/ 03.06.2013
Jürgen Wolters
Der Fraktions-Status. Eine verfassungsrechtliche Neubestimmung
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1996 (Parlamentsrechtliche Studien 1); 275 S.; brosch., 69,- DM; ISBN 3-7890-4452-0Rechtswiss. Diss. Frankfurt a. M.; Erstgutachter: H. Meyer. – Wolters untersucht ausführlich den rechtlichen Status und die politische Organisation der Fraktionen, überwiegend am Beispiel des Bundestages. Die Arbeit hat aufgrund ihrer übersichtlichen Gliederung und der aufgearbeiteten Literatur streckenweise den Charakter eines Lehrbuchs. Es sind jedoch auch die umstrittenen juristischen Fragen enthalten, die den rechtlichen Status der Fraktionen, die Geschäftsordnung des Bundestages und das damit zusammenhängende Thema Fraktionsfinanzierung betreffen.
Der Autor bemängelt die "außerordentlich traditionsverhaftete Qualifizierung der Fraktionen" durch das Bundesverfassungsgericht und durch andere Autoren, z. B. Wolfgang Demmler (Der Abgeordnete im Parlament der Fraktionen, Berlin 1994: 225). Wolters sieht die Fraktionen nicht bloß der organisatorischen Gründungsfreiheit der Abgeordneten unterstellt, sondern reklamiert einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Fraktionsbegriff. Dieser beruht darauf, daß die in Art. 21 GG positivierte Mitvertretung des Volkes durch die Parteien auch für die Fraktionen in Anspruch genommen wird – eine Argumentation, die das BVerfG zwar selbst entwickelt, aber nie konkretisiert hat (227). Zudem erkennt der Autor eine Reihe von verfassungsrechtlich begründeten Kompetenzen für die Fraktionen, die mit den ebenso verfassungsrechtlich verankerten Rechten der Abgeordneten in einem Konkurrenzverhältnis stehen (245).
Ein weiterer Schwerpunkt umkreist Status und Funktion der Geschäftsordnung des Bundestages sowie der Fraktionsgesetze, die seit den 90er Jahren in verschiedenen Bundesländern und im Bund eingeführt wurden. Für Wolters hat die Geschäftsordnung zwar Gesetzesrang, aber ihr besonderer Status birgt entscheidende Vorteile für den Bundestag, denn durch die verfassungsrechtlich festgelegte Geschäftsordnungskompetenz bleibt der Bundestag sein eigener Normgeber. Die Fraktionsgesetzgebung geht über den Bereich des parlamentarischen Binnenrechts hinaus und beinhaltet Normen, die die Außenbeziehungen betreffen; faktisch sind die Fraktionsgesetze Fraktionsfinanzierungsgesetze (153).
Im Gegensatz zu Wolters nachvollziehbarer und gut begründeter verfassungsrechtlicher "Neubestimmung" (Untertitel) des Fraktionsstatus stehen einzelne Aussagen, mit denen der Autor das juristische Ufer verläßt und politikwissenschaftliches Eis betritt. Daß z. B. die Fraktion das eigentliche Machtzentrum der Partei sei und nicht nur ihr verlängerter Arm (111), paßt zwar zu Wolters verfassungsrechtlicher Verortung der Fraktionen, ist aber durchaus geeignet, Widerspruch auszulösen. Des weiteren erscheint der dritte Teil mit den schon oft zusammengetragenen Ausführungen über die Grundfesten der parlamentarischen Demokratie verzichtbar, zumal oft ein konkreter Zusammenhang zum Untersuchungsgegenstand Fraktion fehlt.
Aus dem Inhalt: 1. Bedingungen der normativen Erfassung der Fraktionen: A. Fraktionen und politische Organisation: I. Historische Entwicklung; II. Die Parteien als Mittler der politischen Homogenität der Fraktionen; III. Die politische Organisation des Parlaments; IV. Organisation und Willensbildung; B. Apparate und Finanzen. 2. Fraktionsgesetzgebung: A. Hintergrund und Zuverlässigkeit des legislativen Zugriffs: I. Konzertierte Gesetzgebung; II. Fraktionsgesetze als Fraktionsfinanzierungsgesetze; III. Fraktionsgesetzgebung und Geschäftsordnungsvorbehalt; B. Fraktionsgesetzgebung zwischen finanzieller Transparenz und legislativer Emanzipation: I. Rechtliche Verselbständigung der Fraktionen; II. Finanzierung und Finanzkontrolle. 3. Fraktion und Volksvertretung: A. Das demokratische Prinzip des Grundgesetzes; B. Stellung und Funktion des Parlaments; C. Die Stellung der politischen Parteien im Repräsentativsystem; D. Wahlakt und Wahlsystem; E. Das "freie Mandat". 4. Konsequenzen: A. Fraktionen und Verfassungsrecht; B. Fraktionsbildung und Fraktionsstatus; C. Andere Zusammenschlüsse; D. Fraktionsaustritt, -ausschluß und -wechsel; E. Fraktionsaufgaben und Fraktionsrechte; F. Die Partei, der Abgeordnete und die Fraktion; G. "Rechtsstellung". Thesenartige Zusammenfassung.
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.321 | 2.331 | 2.32
Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Jürgen Wolters: Der Fraktions-Status. Baden-Baden: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2947-der-fraktions-status_3861, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 3861
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M. A., Politikwissenschaftler.
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