Wie stehen Wähler und Abgeordnete zueinander? Verschiedene Projekte geben Aufschluss – eine Auswahl
Wenn von Politik- oder korrekterweise von Politikerverdrossenheit die Rede ist, steht das Verhältnis von Repräsentierten zu ihren Repräsentanten zur Debatte. Kennen die Wahlberechtigten „ihre“ zur Wahl stehenden Kandidatinnen und Kandidaten überhaupt? Wie kommunizieren Abgeordnete, für welche Themen werben sie? Woran macht sich allgemein das Gelingen von Repräsentation fest und wie kann es bestimmt werden? In den im Folgenden vorgestellten Forschungsprojekten wurde und wird das Verhältnis zwischen Abgeordneten in lokalen, regionalen und nationalen Parlamenten zu ihrer Wahlbevölkerung untersucht.
Glaskuppel des Reichstagsgebäudes. © KarosaWenn von Politik- oder korrekterweise von Politikerverdrossenheit die Rede ist, steht das Verhältnis von Repräsentierten zu ihren Repräsentanten zur Debatte. Kennen die Wahlberechtigten „ihre“ zur Wahl stehenden Kandidatinnen und Kandidaten überhaupt? Wie kommunizieren Abgeordnete, für welche Themen werben sie? Wie wird die Arbeit der Abgeordneten in ihren Wahlkreisen von den Wählerinnen und Wählern wahrgenommen? Welche Interessen werden von den Parlamentarier*innen vertreten und auf welche Strategien greifen sie dabei zurück? Woran macht sich allgemein das Gelingen von Repräsentation fest und wie kann es bestimmt werden? In den im Folgenden vorgestellten Forschungsprojekten wurde und wird das Verhältnis zwischen Abgeordneten in lokalen, regionalen und nationalen Parlamenten zu ihrer Wahlbevölkerung aus verschiedenen Perspektiven analysiert. So wurden etwa umfangreiche ländervergleichende Befragungen zur Erforschung der Einstellungen und Wahrnehmungen auf Seiten sowohl der Abgeordneten als auch der Bürger*innen durchgeführt, die Aufschluss über das Repräsentationsgefühl geben. Mit verschiedenen Methoden der empirischen Sozialforschung wird zudem der einer Wahl vorgeschaltete Prozess der Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl 2017 untersucht.
CITREP Citizens and Representatives in France and Germany
Das im Jahr 2010 begonnene gemeinsame Projekt von Politikwissenschaftlern an den Universitäten Halle, Stuttgart und der Sciences Po (Bordeaux) befasst sich mit der Repräsentation der Bevölkerung durch die Abgeordneten in den nationalen Parlamenten Deutschlands und Frankreichs. Der Schwerpunkt liegt auf der Wahlkreisarbeit der Abgeordneten und deren Wahrnehmung durch die Bürger und Bürgerinnen. Die Wahlkreisarbeit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurde am Lehrbereich Regierungslehre und Policyforschung unter Leitung von Prof. Suzanne S. Schüttemeyer untersucht. Repräsentative Bevölkerungsumfragen zur Wahrnehmung der Arbeit von Wahlkreisabgeordneten hat ein Team des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart unter Leitung von Prof. Dr. Oscar W. Gabriel durchgeführt.
Weitere Informationen über das Projekt finden sich auf der Website der Universität Halle:
http://schuettemeyer.politik.uni-halle.de/forschung/citrep/
Dort wird auch eine Liste von aus dem Projekt hervorgegangenen Publikationen geführt:
http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=35385&elem=2805979
Mit einigen Ergebnissen und Schlussfolgerungen aus der Bevölkerungsbefragung setzt sich Elisa Deiss-Helbig in einem Aufsatz über die Bestimmungsfaktoren des Repräsentationsgefühls auseinander:
Elisa Deiss-Helbig
„Ich bin einer von Euch“ – Zur Bedeutung sozialer und politischer Kongruenz von Abgeordneten und Bürgern für das Gelingen von Repräsentation, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl), Heft 3/2013: 566-580
http://www.uni-stuttgart.de/soz/avps/mitarbeiter/Deiss-Helbig.2013-Ich_bin_einer_von_Euch.pdf
Die Autorin hat auf der Grundlage der erhobenen Bevölkerungsdaten und mit einem experimentellen Design untersucht, inwieweit neben der politischen Übereinstimmung soziodemografische Eigenschaften (Alter und Beruf) der Abgeordneten für das Repräsentationsverständnis der deutschen Bürger*innen eine Rolle spielen. Im Ergebnis konnten zwar Effekte sozialer Konkgruenz ausgemacht werden, doch für das Vertretenheitsgefühl erweist sich die politische Kongruenz als dominanter Faktor. „Die Parteien strukturieren offenbar trotz der immer wieder aufkommenden These einer ‚Parteienverdrossenheit‘ zugehörigkeit weiterhin maßgeblich das Repräsentationsverhältnis zwischen Bürgern und Repräsentanten.“ (580)
Individualisierte Repräsentation und ihre Grundlagen
In dem seit 2014 von der DFG geförderten Projekt an der Universität Frankfurt unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Zittel geht es um die Erforschung des Zusammenhangs zwischen wahlsystemischen Anreizen, Wahlkampfkommunikation und parlamentarischem Handeln. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit ein kandidatenorientiertes Wahlsystem individuelle Formen parlamentarischen Handelns begünstigt und damit zu einer Schwächung von Parteigeschlossenheit beiträgt. Das Projekt steht in einem engen inhaltlichen und personellen Bezug zu den Kandidatenstudien, die anlässlich der Wahlen zum Deutschen Bundestag 2005 und 2009 durchgeführt wurden. Enge Bezüge bestehen auch zu der Kandidatenstudie 2013 (http://gles.eu/wordpress/wp-content/uploads/2015/01/kandidatenbroschuere_2013.pdf).
Weitere Informationen über das Projekt:
http://www.fb03.uni-frankfurt.de/60190473/Projektbroschuere_ONLINE_2016_02_18.pdf
Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017
Indirekt hängt das Wähler-Abgeordneten-Verhältnis auch mit innerparteilichen Entscheidungsprozessen zusammen beziehungsweise wirkt auf diese zurück. Dazu zählt etwa der einer Wahl vorgeschaltete Prozess der Kandidatenaufstellung.
Das 2016 gegründete Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) unter Leitung von Frau Prof. Dr. Suzanne S. Schüttemeyer begleitet in einem groß angelegten empirischen Forschungsprojekt die Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017. Mithilfe von repräsentativen Befragungen, teilnehmenden Beobachtungen und Hintergrundgesprächen bei den Aufstellungsversammlungen „soll herausgefunden werden, wie die Nominierungsverfahren gestaltet sind, wer kandidiert, wer über die Erfolgschance einer Kandidatur entscheidet, welche Kriterien bei den Nominierungen eine Rolle spielen, ob und wie sich die Rekrutierungen zwischen und innerhalb der Parteien unterscheiden“, heißt es in der Kurzbeschreibung auf der Website des Instituts (http://www.iparl.de/de/forschung.html). In der Rubrik „Aktuelles“ informiert das IParl über den Projektfortschritt und bietet mit kurzen Berichten über ausgewählte Aufstellungsversammlungen und interessante Vorkommnisse Einblick in innerparteiliche Strukturen und Prozesse (http://www.iparl.de/de/news.html). Berichtet wird zum Beispiel über einen Showdown auf der Wahlkreiskonferenz der SPD im Wahlhkreis Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorff oder über eine Zufallsentscheidung per Münze bei den bayerischen Grünen.