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/ 03.06.2013
Horst Dreier (Hrsg.)

Grundgesetz. Kommentar. Band I: Artikel 1 - 19. Bearbeitet von Hartmut Bauer, Horst Dreier, Rolf Gröschner, Georg Hermes, Werner Heun, Gertrude Lübbe-Wolff, Martin Morlok, Ingolf Pernice, Helmuth Schulze-Fielitz, Rupert Stettner, Joachim Wieland

Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1996; XXVII, 1.219 S.; 248,- DM; ISBN 3-16-146635-7
Auf den ersten Blick scheint keine Notwendigkeit für einen weiteren Kommentar des Grundgesetzes zu bestehen. Die Palette an vorhandenen Angeboten reicht von Werken, die eine erste schnelle Orientierung bieten (z. B. Jarass / Pieroth), bis zum elf Sammelordner umfassenden Bonner Kommentar. Welche Lücke kann also der neue schließen? Der erste Band des dreibändig konzipierten Kommentars hat die Grundrechte der Artikel 1 bis 19 GG zum Gegenstand und läßt sich in seinem Umfang und der Tiefe der Bearbeitung einerseits mit dem quasi offiziösen Maunz / Dürig, andererseits mit dem Alternativkommentar vergleichen. In der Art der Darstellung sowie in der Grundkonzeption liegen gleichwohl beachtliche Unterschiede: Der Maunz / Dürig diente u. a. als Forum für diejenige Generation deutscher Staatsrechtslehrer, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine umfassende Systematisierung des geltenden Verfassungsrechts anstrebte. Gegenüber dieser Darstellung der "herrschenden", häufig als konservativ bezeichneten Auffassung nimmt der Alternativkommentar stärker eine sozialkritische und -theoretische Perspektive ein. Der von Dreier herausgegebene Kommentar teilt den Anspruch beider, über den bloßen Stand der Literatur und Rechtsprechung hinauszuführen – hin zu einer geschlossenen Kommentierung des Grundgesetzes. Diese wird jedoch auf einer erweiterten Grundlage ausgeführt, die zum einen die fortschreitende europäische und internationale Verflechtung Deutschlands einbezieht, zum anderen die Grundgesetzänderungen vor und im Zuge der Wiedervereinigung verfassungstheoretisch und -dogmatisch zu erfassen versucht. Eingebunden ist die Konzeption in eine Darstellungsform, die mit Hilfe eines der jeweiligen Bearbeitung der verschiedenen Normen vorgegebenen Schemas eine homogene Gesamtdarstellung anstrebt: Im Abschnitt "A. Herkunft, Entstehung und Entwicklung" werden – verglichen mit anderen Kommentaren – ausführlich die für die spezifisch deutsche Herausbildung der verschiedenen Verfassungsnormen relevanten ideen- und verfassungsgeschichtlichen Hintergründe des altlantisch-europäischen Kulturkreises vorgestellt, denen sich unter "B. [die] [i]nternationale[n], supranationale[n] und rechtsvergleichende[n] Bezüge" anschließen. Den gleich dem gesamten Aufbau sehr einheitlich gegliederten Hauptteil C stellen die "Erläuterungen" des Schutzgutes und seines Schutzbereichs, des Abwehrcharakters und der objektiv-rechtlichen Gehalte dar. Den Abschluß unter D bilden Bemerkungen über die untersuchte Norm im "Verhältnis zu anderen GG-Bestimmungen". Der erste Band hinterläßt den Eindruck, daß in absehbarer Zeit ein zeitgemäßer Kommentar vorliegen wird. Zeitgemäß insofern, als die konzeptionelle Schwerpunktbildung den Fragen nach internationaler Kompatibilität und Eigenheit des deutschen Verfassungsrechts und nach seiner normativen Reichweite im Rahmen eines gewandelten und sich wandelnden Staats- und Gesellschaftsverständnisses Rechnung trägt. Es ist nicht auszuschließen, daß der von Dreier herausgegebene Kommentar Ende der neunziger Jahre den Status einnehmen wird, den der Maunz / Dürig bislang innegehabt hat. Das ist um so wahrscheinlicher, als Dürigs Bearbeitung der in Artikel 2 GG garantierten Freiheitsrechte demnächst ihr vierzigjähriges Jubiläum feiern wird.
Oliver Lembcke (OL)
Dr., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.322.3 Empfohlene Zitierweise: Oliver Lembcke, Rezension zu: Horst Dreier (Hrsg.): Grundgesetz. Tübingen: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/3128-grundgesetz_4111, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 4111 Rezension drucken
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