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Rezension / 26.05.2025

Bruno Leipold: Citizen Marx: Republicanism and the Formation of Karl Marx's Social and Political Thought

Princeton University Press, Princeton 2025

Wie stand Karl Marx zum Republikanismus und wie beeinflussten republikanische Ideen sein politisches Denken? Bruno Leipold rekonstruiert, wie die Auseinandersetzung mit dem Republikanismus des 19. Jahrhunderts Marx’ intellektuelle Entwicklung prägte und welch entscheidende Bedeutung er demokratischen Institutionen für die Überwindung sozialer Unfreiheit beimaß. Ein wichtiges Buch, dem es gelingt, den spezifischen Gehalt des Marxschen "republikanischen Kommunismus" freizulegen, lobt unser Rezensent Joshua Graf.

Eine Rezension von Joshua Graf

Mit seinem neu erschienen Werk „Citizen Marx – Republicanism and the formation of Karl Marx’s social and political thought” reiht sich Bruno Leipold ein in einen bereits vorhandenen breiten Fundus von Sekundärliteratur zu Marx. Mit seinem Fokus auf die Frage des Republikanismusverständnisses von Marx bemüht sich der Autor, in der ansonsten sehr gut erschlossenen Forschungslandschaft ein noch wenig beachtetes Thema in den Vordergrund zu rücken. Tatsächlich gibt es bisher wenig explizite Ausführungen zum Thema, obschon Fragestellungen nach Marx‘ Verhältnis zur (parlamentarischen) Demokratie bereits von zahlreichen Autor*innen bearbeitet wurden[1]. Leipold liefert nun aber eine ausführliche und werkumfassende Diskussion von Marx‘ Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie.

Leipolds Analyse beruht auf der These, Marx (und auch Engels, wenngleich dieser im Buch keine spezifische Beurteilung erfährt) habe bereits in den Diskussionen des „Bundes der Gerechten/ der Kommunisten“ rund um die Revolution von 1848 einen „republikanischen Kommunismus“ (11) vertreten. Unter Berücksichtigung des damals vorhandenen diskursiven Feldes des Kommunismus, der noch weitgehend von Utopismus und insurektionistischen Verschwörungstaktiken geprägt war, habe Marx, so Leipold, sich weniger einfach vom radikalen Demokraten zum Kommunisten gewandelt, sondern selber eine neue Form des Kommunismus hervorgebracht (125). So meint Leipold: „Marx' Bekehrung zum Kommunismus beinhaltete somit eine komplexe Mischung aus Übernahme und Ablehnung republikanischer sozialer und politischer Verpflichtungen“ (15). Dieses Wechselverhältnis nachzuzeichnen, ist der Anspruch von Leipolds Buch. Hierfür orientiert er sich an Quentin Skinners Überlegungen zur Notwendigkeit der Einbeziehung der historischen Rahmenbedingungen und Akteur*innen zur ganzheitlichen Erfassung des Gegenstands. Leipold sperrt sich somit gegen die idealistische Überhöhung von Marx (und Engels), wie sie im doktrinären Partei-Marxismus zu finden ist und nimmt den immanent politischen Anspruch der Marx’schen Kritik und Gesellschaftstheorie ernst. Marx war nun mal, wie Engels an dessen Beerdigung verlautbaren ließ „vor allen Dingen Revolutionär“.

Vom frühen Radikal-Demokratismus zur reifen Kritik der politischen Ökonomie

Leipold zeichnet Marx‘ intellektuelle Hinwendung vom radikalen Demokraten der frühen Jahre hin zum Kommunisten nach, die sich vornehmlich zwischen 1843 und 1844 abspielte. Hier ist es Leipolds Verdienst, den prozessoralen Charakter dieser Entwicklung hervorzuheben. Marx wurde nicht über Nacht Kommunist und ebenso wenig ließ er über Nacht seine demokratischen Werte fallen, stattdessen spielten diese und ihre materialistische Radikalisierung eine entscheidende Rolle für Marx' Herausbildung eines „kritischen Kommunismus“[2] (15). Leipold stellt hier allerdings eine Besonderheit von Marx im Vergleich zum zeitgenössischen Radikalismus in den Mittelpunkt, wenn es um den menschlichen Träger der politischen Ideologie geht. Hierzu heißt es:

