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Essay / 21.10.2025

Der Sultan in Washington. Versuche, Donald Trumps Herrschaft zu beschreiben

Präsident Donald Trump hält seine Antrittsrede – 20. Januar 2025. Foto: The Trump White House, Public domain, via Wikimedia Commons (Ausschnitt).

Immer dann, wenn vor unseren Augen Neues, Unglaubliches, ja Umwäl­zendes geschieht, laufen die Begriffsspezialisten in Wissenschaft und Medien zur Höchstform auf. Sie versuchen, das Unbegreifliche zu ver­stehen und erklärbar zu machen. Wie etwa ist das Phänomen Donald Trump zu fassen? Haben wir es tatsächlich mit Faschismus zu tun? Oder mit einer modernen Plutokratie? Wolfgang Merkel bringt eine dritte Kategorie ins Spiel.

Ein Essay von Wolfgang Merkel

Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat damit begonnen, die mentalen, kulturellen und institutionellen Grundfesten der US-amerikanischen Demokratie einzureißen. Der Historiker Timothy Snyder nennt das Regime „faschistisch“, sein ehemaliger Yale-Kollege, der Faschismus-Experte Jason Stanley spricht von einem „Abstieg in den Faschismus“. Die Demokratieforscher Steven Levitsky, Lucan Way und Daniel Ziblatt greifen auf den eingeführten Begriff des „Competitive Authoritarianism“ zurück. Der Politologe Ivan Krastev beschreibt das sich abzeichnende Trump-Regime als eine „revolutionäre Regierung in Form eines imperialen Hofes“. Die Liste ließe sich fortführen: Plutokratie, Tech Oligarchie, toxischer Feudalismus, Ein-Mann-Regierung oder die „Herrschaft der unqualifizierten Loyalisten“ verdienen Erwähnung. Was spricht dafür, Trumps USA als Plutokratie oder Faschismus zu bezeichnen? Zeigen sich nicht eher die bizarren Züge einer Herrschaft, die Max Weber als patrimonial beziehungsweise „sultanistisch“ beschrieben hat?

Die US-amerikanische Demokratie des 20. und 21. Jahrhunderts war stärker von privatem Kapital und seinen Spenden durchsetzt als die allermeisten westlichen Demokratien. Das hat zum einen mit der besonderen Marktaffinität der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft zu tun; zum anderen gab es in den USA nach 1945 kaum eine relevante öffentliche Finanzierung der Parteien. Dies eröffnete der privaten Finanzierung durch kapitalstarke Spender einen Einfluss, wie er sich mit dem politischen Gleichheitsgedanken nicht verträgt. Etymologisch bedeutet der Begriff Plutokratie die Herrschaft des Reichtums. Praktisch beeinflussen reiche Privatpersonen und finanzkräftige Firmen politische Entscheidungen in der Steuer-, Industrie- oder Handelspolitik je nach ihren Interessenlagen.

So saßen die großen Tech-Milliardäre von Jeff Bezos (Amazon) über Mark Zuckerberg (Meta, Facebook) bis zu Elon Musk (X, Tesla, SpaceX) unübersehbar unter den Ehrengästen bei Trumps Inaugurationsfeier. Es war eine bewusste Demonstration zukünftiger Macht. Marktmacht war dabei, sich unmittelbar in politische Macht zu übersetzen. Deutlich wurde dies bei Elon Musk, dem mit dem Department of Government Efficiency (DOGE) vorübergehend direkte staatliche Macht überantwortet wurde. Das Männerbündnis zerbrach. Nicht an verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern am berstenden Ego zweier Monomanen.

