/ 05.06.2013
Danilo Zolo
Die demokratische Fürstenherrschaft. Für eine realistische Theorie der Politik. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn
Göttingen: Steidl 1998; 256 S.; 19,80 DM; ISBN 3-88243-601-8Die "Aussichten der einfachen Erhaltung (nicht der Entwicklung) der demokratischen Institutionen in den postindustriellen Ländern [erscheinen] äußerst ungewiß" (215); als Ursachen hierfür lassen sich die Bevölkerungsexplosion, das ökonomische Ungleichgewicht, gigantische Migrationsbewegungen, dauernde militärische Gefahren und die unaufhaltsame Ausweitung des Terrorismus anführen. Daher erscheinen weder der "Optimismus" (Hayek, Popper) noch die "aufklärerische und moralische Hartnäckigkeit" (Habermas) der Situation angemessen. Vielmehr ist zu befürchten, "daß der Untergang des Sozialismus, das Ende seiner epochalen Perspektive auf die Überwindung des Kapitalismus und des repräsentativen Formalismus, statt die liberaldemokratischen und sozialdemokratischen Ideale wieder mit Kraft zu erfüllen, sie in diese Art demokratischer Melancholie mitreißt, in diese Verflechtung von Apathie, Gier und konsumistischer Frustration" (216). Zolo empfiehlt statt dessen seine "realistische Alternative zur politischen Wissenschaft auch zum neokantischen Moralismus als Überwindung der klassischen und neoklassischen Demokratielehre". Indem sie insbesondere die Vorstellung einer repräsentativen Demokratie für obsolet erklärt, verzichtet sie auf die Definition von öffentlichen Ethiken. Politik soll "wieder in ihre weltlichen Funktionen einer Organisation für Sonderinteressen, für Konfliktvermittlung, für Sicherheitsgarantie und für den Schutz bürgerlicher Freiheiten eingesetzt werden" (217), wobei "Angstverminderung" als zentrale Funktion aufgefaßt wird: "Folglich wird das Verhältnis zwischen der von den Machtinstitutionen gelieferten Sicherheitsleistungen und der zunehmenden Differenzierung der modernen Gesellschaft zum zentralen Thema der politischen Philosophie." (218) Da die demokratischen Systeme "im eigentlichen Sinne differenzierte und begrenzte Autokratiesysteme", also "liberale Oligarchien" darstellen, "ist die Erhaltung der gesellschaftlichen Komplexität gegenüber der funktionellen Hegemonie eines bestimmten Systems - des produzierenden, des wissenschaftlich-technologischen, des religiösen, des gewerkschaftlichen und vor allem des politischen Subsystems - das Versprechen, das die Demokratie erfüllen muß, wenn sie sich nicht nur rein [in] formellen Begriffen von den despotischen oder totalitären Systemen unterscheiden will." (219)
Inhalt: I. Allgemeine Standpunkte: 1. Komplexität; 2. Gesellschaftliche Komplexität; 3. Epistemologische Komplexität; 4. Zunehmende Komplexität. II. Eine realistische Theorie der Politik: 1. Die ökonomischen Theorien der Demokratie; 2. Die empirische Demokratietheorie und das Dilemma der Politischen Wissenschaft; 3. Eine kantische Version der Fabel des Menenius Agrippa; 4. Politik als selektives Regulativ gesellschaftlicher Risiken. III. Gesellschaftliche Komplexität und Demokratietheorie: 1. Angst und Demokratie; 2. Die klassische Lehre von der Demokratie; 3. Der Mythos der Repräsentation als Anpassung; 4. Die neoklassische Lehre von der Demokratie. IV. Die evolutiven Risiken der Demokratie: 1. Nicht eingehaltene Versprechungen und unvorhergesehene Schwierigkeiten; 2. Polyarchie und gesellschaftliche Komplexität; 3. Die Selbstreferenz des Parteiensystems; 4. Die Inflation der Macht; 5. Die Neutralisierung des Konsenses. V. Die multimediale Fürstenherrschaft: 1. Die Souveränität des politischen Konsumenten; 2. Die langfristigen politischen Auswirkungen; 3. Asymmetrie, Selektivität, Nicht-Interaktion; 4. Teledemokratie; 5. Narkotisierung und politisches Schweigen.
Heinz-Werner Höffken (Hö)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
Rubrizierung: 5.41 | 2.21
Empfohlene Zitierweise: Heinz-Werner Höffken, Rezension zu: Danilo Zolo: Die demokratische Fürstenherrschaft. Göttingen: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/7478-die-demokratische-fuerstenherrschaft_9963, veröffentlicht am 25.06.2007.
Buch-Nr.: 9963
Rezension drucken
Dr., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
CC-BY-NC-SA