„Dieser Durchbruch war für Marx' Übergang vom Republikanismus zum Kommunismus so wichtig, nicht weil er nun dachte, dass die Arbeiterklasse die Revolution anführen würde, sondern aufgrund dessen, welcher (Herv. i. O.)  Arbeiterklasse er sich zuwandte. Der Republikanismus bezog seine Stärke traditionell aus der Arbeiterklasse, aber aus einer überwiegend handwerklich geprägten Arbeiterklasse, in der einzelne oder kleine Gruppen von Handwerkern mit ihren eigenen Werkzeugen in ihren eigenen Werkstätten produzierten. Marx hatte stattdessen die proletarische Arbeiterklasse, die aufgrund ihres Mangels an Eigentum dazu gezwungen war, ihre Arbeitskraft an kapitalistische Arbeitgeber in der Großindustrie zu verkaufen, als den revolutionären sozialen Akteur identifiziert, der die Emanzipation der Menschheit herbeiführen würde“ (136).[3]

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Leipold unter anderem Marx‘ Disput mit dem republikanischen und antikommunistischen Aktivisten Karl Heinzen. Dieser kritisierte die Kommunist*innen seiner Zeit für deren vermeintliches Nicht-Interesse an politisch progressiven Reformen (259 f.). Marx und Engels sahen sich von dieser Kritik zu Unrecht attackiert, da sie die Entwicklung des Republikanismus, wenn auch als Zwischenstadium, so doch als wünschenswertes Zwischenstadium erachteten. Für sie war die Republik ein Fortschritt und im Einklang mit ihrer historisch-materialistischen Herangehensweise die materielle Basis zur Herausbildung der objektiven Bedingungen für die kommunistische Gesellschaft (242). Nichtsdestotrotz konnten sich Marx und Engels mit dem nicht-kommunistischen Republikanismus Heinzens zu keiner Zeit anfreunden. Nach seiner sukzessiven Hinwendung zum Kommunismus insistiert Marx auf der Unmöglichkeit holistischer Emanzipation in der bürgerlichen Demokratie (227 ff.). Die rein formelle politische Gleichheit könne keine „wahre“ Gleichheit und Freiheit hervorbringen, falls sie nicht auch im Bereich der Ökonomie und der materiellen Produktion des Lebens verwirklicht werde. Die rein abstrakte republikanische Freiheit sei damit eine notwendigerweise unvollendete.

Marx' Republikanismus und seine arbeiterkommunistischen Kritiker

Dennoch bleibt Marx Kommunismus ein „republikanischer“, da er, wie Leipold aufzeigt, das progressive Transformationspotenzial einer republikanischen Epoche hochschätzt und in der anstehenden Revolution von 1848/49 die Proletarier*innen für den Kampf für die Demokratie zu gewinnen suchte. Ich teile hier Leipolds Einschätzung, wenn er Marx gegen die Kritik des britischen Historikers Stedman Jones[4] verteidigt, der Marx Anti-Republikanismus vorwirft und Leipold sogar die Frage stellt, ob Marx nicht sogar „zu viel Glauben“ in die progressive Kraft des Republikanismus gesteckt habe (242). Leipold schneidet die durchaus vorhandenen kritischen Stimmen gegenüber der Haltung Marxens' zur demokratischen Übergangsphase an, wenn er den Arbeiterkommunisten Andreas Gottschalk zitiert: „Wozu aber eine Revolution, wozu sollten wir Männer des Proletariats, unser Blut verspritzen, müssen wir wirklich, wie sie, Herr Prediger, uns verkündet, um der Hölle des Mittelalters zu entgehen, uns freiwillig in das Fegfeuer einer dekrepiden Capitalherrschaft stürzen, um von dort in den nebelhaften Himmel Ihres kommunistischen Glaubensbekenntnisses zu gelangen?“ (243)

