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Stefan Malthaner / Peter Waldmann (Hrsg.)
Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen
Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2012 (Mikropolitik der Gewalt 6); 390 S.; 34,90 €; ISBN 978-3-593-39599-9Die soziale Bedingtheit radikaler Politik steht im Mittelpunkt der elf zum Teil ausgezeichneten Beiträge. Analysiert werden damit die Voraussetzungen terroristischer Gruppen, deren Charaktermerkmal die Klandestinität ist, aus der heraus durch planmäßige Gewalt Angst und Schrecken und in der Folge eine politische Veränderung hervorgerufen werden soll. So unterschiedlich die konkreten normativen Aspekte dieser Milieus sind, weil sie unterschiedlichen religiösen, kulturellen und sozioökonomischen Figurationen entspringen, so klar wird doch in den Untersuchungen, welchen Einfluss sie auf die terroristischen Gruppen ausüben. So begründet zum Beispiel Gisela Diewald‑Kerkmann, wie die soziale Isolation zur Radikalisierung der späteren RAF‑Generationen, aber letztlich auch zu ihrem Ende beigetragen hat, während Jesús Casquete nachvollziehbar zeigt, wie die Erinnerungskultur im Baskenland die Verwobenheit der ETA‑Kämpfer mit einem breiten Unterstützer‑ (und letztlich auch Rekrutierungs‑)Milieu reproduziert. Für Stefan Malthaner und Klaus Hummel bietet die Analyse des radikalen Milieus ein Scharnier, über das auch der Zugang zu weiter ausgreifenden Netzwerken gefunden werden kann: Obwohl beispielsweise die Mitglieder der Sauerland‑Zelle nicht direkt verfolgt wurden, radikalisierten sie sich aufgrund einer gespiegelten, also stellvertretend für andere Jihadisten erfahrenen Verfolgung. Dieser Zusammenhang verweist logisch auf die Kommunikationsmittel radikaler Milieus, wobei insbesondere im jihadistischen Spektrum das Internet zentral ist. Dort werden gleichwohl kritische Diskussionen über Gewaltstrategien geführt, wie Maura Conway erläutert: „Das Online‑Milieu des gewaltsamen Jihad ist – trotz intensiver Bemühungen einiger – nicht im Besitz und steht nicht unter der Kontrolle einer einzelnen Gruppe, sondern umfasst eine Vielfalt an sich überschneidenden und manchmal auch im Widerstreit stehenden Online‑Räumen und Stimmen, die es erst zu einem Milieu machen“ (291). So verdienstvoll die Einführung einer Kategorie der radikalen Milieus ist, so sehr zeigt sie aber auch die Grenzen der Zuordnung von gewaltaffinen Gruppen zum Terrorismus auf. Die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sind beispielsweise mit dieser Definition von „Angst zu verbreiten und Aufmerksamkeit zu erregen“ (11) nicht zu erfassen, obwohl auch dieser über sein spezifisches Milieu verfügte. Dieser weitere Forschungsbedarf schmälert selbstverständlich das Potenzial und das Verdienst dieses Entwurfs in keiner Weise.
Florian Peter Kühn (KÜ)
Dr., M. P. S., wiss. Mitarbeiter, Institut für Internationale Politik, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
Rubrizierung: 2.25 | 2.37 | 2.313 | 2.61
Empfohlene Zitierweise: Florian Peter Kühn, Rezension zu: Stefan Malthaner / Peter Waldmann (Hrsg.): Radikale Milieus. Frankfurt a. M./New York: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35877-radikale-milieus_42568, veröffentlicht am 27.06.2013.
Buch-Nr.: 42568
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Dr., M. P. S., wiss. Mitarbeiter, Institut für Internationale Politik, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
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