„Die Struktur der US-Wirtschaft, in der wenige große Anbieter den Markt beherrschen, erleichtert es Trump, die kapitalistischen Oligarchen gegen einander auszuspielen“

Trump verschaffte sich in der plutokratischen Herrschaftsstruktur eine zentrale Position. Die Struktur der US-Wirtschaft, in der wenige große Anbieter den Markt beherrschen, erleichtert es ihm, die kapitalistischen Oligarchen gegen einander auszuspielen. Die Steuerbehörden, das FBI oder Teile einer hörigen Justiz sind Trumps allgegenwärtige Bedrohungsmittel, um auch seine mächtigsten Unterstützer in Schach zu halten. Trump ist in diesem Spiel mehr als ein Primus inter Pares. Er herrscht mit Hilfe seiner Getreuen und staatlicher Instrumente, die er zunehmend für die eigene persönliche Macht missbraucht. Anders als bei Marx beschrieben dominiert in Trumps Regime der politische Überbau die kapitalistische Basis. Trump hat kein neues plutokratisches Regime geschaffen, wohl aber vorhandene plutokratische Tendenzen verstärkt und ins Familiäre gedreht.

Bei aller Hochachtung für die amerikanischen Historiker Timothy Snyder und Jason Stanley, die beide Yale und die USA verlassen haben, ist es problematisch, Trump einen Faschisten oder die gegenwärtigen USA gar ein faschistisches Herrschaftssystem zu nennen. Zieht man das von dem Historiker Ernst Nolte entworfene „faschistische Minimum“ heran, zeigen sich zwar beschämende Affinitäten, aber auch grundsätzliche Unterschiede. Noltes fünf Charakteristika lauten: Antimarxismus, Nationalismus, Antiliberalismus, Gewalt und eine massenverführende Propaganda. Zweifellos ist Trump ein Antimarxist. Er steckt voller Hass und Ressentiment gegenüber allem, was er unter Sozialismus fasst: von der Verstaatlichung der Wirtschaft bis hin zu einer allgemeinen Krankenversicherung. Der Kampfslogan „Make America Great Again“ drückt eine bestimmte Form des Nationalismus aus. Diese ist für kosmopolitische Westeuropäer sicher befremdlich. Sie drückt aber für Amerikaner trotz des Alltagsrassismus kein primär ethnisches Volks- und Überlegenheitsempfinden aus, sondern eher ein imperiales Auserwähltsein. Es würde auch zu weit führen, Trumps groteske Territorialambitionen gegenüber Kanada, Grönland und Panama mit dem Lebensraumwahn der Nationalsozialisten zu vergleichen.

„Trumps Abneigung gegen den Sozial- und Steuerstaat sind die vulgarisierten Restbestände neoliberaler Politik“

Selbst der Antiliberalismus taugt nicht für eine Beschreibung der Trumpschen Politik. Trump ist sicherlich kein liberaler Musterschüler, nicht von Friedrich von Hayek und schon gar nicht von Ralf Dahrendorf. Seine Zoll- und Industriepolitik erinnert stärker an den französischen Merkantilismus. Von Dahrendorfs liberaler Idee gleicher Lebenschancen ist der Parvenü aus Queens meilenweit entfernt. Trumps Abneigung gegen den Sozial- und Steuerstaat sind die vulgarisierten Restbestände neoliberaler Politik.

Gewalt als Mittel der Politik nach innen wie nach außen mag Trump nicht fremd sein. Die Sendung der Nationalgarde, wie nach Los Angeles im Juni, liefert ein Zeugnis davon. Gegen über militärischen Interventionen nach außen liest sich die Bilanz von 2016 bis 2020 und die Politik seiner zweiten Präsidentschaft allerdings bisher weniger gewaltorientiert als die seiner Vorgänger, von Bill Clinton über George W. Bush bis hin zu Barack Obama.

Bleibt noch die „Propaganda“. Da gibt es große Übereinstimmungen. Natürlich kann Trump in der „Gerade-noch-Demokratie“ USA kein Reichspropagandaministerium nach dem Vorbild Josef Goebbels’ einrichten. Ein Meister der kurzen Halbsätze, ihrer suggestiven Wiederholung und des kalkulierten rhetorischen Tabubruchs ist er doch. Seine Redeweise ist wie erfunden für die Sozialen Netzwerke. Eines davon besitzt er mit Truth Social selbst. Mit Fox News hat er den reichweitenstärksten TV-Sender im Rücken. Seine gepflegte Feindschaft gegenüber der New York Times gehört längst zu Trumps Portfolio der medialen Propaganda.

