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Rezension / 01.09.2025

Stephen E. Hanson, Jeffrey S. Kopstein: The Assault on the State: How the Global Attack on Modern Government Endangers Our Future

Hoboken, John Wiley & Sons 2024

Erleben wir nicht nur Attacken auf die Demokratie, sondern gezielte Angriffe auf den modernen Staat selbst? Stephen E. Hanson und Jeffrey S. Kopstein beobachten weltweit eine Rückkehr zu vormodernen Herrschaftsformen, geprägt von Vetternwirtschaft und dem Abbau professioneller Expertise. Lennard Gottmann lobt das Buch als scharfsinnige Analyse, die das nötige politikwissenschaftliche Vokabular liefert, um die spezifische Staatsfeindlichkeit von Trump und Co. besser zu erfassen.

Eine Rezension von Lennard Gottmann

Es ist eine weit verbreitete Diagnose in der Politikwissenschaft, dass sich die Demokratie in einer schwerwiegenden Krise befindet. Ausgehend von dem modernen Klassiker „How Democracies Die“[1], den die beiden US-amerikanischen Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt und Steven Levitsky im Jahr 2018 vorlegten, haben sich in der jüngeren Vergangenheit eine Fülle von Untersuchungen diesem Thema gewidmet. Die schiere Anzahl an Veröffentlichungen dazu ist mittlerweile unüberblickbar geworden. Doch stellt sich nicht nur die Frage, ob weitere Publikationen zu der Thematik wirklich einen Mehrwert bieten, sondern auch, ob es tatsächlich bloß die Staatsform Demokratie ist, die bedroht ist. Liegt das Problem nicht vielleicht tiefer?

In ihrem Werk „The Assault on the State: How the Global Attack on Modern Government Endangers Our Future” vertreten die beiden Osteuropa-Wissenschaftler Stephen E. Hanson und Jeffrey S. Kopstein die These dass es mittlerweile die Institution des Staates selbst ist, die bedroht wird. Dadurch gelingt ein gänzlich anderer Blick auf ein Phänomen, das bislang lediglich als Krise der Demokratie diskutiert wird.

Nicht nur eine Krise der Demokratie

Worum es in diesem Buch nicht geht, stellen die beiden Autoren gleich zu Anfang klar: „This is not another book about democracy’s demise” (2). Stattdessen beobachten sie ein Phänomen, das zwar mit dem Erodieren der Demokratie zusammenhängt, jedoch analytisch davon zu unterscheiden ist: „a global wave of rebellions against the modern state“ (6).

Anders als das Wort „rebellion“ insinuiert, ist damit kein physischer Angriff auf staatliche Institutionen gemeint. Hanson und Kopstein fassen darunter ihre Beobachtung, dass in bestimmten Regimen berufliche Expertise bei der Besetzung von Verwaltungspositionen immer seltener eine Rolle spielt. Die rationale Herrschaft in Behörden werde ersetzt durch „nepotism, cronyism, and partisan conformity” (9). Dieses Phänomen – so das Argument – entziehe sich der Frage nach der Staatsform: „Words like autocracy, dictatorship, authoritarianism, and populism don’t fully describe what the modern enemies of the state do when they come to power” (7). Zur näheren Bestimmung schlagen die beiden Autoren einen Paradigmenwechsel vor – weg von der Autokratie/Demokratie-Unterscheidung hin zu den Kategorien „personalism versus proceduralism“ (50). Mit der prozeduralen Herrschaft, auch wenn sie das nicht weiter ausführen, meinen die beiden Autoren eine rechtlich-gebundene Herrschaftsform. Diese kann man sowohl in Demokratien antreffen, aber eben auch in Autokratien wie Singapur. Wichtiger ist ihnen jedoch die Beschreibung der personalistischen Herrschaft. Dafür nutzen sie – mit Referenz auf Max Weber – den Begriff Patrimonialismus.

Ein neuer Patrimonialismus

In seinem 1921/22 posthum veröffentlichten Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft definiert Max Weber Patrimonialismus als „Herrschaftsstruktur […], welche auf dem Boden des Oikos und damit auf dem Boden der gegliederten Hausgewalt gewachsen ist“[2]. Sie beruht darauf, dass sich die Staatsgewalt „mittels Ausgabe von Land und eventuell Inventar“[3] an Familienmitglieder und weitere dem Herrscher nahestehende Personen gefügig gemacht wird. Der Beamtenstab wird als „eine rein persönliche Angelegenheit des Herrn, der Besitz und die Ausübung seiner politischen Macht als ein durch Abgaben und Sporteln nutzbarer Bestandteil seines persönlichen Vermögens behandelt“[4]. Als Beispiele dienen ihm das antike Ägypten, der „Inkastaat und namentlich der Staat der Jesuiten in Paraguay“[5].

