/ 04.06.2013
Heinrich Bußhoff
Politische Argumentation. Überlegungen zu einer Argumentationstheorie der Politik
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1997; 208 S.; brosch., 68,- DM; ISBN 3-7890-4986-7Bußhoff will Status, Struktur und Funktion von Argumenten und Argumentationen in der Politik klären. Er versucht, in Anschluß an Stephen Toulmin, einen Ansatz für eine Argumentationstheorie zu finden, die über bisherige Studien politischer Rhetorik hinausgeht. Bußhoffs Übertragung von Toulmins Argumentationsschema auf den Bereich der politischen Argumentation ist zeitweilig interessant, oft aber auch schwer zugänglich, weil der Leser begrifflich und durch Abkürzungen in eine Spezialsprache gezwungen wird.
Die grundlegende Annahme lautet, daß Argumentationen zur Rechtfertigung von Behauptungen trotz ihrer inhaltlichen Unterschiede grundsätzlich gleiche Formen annehmen. Bußhoff fragt daraufhin mit Robert Alexy bzw. Toulmin, ob sich Standards bei den Argumentationen feststellen lassen, die man als Bewertungskriterien für die Qualität politischer Argumentation einsetzen kann (115). Die Darstellung der verschiedenen Kommunikations- und Argumentationsformen und -stile nimmt infolgedessen großen Raum ein und führt u. a. zu generellen Aussagen, die weitgehend unstrittig sein dürften: z. B., daß es in der politischen Kommunikation viele Mißverständnisse gibt, weil die jeweiligen Argumentationsbereiche, in denen Politiker und Bürger sich bewegen, so verschieden sind (121). Oder daß der Sinn politischer Diskurse ist, jedes relevante Argument zuzulassen und zu berücksichtigen, zur Logik politischer Diskurse jedoch gehört, daß man versucht, die eigenen Argumente gegen die gegnerischen und/oder unpassenden abzuschirmen (125).
Bußhoff widerspricht diskurstheoretischen Annahmen à la Habermas, nach denen unter den Teilnehmern an politischer Kommunikation eine gleiche kognitive Qualifikation besteht und für sie somit im politischen Diskurs ein Zwang entsteht, sich dem logischen Argument zu unterwerfen (164). Der Autor verweist darauf, daß Argumentationsstile und Einstellung der Adressaten (kognitive Kompetenz, soziale Stellung) unterschiedlich sind und passen müssen, wenn Adressaten überzeugt werden sollen. Es komme darauf an, die eigenen politischen Aussagen mit sicherem Gespür so zu gestalten, daß sie beim Adressaten die gewünschte Reaktion hervorrufen (179). Als Fazit konstatiert der Autor das Dilemma der Politiker, entweder mit qualifizierterer politischer Argumentation nur eine kleinere, homogene Adressatengruppe erreichen zu können ("Maximierungsproblem"), oder eine größere, divergente Adressatengruppe nur mit allgemeinerer Argumentationsstrategie anzusprechen, wobei punktuelle Festlegungen vermieden werden müssen, was sich zu Lasten der argumentativen Überzeugungskraft auswirkt ("Optimierungsproblem") (171, 189) - Einsichten, die für jeden Werbetreibenden oder Wahlstrategen aus der Praxis bekannt sind.
Der Nutzen einer Argumentationstheorie für die politische Praxis erscheint fraglich. Vielleicht führt das Wissen über das Optimierungs- oder Maximierungsdilemma der Politiker dazu, seitens der Adressaten nachsichtig zu sein, wenn Argumentationen allzu seicht und politische Aussagen praktisch inhaltslos sind. Es ist aber unwahrscheinlich, daß die politischen Akteure ihre Wertvorstellungen und Interessen ändern, nur weil ihre Argumentationen nach theoretisch erarbeiteten Kriterien qualitativ nicht mit denen ihrer politischen Gegner mithalten können. Qualität in einem Diskurs kommt nicht durch Standards zustande, die von Argumentationstheoretikern formuliert sind, sondern durch Notwendigkeiten, die sich aus dem Diskurs ergeben. Sicher korrigieren politische Akteure im Diskurs laufend ihr Argumentationsniveau, aber nicht immer nach oben. Vielmehr ist zu erwarten - und dies entspricht der vom Autor selbst beschriebenen Logik des politischen Prozesses -, daß die Qualitätskriterien selbst als rhetorische Mittel in die Argumentation eingebaut werden, um die eigenen Wertvorstellungen zu untermauern und die des Gegners zu bekämpfen - wie es auch jetzt schon geschieht, wenn z. B. Vorwürfe aufkommen, der Gegner sage nur die halbe Wahrheit.
Aus dem Inhalt: I. Politische Argumentation als Kommunikation: 1. Argumentationsbedarf als Kommunikationsbedarf; 2. Politische Kommunikation zwischen Veralltäglichung und Sonderwissen, Politische Kommunikation zwischen Meinungen und Auffassungen; 3. Politische Kommunikation als Nutzung von a. Allgemeinwissen und Sonderwissen, b. Situationswissen und Programmwissen, c. Handlungswissen und operativem Wissen. II. Argumente und Argumentationen in der Politik: 1. Status und Funktion von Argumentationen; 2. Grundmuster eines substantiellen Argumentationsschemas; 3. Struktur von Argumentationen und Wissenszurechnungen, a. nach Meinungswissen und Auffassungswissen, b. nach Wissensdimensionen und Politikdimensionen; 4. Adressierungen.
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.24
Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Heinrich Bußhoff: Politische Argumentation. Baden-Baden: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/5549-politische-argumentation_7238, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 7238
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M. A., Politikwissenschaftler.
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