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/ 14.04.2016
Boike Rehbein / Benjamin Baumann / Luzia Costa / Simin Fadaee / Michael Kleinod / Thomas Kühn / Fabrício Maciel / Karina Maldonado / Janina Myrczik / Christian Schneickert, Eva Schwark / Andrea Silva / Emanuelle Silva / Ilka Sommer / Jessé Souza / Ricardo Visser

Reproduktion sozialer Ungleichheit in Deutschland

Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft 2015; 270 S.; 38,- €; ISBN 978-3-86764-627-7
Boike Rehbein und sein Forschungsteam legen eine der umfassendsten und detailliertesten Studien der vergangenen Jahre zur deutschen Sozial‑ bzw. Klassenstruktur vor. Basierend auf rund 300 qualitativen Interviews sowie einer knapp 3.000 Fälle umfassenden quantitativen Erhebung weisen sie die „ausgeprägte Klassenstruktur der deutschen Gesellschaft“ (39) nach. Klasse erweist sich dabei aber weder als unabhängiger, verhaltenserklärender Faktor noch entstehen Klassen einzig aus den kapitalistischen Produktionsbedingungen. Unter Zugrundelegung des Bourdieu‘schen Konzepts des Habitus wird vielmehr gezeigt, dass Klassen durch gesellschaftliche Praxen aktiv produziert und reproduziert werden und dabei Resultat und Bedingung von gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen darstellen. Das bedeutet dann auch keineswegs, dass Klassen unabhängig von der kapitalistischen Produktionsweise bestehen. Denn zum einen greift der Kapitalismus für sein Funktionieren auf gesellschaftliche Klassenverhältnisse zurück, zum anderen stellt er einen, wenn nicht den wesentlichen Motor ihrer Reproduktion dar, insbesondere über die Institution der kapitalistischen Erwerbsarbeit sowie der damit verbundenen Leistungsethik. Auf Grundlage ihrer empirischen Auswertungen unterscheiden die Autoren vier zentrale Klassen innerhalb der deutschen Gesellschaft: die Marginalisierten, die Kämpfer, die Etablierten sowie die Enthobenen. Lediglich Letztere (ca. 0,1 Prozent der Bevölkerung) reproduzieren sich dabei nahezu unabhängig von kapitalistischer Leistungsethik, die für sie weitgehend außer Kraft gesetzt ist. Für alle Übrigen (Obdachlose wie Topmanager gleichermaßen) gelten ähnliche Disziplinar‑ und Reproduktionsmechanismen – wenn auch auf Grundlage unterschiedlicher Lebenschancen und ‑bedingungen. Wesentlich für die Aufrechterhaltung der Leistungsethik ist dabei die Illusion von Chancengleichheit. Die Autoren zeigen jedoch, dass die Chancen, in eine höhere Klasse aufzusteigen, verschwindend gering sind. Zwar mag ein Arbeiterkind gelegentlich etwa promovieren. Wesentlich für die langfristige Stabilität der Klassenstruktur ist aber das Zusammenspiel eines ganzen Bündels von Faktoren, das nicht nur Kapitalbesitz oder Bildungsabschlüsse umfasst, sondern weitere kulturelle und soziale Aspekte. Insofern ist Mobilität zwischen den Klassen statistisch unwahrscheinlich – aber dennoch möglich und kontinuierliches Risiko für die höheren Klassen, was wiederum die Aufrechterhaltung einer permanenten Disziplinarmacht im Foucault‘schen Sinne erfordert.
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Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Boike Rehbein / Benjamin Baumann / Luzia Costa / Simin Fadaee / Michael Kleinod / Thomas Kühn / Fabrício Maciel / Karina Maldonado / Janina Myrczik / Christian Schneickert, Eva Schwark / Andrea Silva / Emanuelle Silva / Ilka Sommer / Jessé Souza / Ricardo Visser: Reproduktion sozialer Ungleichheit in Deutschland Konstanz/München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39597-reproduktion-sozialer-ungleichheit-in-deutschland_47686, veröffentlicht am 14.04.2016. Buch-Nr.: 47686 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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