Allerdings ist augenfällig, dass Leipold die durchaus hitzigen Diskussionen im damaligen „Bund der Gerechten/Bund der Kommunisten“ darüber hinaus kaum zur Kenntnis nimmt. Nicht nur Gottschalk, sondern vor allem der bis dahin bedeutendste deutschsprachige Arbeiterkommunist Wilhelm Weitling agitierten hämisch gegen jegliche demokratische Übergangsperiode und bezweifelten die propagandistische Sinnhaftigkeit des Unternehmens bei den Arbeiter*innen in der anstehenden Revolution für den Kampf für die Demokratie zu werben. Weitling sah darin eine Vergeudung des objektiv vorhandenen revolutionären Potenzials, wenn er schrieb:

„Was hat uns dies Opfer der Einheit gebracht, was genützt? [...] Dieselbe Masse, welche wir unter die Fahnen der Demokratie scharten, hätten wir unter die Fahnen des Kommunismus scharen können. Und diese Masse hätte dann die Bewegung besser verstanden, dafür mehr Zutrauen gehabt und mehr Mut darin entwickelt“.[5]

Ohnehin zeichnet sich der deutschsprachige Arbeiterkommunismus, nicht wie der Marx’sche Kommunismus durch einen Internationalismus, sondern einen strikten Anti-Nationalismus aus. Während Marx und Engels die nationale Einigungsbewegung als historisch progressiv bewerten und somit eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen nationalen Arbeiterbewegungen im Sinn haben, zeichnet sich der Anti-Nationalismus des deutschsprachigen Arbeiterkommunismus durch eine strikte Ablehnung jeglicher Nationalgefühle aus. Der historischen Nation sprechen sie keine fortschrittliche Rolle zu. Hier verfehlt es Marx und mit ihm leider auch Leipold ernsthaft zu diskutieren, inwiefern aus kommunistischer Perspektive jegliche Nationalbewegung überhaupt eine fortschrittliche sein kann. Dass Marx mit seiner Vorhersage der Demokratie als mittelfristige Vorgängerin des Kommunismus Unrecht hatte, macht es nötig, sich ausführlicher mit der arbeiterkommunistischen, anti-republikanischen Opposition und deren Argumenten in dieser Fragestellung zu befassen, als es der Autor hier tut. Für diese anregende Diskussion wäre eine noch tiefergehende Befassung mit den von Leipold nur knapp rezipierten Materialien zum Bund der Kommunisten zwischen 1836 und 1849 wünschenswert gewesen.[6]

Machtausübung in der Sphäre des Ökonomischen

Im Anschluss an die Diskussion der Revolution von 1848/49 folgt ein großer Sprung hin zum ersten Band des Kapitals. Hier hebt Leipold hervor, wie Marx das Kapitalverhältnis trotz seiner formalen Freiheit als faktisches Ausbeutungsverhältnis charakterisiert. Als „Tyrann“, „kleiner Unterdrücker“ oder als „Despotismus“ beschreibt Marx das Kapital beziehungsweise die Kapitalist*innen (306). Der*die Lohnarbeiter*in hingegen wird als „Lohnsklave“ bezeichnet (306): allesamt Formulierungen, die wie Leipold richtig hinweist, auf eine Skandalisierung des Kapitalverhältnisses auch nach den normativen Standards des Republikanismus zielen. Nichtsdestotrotz attestiert Marx der formellen Freiheit der Lohnarbeiter*innen und der durch sie wirkenden unpersönlichen Herrschaft des Kapitals eine progressive Rolle gegenüber der feudalen persönlichen Abhängigkeit (313). Gleichzeitig wäre es falsch zu behaupten, Marx hätte in der Abhängigkeit der Lohnabhängigen von der Kapitalist*innen-Klasse als solche, statt in der direkten persönlichen Abhängigkeit von Sklav*innen keinen Vorteil gesehen (313). Er weist auf die Scheinheiligkeit einer Bourgeoisie hin, die „die darauf besteht, dass diese Art von willkürlicher Macht im öffentlichen Bereich inakzeptabel ist (wo die politische Macht durch die Gewaltenteilung und die repräsentative Regierung eingeschränkt werden muss), sich aber völlig unbesorgt zeigt, wenn sie im vermeintlich privaten Bereich der Beschäftigung auftritt“ (308). Insbesondere der Aspekt der willkürlichen Machtausübung, wie sie im kapitalistischen Betrieb üblich ist, unterminiert, wie Leipold zeigt, die eigene republikanische Ideologie des Bürgertums (306 ff.). Auch zeigt Leipold auf, dass sich Marx’ Kritik am Lohnarbeitsverhältnis nicht allein in der materiellen Armut der Lohnabhängigen erschöpft, sondern darüber hinaus auch deren entmenschlichte Position im Produktionsprozess anklagt (311). Auch liefert Leipold eine nuancierte Diskussion über das Verhältnis von individueller Macht und Spielraum des einzelnen Kapitalisten und genereller Unterordnung unter die Gesetze des Marktes (338). Auch, wenn die Lohnabhängigen im Betrieb der Willkür ihrer Vorgesetzten ausgeliefert sind, finde jene Willkür ihre Beschränkung in der Tatsache, dass auch die „ökonomischen Machthaber“ selber nur als „Personifikation ihrer gesellschaftlichen Stellung“ agierten und als solche bei „Strafe des Untergangs“ ihr Unternehmen so führen müssten, dass sie in der Konkurrenz bestehen. Ebenso gehe Marx hier über die schon vorhandene republikanische Kritik an der potenziellen Willkür hinaus, da er die tiefer liegenden kapitalistischen Konkurrenzzwänge der Charaktermaske „Kapital“ zu Tage fördert. Der*die Kapitalist*in werde von der Konkurrenz dazu gezwungen, sich am Markt zu beweisen, aber nur unter der Prämisse, dass er*sie als Kapitalist*in fungieren möchte (339).

