/ 22.06.2013
Ulrike Herrmann
Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht
Frankfurt a. M.: Westend Verlag 2010; 223 S.; brosch., 16,95 €; ISBN 978-3-938060-45-2Die Autorin befasst sich mit dem Phänomen der schrumpfenden deutschen Mittelschicht. Obwohl die Schere zwischen den Einkommen immer weiter zunehme, bleibe der Protest aus, stellt sie eingangs fest. Die rot-grüne Bundesregierung habe gar den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt, obwohl dies nur den oberen Einkommen zugutegekommen sei und zudem eine Erhöhung der Sozialabgaben zugelassen, was alle Arbeitnehmer belastet habe. Herrmann erklärt dies mit einem Irrtum in der Selbstwahrnehmung der Mittelschicht, in der diese noch durch Lobbyisten unterstützt würde: „Wenn Lobbyisten Steuersenkungen für die Reichen durchbringen wollen, dann müssen sie der Mittelschicht das Gefühl geben, dass sie ebenfalls zu Elite gehört“ (11). Dies muss um so mehr wundern, ergänzt die Autorin, als ein Single mit 1000 bis 2200 und ein Ehepaar mit 2100 bis 4600 Euro netto zur Mittelschicht gerechnet werde. Darüber beginne bereits die Oberschicht oder eben Elite, so Herrmann. Sie identifiziert drei Mechanismen, die dazu führen, dass die Mittelschicht mit ihrem Einkommen der Elite dient. Die Reichen würden ihren Reichtum erstens derart gekonnt verschleiern, dass es über deren tatsächliche Vermögen nur Spekulationen gebe. Zweitens nehme die Mittelschicht den Abstand zur Elite nicht wirklich wahr und bliebe zudem in einem naiven Aufstiegsglauben befangen – wie am Boom der Privatschulen zu sehen sei. Und zuletzt überschätze die Mittelschicht ihren Status, weil sie ihre Kraft darauf konzentriere, sich von der Unterschicht abzugrenzen. Die Autorin nennt viele Beispiele aus der Politik, um ihre Thesen zu belegen. So erläutert sie beispielsweise, dass es sich ihrer Ansicht nach beim Solidarprinzip der Krankenversicherung um eine Art von getarnter zweckgebundener Steuer handele. Sie sei eben keine Versicherung, da die Beiträge sich nicht nach dem eigenen Risiko richteten, sondern nach dem Einkommen, aber alle Leistungen seien dennoch gleich. Insofern sei „es eigentlich konsequent, gleich Sozialsteuern zu erheben, die dann für alle gelten und progressiv gestaltet sind“ (172).
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3 | 2.331 | 2.35
Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Ulrike Herrmann: Hurra, wir dürfen zahlen. Frankfurt a. M.: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/32272-hurra-wir-duerfen-zahlen_38509, veröffentlicht am 02.06.2010.
Buch-Nr.: 38509
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Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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