Hanson und Kopstein vertreten nun die Ansicht, dass es diese vormoderne Herrschaftsform sei, die gerade weltweit um sich greift (52). Im Zuge der „neuen Unübersichtlichkeit“[6] und dem massiven Misstrauen, das Teile der Bevölkerung seit der Finanzkrise 2008 und der Corona-Pandemie staatlichen Institutionen entgegenbringen, werde die Zuflucht im Glauben an patriarchale Herrschaftsfiguren gesucht (8). Wie Hanson und Kopstein schreiben, werden sie auch häufig als Vaterfiguren wahrgenommen (52). Diese kündigen an, im Staat aufzuräumen und nutzen das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird, um Behörden mit Gefolgsleuten zu besetzen. Die rationale Herrschaft in bürokratischen Institutionen werde dadurch außer Kraft gesetzt.

Als Ursprung dieses neuen Patrimonialismus identifizieren die beiden Osteuropa-Wissenschaftler den Umbau des russischen Staates durch Wladimir Putin (65). Er habe geschickt die chaotischen Zustände nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ausgenutzt, um einen „patrimonial petrostate“ (68) aufzubauen. Doch damit war es nicht getan: „what started in Russia did not stay in Russia“ (95). Nachdem sich der Patrimonialismus in Russland konsolidiert hatte, etablierten sich, unterstützt von Putin, in weiteren post-sowjetischen Staaten wie Kasachstan, Belarus und in der Ukraine vor dem Euromaidan patrimonialistische Regime. Von dort sei der Patrimonialismus weiter in den Westen gelangt: „The untold story of the past decade has been the spread of traditional modes of personalist rule from Russia to the West“ (95). Patrimonialistische Regime entstanden laut Hanson und Kopstein auch in Ungarn unter Viktor Orbán, in Polen unter Jarosław Kaczyński, in Israel unter Benjamin Netanyahu, sowie im Vereinigten Königreich unter Boris Johnson. Und natürlich in den USA unter Donald Trump (95-96).

Die unterschiedlichen Regierungssysteme, aus denen die aufgeführten Politiker stammen, berücksichtigen Hanson und Kopstein in ihrem Vergleich nicht. Dennoch entwickeln sie aus diesen Fallbeispielen am Ende des Buches drei – zugegebenermaßen sehr vage – Merkmale zur Klassifizierung patrimonialer Herrschaftssysteme:

  1. Rule by the leader's extended household.“ (144)
  2. The attack on the civil service, the judiciary, and government agencies.“ (144)
  3. Elimination of professional expertise as a criterion for government positions.“ (145)

Im Prinzip lassen sich diese drei Charakteristika durch die Formel zusammenfassen: Die „rule of law“ wird durch die „rule of men“ ersetzt (145). Das Gutdünken des patrimonialistischen Herrschers durchbricht die Rechtsförmigkeit des staatlichen Handelns.

Fokus: USA

Wie bei vielen Büchern der jüngeren Vergangenheit ist auch bei Hanson und Kopstein die Präsidentschaft Donald Trumps der Anlass ihrer Überlegungen. Obwohl sie den Ursprung des Neo-Patrimonialismus in Russland verorten, liegt der Fokus daher auf den USA. Es geht den Autoren dabei nicht um den Politiker Donald Trump, sondern um die Frage, wieso sich so viele Menschen einer Politikform, wie Trump sie vertritt, zuwenden. Wirtschaftliche oder kulturelle Gründe, wie sie beispielsweise von Pippa Norris und Ronald Inglehart angeführt werden,[7] finden bei Hanson und Kopstein dabei keine Berücksichtigung. Stattdessen identifizieren sie als Ursache die Verbreitung der Deep-State-Verschwörungsideologie – also die (oft antisemitische) Vorstellung, dass ‚geheime Mächte‘ statt gewählter Politiker*innen die Politik steuern würden. Diese Verschwörungsideologie habe sich aus ihrem Ursprungskontext in der Türkei, wo sie 1996 im Zusammenhang mit dem Sursuluk-Skandal aufkam, gelöst und weltweite Verbreitung gefunden (20). In den USA sei sie bei der Anhängerschaft der republikanischen Partei auf starke Resonanz gestoßen, auch weil parteinahe Multiplikator*innen wie beispielsweise der Radiomoderator Alex Jones, die Influencerin Candace Owen, die Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Green oder der Geschäftsmann Patrick Byrne sie dankbar aufgriffen. Die Folge: „the notion of a deep state conspiracy became a common place in American conservative circles“ (22). Daraus resultiert für die beiden Autoren der „Assault on the State“: Der moderne Verwaltungsstaat wird bekämpft, weil er fälschlicherweise als ‚Deep State‘ identifiziert wird (39). Hanson und Kopstein machen nun insbesondere drei Gruppen aus, die sich diesem Kampf verpflichtet fühlen: „extreme libertarians, Christian nationalists, and supporters of expanded executive power“ (25). Diese drei Gruppen gehören zu den stärksten Unterstützerinnen Donald Trumps. Trotz ihrer kulturellen Verschiedenheit eint sie ein gemeinsames Ziel: „[f]or all three of these factions, the total destruction of the modern administrative state is an inspiring ideal - albeit for completely different reasons” (ebd.). Und diesem Ziel wird Trump nur allzu gerne gerecht, indem er nach und nach ein patrimoniales Herrschaftsregime etabliert.