Trumps Art des Regierens trägt autoritäre Züge, totalitär-faschistische Aspirationen besitzt sie nicht. Dies sollten wir bei aller Abweisung von Trumps Anmaßungen nicht relativieren. Weder Plutokratie noch der übernutzte Begriff des Faschismus erfassen also die Eigenheit von Trumps politischem Regime. Es lässt sich zunehmend eine andere Herrschaftsform erkennen, die Max Weber in seiner Herrschaftslehre vor rund 100 Jahren „patrimoniale Herrschaft“ nannte. Weber definiert Patrimonialismus als eine Herrschaftsform, bei der die politische Ordnung als persönliche Angelegenheit des Herrschers betrachtet wird. Der Herrscher übt seine Macht wie ein Hausherr aus, wobei Verwaltung und Herrschaft nicht klar vom privaten Bereich getrennt sind. Patrimoniale Herrschaft beruht auf der Grundlage von Herrschaftsrechten, „welche der Herr als Eigentum besitzt“. Eine besonders extreme Form des Patrimonialismus ist nach Weber der Sultanismus: „Die sultanistische Form des Patrimonialismus ist zuweilen, dem äußeren Anscheine nach, – in Wahrheit: nie wirklich – völlig traditionsungebunden. Sie ist aber nicht sachlich rationalisiert, sondern es ist in ihr nur die Sphäre der freien Willkür und Gnade ins Extrem getrieben. Dadurch unterscheidet sie sich von jeder Form rationaler Herrschaft.“ Der Herrscher entscheidet nach Gutdünken, Beamte und Untergebene hängen von des Herrschers Gunst ab. Den Institutionen wurde die Autonomie genommen, „Drohung und Belohnung“ prägen den Herrschaftsstil.

Das lässt aufhorchen. Folgt nicht auch Trumps Präsidentschaft dem Herrschaftscode von „fear and reward“? Bewegt sich nicht auch Trumps Administration „primär in der Sphäre freier, traditionsungebundener Willkür“? Unterscheidet sich diese nicht auch „von jeder Form rationaler Herrschaft“? Gilt nicht, was der große Soziologe schrieb: Der Herrscher sei nicht „Vorgesetzter“, sondern „persönlicher Herr“, sein Verwaltungsstab bestehe primär nicht aus „Beamten“, sondern persönlichen „Dienern“?

Sultanistische Regime sind personal, nicht legal-rational organisiert; Institutionen spielen keine handlungsleitende Rolle. Wichtige staatliche Positionen werden nicht nach meritokratischen Prinzipien besetzt, sondern nach Loyalitätskriterien handverlesen. Oft finden sich unter den Ausgelesenen Familie, Freunde und Geschäftspartner. Der Herrscher entscheidet. Er regiert nach Willkür, ungebunden von Ideologie und Werten. Verwaltungsnormen werden ausgehöhlt. Die Grenzen zwischen Staat und Privatem verwischen. Die Unternehmen des Herrschers schließen Geschäftsverträge mit dem Staat und auswärtigen Staaten. Patronage, Nepotismus und Korruption werden zu informellen Leitnormen, die die formellen Institutionen zersetzen. Zunächst im Herrschaftsapparat, danach auch in der Gesellschaft.

Viele Elemente dieses Idealtypus sultanistischer Regime beschreiben verblüffend präzise die Regierungsweise des 47. Präsidenten der USA. Natürlich nicht eins zu eins – zwischen Realität und idealtypischer Figur bleibt stets eine Differenz. Die Dominanz einer Person über die machtbeschränkenden Institutionen in einer vormals liberalen Demokratie ist vielleicht die am meisten irritierende Erkenntnis. Sie verdeutlicht die besondere Fragilität der Demokratien gerade im 21. Jahrhundert. Natürlich werden die Vereinigten Staaten kein Sultanat wie Oman. Aber die Tendenz der Sultanisierung ist unverkennbar.

