im Völkerrecht der Neuzeit (1941); 26. Beschleuniger wider Willen oder: Problematik der westlichen Hemisphäre (1942); 27. Die letzte globale Linie (1943); 28. Antwort an Kempner (1947); 29. Maritime Weltpolitik (1949). IV. Um den Nomos der Erde: 30. Illyrien - Notizen von einer dalmatinischen Reise (1925); 31. Raum und Rom - Zur Phonetik des Wortes Raum (1951); 32. Die Einheit der Welt (1952); 33. Welt großartigster Spannung (1954); 34. Der neue Nomos der Erde (1955); 35. Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift: "Der Gordische Knoten" (1955); 36. Gespräch über den Neuen Raum (1955/58); 37. Nomos - Nahme - Name (1959); 38. Die Ordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg (1962); 39. Gespräch über den Partisanen - Carl Schmitt und Joachim Schickel (1969).
Michael Dreyer (MD)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.42.24.1 Empfohlene Zitierweise: Michael Dreyer, Rezension zu: Carl Schmitt: Staat, Großraum, Nomos. Berlin: 1995, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/834-staat-grossraum-nomos_700, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 700 Rezension drucken
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