Fazit

Das Buch endet mit einem Plädoyer: „The time has clearly come for all of us who care about the public good to renew our appreciation for what a marvelous human invention the modern state truly is“ (149). Statt ständig über Behörden zu schimpfen, sollte den Autoren zufolge dafür geworben werden, die wichtige Rolle staatlicher Institutionen anzuerkennen: Nur so lasse sich „[t]he global battle between patrimonialism and the modern state“ (153) zugunsten des Staates entscheiden.

Ob es tatsächlich genügt, mit etwas mehr Wohlwollen und Verständnis auf die staatliche Bürokratie zu blicken, um die Ausbreitung des Patrimonialismus zu stoppen, sei an dieser Stelle offengelassen. Doch so unterkomplex dieser Lösungsvorschlag anmutet, so scharfsinnig ist die Analyse, die Hanson und Kopstein hier anstellen.  Denn was die Autoren beschreiben, lässt sich im Sinne Jürgen Habermas als „Refeudalisierung“[8] des politischen Systems verstehen. Es sind vormoderne Herrschaftsstrukturen – Vetternwirtschaft, Klüngel und Korruption – die sich breit machen und die modernen bürokratischen Institutionen untergraben.

Politische Akteure, die bislang lediglich als Autokraten angesehen wurden, erscheinen nach der Lektüre in einem anderen Licht. Denn Hanson und Kopstein argumentieren nicht gegen den Begriff Autoritarismus, sondern weisen vollkommen zurecht auf sein beschränktes Potenzial hin, um das Handeln der oben genannten politischen Akteure zu erklären. Es geht Orbán, Trump und Co. längst nicht mehr nur darum durch Beugung des Rechts ihre Herrschaft zu zementieren, wie das beispielsweise Kim Lane Scheppele in ihrem einflussreichen Aufsatz „Autocratic Legalism“[9] ausgeführt hat. Vielmehr attackieren sie die Errungenschaften des modernen Staates. Die Trump-Regierung bietet trotz ihrer kurzen Amtszeit bereits genügend Beispiele: Das Rollback in der Energie- und Klimapolitik, seine „attack on Knowledge Institutions“[10] sowie die erratische Personalpolitik. Stephen E. Hanson und Jeffrey S. Kopstein liefern mit ihrem Werk das politikwissenschaftliche Vokabular, um dieses Handeln in seiner spezifischen Staatsfeindlichkeit zu beschreiben.


Anmerkungen:

[1] Levitsky, Steven und Daniel Ziblatt (2018): How Democracies Die. New York: Crown.

[2] Weber, Max (2005): Max Weber-Gesamtausgabe. Band I/22,4: Wirtschaft und Gesellschaft. Herrschaft

Hrsg. von Edith Hanke in Zusammenarbeit mit Thomas Kroll. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 254.

[3] Ebd., S. 257.

[4] Ebd., S. 291.

[5] Ebd., S. 259-260.

[6] Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey (2022): Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Berlin: Suhrkamp, S. 100.

[7] Pippa Norris und Ronald Inglehart (2019). Cultural Backlash. Trump, Brexit, and Authoritarian Populism. Cambridge: Cambridge University Press.

[8] Habermas, Jürgen (1990). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990, S. 337.

[9] Scheppele, Kim Lane (2018): Autocratic Legalism, in: The University of Chicago Law Review 85.2, S. 545–584.

[10] Jackson, Vicki C. (2025): The Trump Administration’s Attack on Knowledge Institutions, in: Verfassungsblog, online unter https://verfassungsblog.de/education-democracy-america/ [letzter Zugriff: 12.08.2025].



DOI: 10.36206/REZ25.39
CC-BY-NC-SA