/ 28.05.2014
Hans-Christian Dahlmann
Antisemitismus in Polen 1968. Interaktionen zwischen Partei und Gesellschaft
Osnabrück: fibre 2013 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 30); 430 S.; 36,- €; ISBN 978-3-938400-94-4Diss. Münster; Begutachtung: K. Priester, F. Golczewski. – Im März 1968 kam es in Polen zu einer Hetzkampagne gegen Bürger_innen jüdischen Glaubens. Hans‑Christian Dahlmann sieht in ihr – neben der antijüdischen Kampagne Stalins zwischen 1947 und 1953 – „die größte Eruption des Antisemitismus in Europa nach dem Krieg“ (13). Er macht es sich zur Aufgabe, diese Kampagne zu untersuchen und blickt dabei auf die Interaktionen zwischen der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und der Gesellschaft sowie auf die Wirkung der Kampagne auf jüdische und nichtjüdische Polinnen und Polen. Den Autor interessiert insbesondere, ob die Kampagne „von oben“ oder „von unten“ gelenkt wurde, und führt zwei Fallstudien durch, um mehr über ihre Mechanismen zu erfahren: Dahlmann beleuchtet erstens das Kernforschungsinstitut, in dem Antisemitismus weit verbreitet war und in dem viele Mitarbeiter_innen jüdischer Herkunft entlassen und aus der Partei ausgeschlossen wurden. Zweitens geht er auf das Institut für Experimentalphysik in Warschau ein, dessen nichtjüdische Belegschaft sich mit den jüdischen Kolleg_innen solidarisierte und in dem es deshalb kaum Entlassungen und Parteiausschlüsse gab. Für seine Untersuchung nutzt der Autor bereits erschienene Interviewbände und autobiografische Erinnerungen, führt über 60 Zeitzeugengespräche und zieht außerdem Archivmaterial hinzu. Aus ihnen kann der Autor rekonstruieren, dass der März 1968 nicht, wie vielfach geglaubt wird, von der obersten Parteiführung ausging, sondern vielmehr von mittleren und unteren Funktionären in den Parteibetriebsorganisationen und den Sekretären der Wojewodschaften getragen wurde. Entsprechend sei der März 1968 als vertikaler Konflikt zu begreifen, der Führung und Basis, aber auch die unterschiedlichen Generationen innerhalb der Partei spaltete. Damit widerlegt Dahlmann die häufig vorgetragene These, dass Innenminister Mieczyslaw Moczar aufgrund von eigenen Machtinteressen die Kampagne initiierte. Die Reaktion der nichtjüdischen Gesellschaftsmitglieder war höchst ambivalent: Viele von ihnen zeigten zum Teil offene, zum Teil latente Feindseligkeit, aber auch Solidarität und Widerstand gegen die mediale und parteiliche Hetze.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.61 | 2.25 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Hans-Christian Dahlmann: Antisemitismus in Polen 1968. Osnabrück: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37127-antisemitismus-in-polen-1968_45272, veröffentlicht am 28.05.2014. Buch-Nr.: 45272 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenM. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
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