/ 05.06.2013
Werner Weidenfeld
Zeitenwechsel. Von Kohl zu Schröder. Die Lage
Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999; 191 S.; brosch., 29,80 DM; ISBN 3-421-05205-0Weidenfeld diagnostiziert in seinem Essay zunächst ein "sanfte[s] Verschwinden der Ära Kohl" (7), dessen Inszenierung durch gegenseitige Respektbekundungen von altem und neuem Bundeskanzler verdecke, daß der Regierungswechsel 1998 eine tiefgreifende Veränderung wesentlicher Parameter der Bundesrepublik darstellt. Diese "eigentlich relevante Verschiebung, die sich in der Tiefendimension von Politik und Gesellschaft vollzieht" (9) begreift Weidenfeld vor allem als politischen Generationswechsel, der fundamentale Säulen der politischen Kultur der Bundesrepublik betreffe. Um diese These zu illustrieren, gibt er jeweils einen Abriß über die politische Sozialisation Adenauers, Kohls und Schröders. Gerade durch Kohls Bezugnahme auf den ersten Bundeskanzler werde der Bruch mit der Tradition durch Schröder um so deutlicher. Dieses Nachlassen der Prägekraft gewohnter Politikentwürfe verbindet Weidenfeld mit einer Analyse des Lebenszyklus von Regierungen, der im Falle Kohls durch den Mauerfall außergewöhnlicherweise verlängert worden sei. In vielen Bereichen sei nun erst durch den Regierungswechsel "das Ende der Selbstverständlichkeiten" (51) offenbar geworden: Das Leitbild der europäischen Integration und das Verhältnis zu Amerika sind demnach in neue Begründungszwänge gekommen und sehen sich sowohl größerem Kosten-Nutzen-Denken als auch erodierender gesellschaftlicher Unterfütterung ausgesetzt.
In diesem Zusammenhang unterbreitet Weidenfeld einige Vorschläge, mit denen auf die neuen Rahmenbedingungen geantwortet werden könnte - etwa durch ein Konzept differenzierter Integration, das das Spannungsverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung der EU handhabbar mache. Bei allen Unterschieden sieht Weidenfeld aber auch strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Kohl und Schröder: Beide seien "Generalisten der Macht, die unterschiedliche Aggregatzustände unserer politischen Kultur repräsentieren" (74). Während der eine gerade die deutsche Parteiendemokratie verkörpere, stehe der andere für die Überwindung dieser Politikform. Die zentrale Herausforderung der Politik unter den neuen Rahmenbedingungen ist für Weidenfeld die Befriedigung des von ihm auch andernorts schon konstatierten "vagabundierende[n] Identitätsbedarf[s]" (20) in einer zunehmend globalisierten Welt. Hierin liege der Anspruch an die Führungsleistung der Regierung Schröder, die nach Weidenfeld "ihr inhaltliches Profil schärfer erfahrbar machen" (144) müsse, um der neuen Zeit ihren Stempel aufzudrücken. Im Anhang des Buches finden sich Auszüge aus den Regierungserklärungen Adenauers, Kohls und Schröders sowie eine Infratest-Analyse der Wählerwanderungen bei der letzten Bundestagswahl.
Manuel Fröhlich (MF)
Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
Rubrizierung: 2.3 | 2.322 | 2.331
Empfohlene Zitierweise: Manuel Fröhlich, Rezension zu: Werner Weidenfeld: Zeitenwechsel. Stuttgart: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8012-zeitenwechsel_10607, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 10607
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Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
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