„Sozialistische Forderungen konnten nicht vor der politischen Demokratie, nicht ohne persönliche und politische Freiheiten verwirklicht werden, weil der Versuch, den Sozialismus vor der Freiheit zu schaffen, zwangsläufig im Gulag enden musste“ (39), erklärt der Historiker Matthias Oppermann die Einsicht, die für die ideologische Wandlung des Sozialdemokraten Ernst Reuter zum Kämpfer für die Freiheit verantwortlich war. In dem kurzen Essay über die politischen Gedanken und Veränderungen im Denken Reuters versucht Oppermann, ein zeitgeschichtliches Porträt des Politikers, der in der Nachkriegszeit Regierender Bürgermeister von Berlin war, zu zeichnen. Dabei erinnert der Schreibstil allerdings eher an einen Roman denn an eine wissenschaftliche Abhandlung. Stellenweise argumentiert der Verfasser allerdings rein normativ und scheint Reuter posthum Motive zu unterstellen, die leider nicht wissenschaftlich begründet werden. So werden Reuter geistige Entwicklungen attestiert, die die deutsche Sozialdemokratie erst sehr viel später erreichen sollte. Auch wie genau der Kompromiss aus Freiheit und Sozialismus bei (dem jungen) Reuter ausgesehen habe, bleibt im Verborgenen. Außerdem mangelt es dem Werk an einem roten Faden, verschiedene Einschübe wie beispielsweise über den Begriff des Neoliberalismus in Deutschland sorgen eher für Unklarheit als für Stringenz. Insgesamt kommt dabei die tatsächliche Biografie zu kurz und die entscheidenden Wendepunkte in Ernst Reuters Leben sind auch nach der Lektüre nicht eindeutiger. Gerade die wichtige Zeit während des Zweiten Weltkriegs oder sein gesamtes politisches Wirken werden nur unzureichend thematisiert. Zusammenfassend liest sich das Büchlein sehr leicht, der Erkenntnisgewinn bleibt aber gering.