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/ 28.11.2013
Horst Dreier

Bioethik. Politik und Verfassung

Tübingen: Mohr Siebeck 2013; X, 107 S.; brosch., 24,- €; ISBN 978-3-16-152608-4
Dass die bioethischen Diskussionen um die Forschung an überzähligen Embryonen oder Stammzellen sowie zur Zulässigkeit von PID und des therapeutischen Klonens sowohl politisch hochumstritten als auch weltanschaulich stark aufgeladen sind, ist hinlänglich bekannt. Der Würzburger Rechtsphilosoph und Staatsrechtler Horst Dreier unternimmt in diesem Zusammenhang den Versuch, „einige wichtige Eckpunkte rechtsgrundsätzlicher und verfassungsrechtlicher Art“ (3) zu fixieren. Dazu steckt er zunächst mit der nicht nur faktisch vorhandenen, sondern auch normativ unterfangenen gesellschaftlichen Pluralität, mit der demokratischen Mehrheitsentscheidung, mit der ethischen Neutralität des Staates und mit dem Vorrang der Verfassung den verfassungstheoretischen Rahmen ab, innerhalb dessen sich der Spielraum des Gesetzgebers bewegt. Danach werden die für die bioethische Debatte grundlegenden verfassungsrechtlichen Schutzgüter abgeklopft: Menschenwürde, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie Forschungsfreiheit – mit dem Ergebnis, dass diese Vorgaben zu keinem kategorischen Verbot der in Frage stehenden Praktiken zwingen. Bei der folgenden Analyse der einfachgesetzlichen Regelungen (Paragraph 218a ff. StGB, Embryonenschutzgesetz, Stammzellgesetz) konzediert Dreier aber einen „eklatanten Wertungswiderspruch“ (84): „Während die befruchtete Eizelle in vivo bis zur Einnistung in die Gebärmutter überhaupt keinen rechtlichen Schutz genießt, wird sie in der gleichen Phase in vitro von einem engen Geflecht strafrechtlicher Normen umgeben.“ (67) Allerdings seien diese Wertungswidersprüche nicht als Verfassungsverstoß einzuordnen. Ein an den Gesetzgeber unter Hinweis auf ein Rationalitätsideal gerichtetes Kohärenzgebot gebe es insofern nicht, als das Grundgesetz lediglich Grundlage und Ordnungsrahmen eines offenen politischen Prozesses sei, der qua demokratischer Mehrheitsentscheidung „einen unhintergehbar voluntaristischen Kern“ (72) aufweise. Kompromisse und ein gewisses Maß an Wertungssprüngen seien daher programmiert. Das sei „das Irrationalitätsprivileg der Politik“ (81).
Nikolai Münch (NM)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Forschungszentrum Laboratorium Aufklärung, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.445.41 Empfohlene Zitierweise: Nikolai Münch, Rezension zu: Horst Dreier: Bioethik. Tübingen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36459-bioethik_44603, veröffentlicht am 28.11.2013. Buch-Nr.: 44603 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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