/ 22.06.2013
Franz Walter
Vorwärts oder abwärts? Zur Transformation der Sozialdemokratie
Berlin: Suhrkamp 2010 (edition suhrkamp 2622); 142 S.; 12,- €; ISBN 978-3-518-12622-6Ende der 90er-Jahre gehörten elf der 15 Regierungschefs der Europäischen Union sozialdemokratischen Parteien an. Der „Dritte Weg“ galt als neues ideologisches Bekenntnis – manifestiert im sogenannten Schröder-Blair-Papier, ein im Jahr 1999 entworfenes Modernisierungskonzept für die europäische Sozialdemokratie. Für die Sozialdemokraten war erneut ein goldenes Zeitalter angebrochen. Zehn Jahre später jedoch scheint das Ende der sozialdemokratischen Volksparteien zu nahen. Franz Walter zeichnet in seinem pointiert verfassten Essay ein desaströses Bild der deutschen Sozialdemokratie und ihrer europäischen Schwesterparteien. Innerhalb der letzten Dekade hat die SPD fast zehn Millionen Wähler verloren. Die österreichische SPÖ kam bei den Nationalratswahlen 2008 auf lediglich 1,4 Millionen Stimmen, was einem Verlust von zirka 40 Prozent in den vergangenen 30 Jahren entspricht. Die schwedische SAP, Ende der 70er-Jahre noch mit einer absoluten Mehrheit der Stimmen ausgestattet, rangiert derzeit bei knapp 24 Prozent. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Ursachen dieser Erosion findet Walter bereits in den 70er- und 80er-Jahren, eigentlich Zeiten sozialdemokratischen Glanzes. Neben der Abkehr von keynesianischen Wirtschaftsparadigmen schwächt die Sozialdemokratie seitdem, was Walter treffend als „Graswurzelverlust“ beschreibt: die Auflösung sozialdemokratischer Milieus als klassisches Wählerreservoir, die mit der Tendenz zur Akademisierung der Führungskader einhergeht. Dem Übergang von einer breiten Mitglieder- zur programmatisch ausgehöhlten Funktionärspartei folge nunmehr der Exodus der Wähler. In den vermeintlichen Kernkompetenzbereichen habe die Sozialdemokratie ihre Meinungsführerschaft vor allem deshalb längst eingebüßt, weil in den Jahren mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung die Polarisierung der Gesellschaft durch sinkende Reallöhne und steigende Armutsquoten exorbitant zugenommen hat. Auch wenn konjunkturelle Schwankungen eine mittelfristige Verbesserung der Wahlergebnisse suggerieren, resümiert Walter, dass sich die Krise der Sozialdemokratie fortsetzt.
Dorothée Marth (DMA)
M. A., Politikwissenschaftlerin, Projektleiterin bei der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens, Dresden.
Rubrizierung: 2.331
Empfohlene Zitierweise: Dorothée Marth, Rezension zu: Franz Walter: Vorwärts oder abwärts? Berlin: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/32244-vorwaerts-oder-abwaerts_38478, veröffentlicht am 11.05.2010.
Buch-Nr.: 38478
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M. A., Politikwissenschaftlerin, Projektleiterin bei der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens, Dresden.
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