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/ 22.06.2013
Luise Görges

Auf Lohnabstand gehalten. Über die Widersprüche marktliberaler Konzepte in der Arbeitsmarktpolitik

Berlin: edition sigma 2012; 108 S.; kart., 29,90 €; ISBN 978-3-8360-1108-2
Abschlussarbeit Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin; Begutachtung: U. Kadritzke. – Görges konstruiert in ihrer gleich mit mehreren Wissenschaftspreisen ausgezeichneten Arbeit eine geschlechtsspezifische Perspektive auf die wirtschaftspolitischen Konzepte von Lohndispersion und Lohnabstandsgebot. Der Begriff der Lohndispersion bezeichnet dabei Lohnspreizung im Sinne der Einführung eines Niedriglohnsektors, während das Lohnabstandsgebot die Sozialleistungen deutlich unterhalb der Untergrenze der Erwerbseinkommen ansiedeln will. Im theoriegeleiteten zweiten Kapitel betrachtet die Autorin den Begriff der Arbeit aus soziologischer und ökonomischer Perspektive und nimmt dabei bereits einige Ergebnisse ihrer Arbeit vorweg: Eine reine Bezugnahme des Arbeitsbegriffs auf das Phänomen marktförmiger Lohnarbeit bewirke eine Scheinobjektivität, in der die strukturelle Schlechterstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt formal wegdefiniert werde. In Kapitel 3 befasst sich Görges mit dem Strukturwandel des Arbeitsmarktes vom traditionellen Normalarbeitsverhältnis hin zu mehr prekärer Beschäftigung und kommentiert: Ein für Frauen (nicht nur) aus Gründen der Selbstbestimmung erstrebenswerter, „vom Partner unabhängiger, eigenständiger Zugang zum Erwerbsleben“ (67) wird durch diese Entwicklung erschwert. Damit ist der Grund für die in Kapitel 4 folgende kritische Betrachtung von Lohndispersion und Lohnabstandsgebot gelegt. Diese Konzepte verstärken sich gegenseitig, da dem Lohnabstandsgebot zufolge nach der Einführung eines Niedriglohnsektors die Sozialleistungen nochmals sinken müssen: „Nicht der Job muss besser sein als Hartz-IV, Hartz-IV muss schlimmer sein als jeder Job.“ Ein solches System verstärke geschlechtsspezifische Unterschiede. Nur durch Zwang sei es noch aufrechtzuerhalten: „Damit der Arbeitsmarktmechanismus frei funktionieren kann, bezahlen Arme und Prekäre den Preis mit ihrer Unfreiheit.“ (92) Görges hält die Entwicklung eines ganzheitlichen Arbeitsbegriffs für notwendig, der das Konzept marktförmiger Lohnarbeit um eine gesellschaftliche Dimension erweitert. Insgesamt unternimmt Görges am Schnittpunkt von Volkswirtschaftslehre und Soziologie eine respektable Untersuchung, in der sie zu schlüssigen Ergebnissen gelangt. Allerdings gelingt es ihr nicht wie angekündigt, Widersprüche marktliberaler Konzepte in der Arbeitsmarktpolitik aufzuzeigen, sondern sie konstatiert vielmehr einen Bruch mit ihren eigenen (wohlbegründeten) normativen Vorstellungen. Dennoch bietet das Buch eine überzeugende geschlechtsspezifische Sicht auf aktuelle arbeitsmarktpolitische Konzepte. Hervorzuheben ist schließlich die nicht nur originelle, sondern auch theoretisch fruchtbare Unterscheidung zwischen dem prekär beschäftigten „homo oeconomicus miser“ und dem sozial abgesicherten „homo oeconomicus prosperus“ (94).
Kristian Klinck (KLI)
Dr. rer. pol., Politikwissenschaftler, Lehrbeauftragter, Institut für Sozialwissenschaft, CAU Kiel.
Rubrizierung: 2.3422.36 Empfohlene Zitierweise: Kristian Klinck, Rezension zu: Luise Görges: Auf Lohnabstand gehalten. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35131-auf-lohnabstand-gehalten_42290, veröffentlicht am 07.06.2012. Buch-Nr.: 42290 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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