Zu Bruch ging dabei ganz en passant die tradierte Lehrmeinung, die präsidentiellen Demokratien seien vielleicht nicht so inklusiv wie parlamentarische Regierungssysteme, dafür verfügten sie aber über wirkungsvollere Checks and Balances. Dies stimmt dann nicht mehr, wenn der Präsident seine Partei erfolgreich dirigiert, Abgeordnete und Senatoren in den Primaries nach der Loyalität zu ihm ausgewählt und von seinen Geschäftsfreunden finanziell unterstützt werden, der Präsident die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses hinter sich weiß, die Opposition rat- und hilflos agiert, die Mehrheit des Supreme Courts eher nach Loyalitätskriterien als nach unparteiischem Recht urteilt und die Tech-Oligarchen den Präsidenten finanziell unterstützen. Die Herrschaftskontrollen versagen, wenn in einer solchen Konstellation der Präsident nicht die Spur einer demokratischen Tugend und Selbstbeschränkung erkennen lässt.

„Die Herrschaftskontrollen versagen, wenn der Präsident nicht die Spur einer demokratischen Tugend und Selbstbeschränkung erkennen lässt“

Wie viel Schaden kann der sultanistisch regierende Präsident an der amerikanischen Demokratie anrichten? Vier Sperren könnten ihn in naher Zukunft daran hindern, die defekte Demokratie der USA noch tiefer in den Autoritarismus zu treiben. Zunächst sind es die Wähler, die Trump in den Midterm Elections zumindest im Senat die Mehrheit entziehen könnten. Dies würde Trump vor die Wahl stellen, sich zu mäßigen oder noch mehr mit Executive Orders zu regieren. Ersteres bedarf einer Rückkehr zur Verfassungstreue, die man ihm aus heutiger Sicht nicht zutraut. Letzteres dürfte das weitere Siechtum der Demokratie bedeuten. Ein solch selbstherrlicher Regierungsstil könnte aber auch in den Augen der von ihm ernannten Richter, seiner Parteigenossen im Kongress und Teilen der republikanischen Basis die Grenzen der Loyalität testen.

Die zweite Sperre kommt aus dem Föderalismus. Die Eingriffe Trumps in die föderativen Kompetenzen könnten zu einer Solidarisierung mancher Gouverneure führen. Die Auseinandersetzung Trumps mit dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom lässt sich nicht beliebig wiederholen.

Die dritte Barriere dürfte die Justiz darstellen. Gerichte werden immer wieder gegen Trumps sultanistische Übergriffe urteilen. Das werden viele Gerichte nicht nur aus einer Gesetzestreue heraus tun, sondern auch aus einem Berufskodex, dessen Beachtung oder Missachtung über die Reputation von Richtern und Gerichten entscheidet und diese vor zu großer Parteinahme schützt.

Die vierte Machtsperre kommt gar nicht aus dem demokratischen System selbst, sondern aus der Wirtschaft. Provoziert Trumps unberechenbare Wirtschaftspolitik Turbulenzen an der Börse, gefährdet er die Altersvorsorge von Millionen von Menschen. Treibt seine Handelspolitik die US-Wirtschaft in eine Wachstumsschwäche bei steigender Inflation, könnte der Wirtschaftsbürger auch wieder zum politischen Citoyen werden und Trump wie seinen Republikanern Unterstützung und Legitimation entziehen.

Dies ist das positive Szenario. Es könnte aber auch anders kommen: Die amerikanische Demokratie wird weiter von innen ausgehöhlt, behält aber insbesondere über freie Wahlen ihre demokratische Legitimation. Gleichzeitig werden diese überformt durch die informellen Institutionen des autoritären Regierens. Trumps Sultanismus ist subtiler und gefährlicher als eine offene Diktatur. Er schafft die Demokratie nicht ab, er entdemokratisiert sie.


Literatur

  • Chehabi, H. E./ Linz, Juan J. (Hg.) (1998): Sultanistic Regimes. Baltimore & London: Johns-Hopkins University Press.
  • Merkel, Wolfgang (2023): Im Zwielicht. Zerbrechlichkeit und Resilienz der Demokratie im 21. Jahrhundert. Frankfurt a. M.: Campus.
  • Weber, Max (1985): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).

Der Text wurde hier erstveröffentlicht: Wolfgang Merkel: Der Sultan in Washington. Versuche, Donald Trumps Herrschaft zu beschreiben. In: WZB | Mitteilungen Heft 189 September 2025, S. 27-30.



DOI: https://doi.org/10.36206/ES25.1
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