Ein „lesenswertes Debüt“ über Marx’schen „republikanischen Kommunismus“

Abschließend widmet sich Leipold Marx-Rezeption den Geschehnissen der Pariser Kommune von 1871. Hier kam Marx zur Einsicht, „dass die politische Form der bürgerlichen Gesellschaft, die bürgerliche Republik, eine ungeeignete politische Form sei, um den Kommunismus herbeizuführen.“ (347). Leipold konzentriert sich hierbei auf die Marx’sche Kritik an der bloßen Repräsentation der Massen im bürgerlichen Republikanismus und an der notwendigen Übergangszeit, in welcher die Staatsgeschäfte einer Kontrolle des Volkes unterstellt werden müssen (347). Darüber hinaus stellt sich Leipold gegen den simplifizierenden Mythos, Marx habe nach einer erfolgreichen kommunistischen Revolution und einer Übergangsphase die komplette Überwindung jeglicher politischen Fragen prognostiziert. Obschon Marx sich auch noch zur Zeit der Kommune gegen die utopische Systembastelei stellt (361), findet sich bei Leipold eine übersichtliche Darstellung der Institutionen und Prinzipien, die Marx für die „soziale Republik“ im Blick hatte (362). Dazu zählten unter anderem die Abschaffung eines stehenden Herres zur und ihre Ersetzung durch eine Volksmiliz, eine gewählte und abwählbare Justiz, die klare Trennung von Staat und Kirche, gewählte und jederzeit abwählbare Volksvertreter, welche nicht mehr als normale Arbeiter*innen verdienen sollten (362). Diese kurze und unvollständige Aufzählung verdeutlicht, dass Marx viel Wert darauf legte demokratische Prinzipien zu fördern und die Gefahr der Machtzentralisierung und dadurch potenzielle Kooptierung der öffentlichen Angelegenheiten strikt zu regulieren.

Alles in allem legt Leipold mit seiner Dissertation ein mehr als lesenswertes Debüt hin. Zu den klaren Stärken des Buches zählt seine intensive Quellenarbeit, der bewusste Einbezug der historischen Rahmenbedingungen und Leipolds Fähigkeit, den spezifischen Gehalt des Marx’schen „republikanischen Kommunismus“ herauszuarbeiten und diesen dennoch nicht als fixe Ideologie, sondern als stetig weiter entwickelte Theorie darzulegen. Jedoch wäre eine tiefgehende Würdigung der arbeiterkommunistischen Kritik am republikanischen Kurs der Marx-Engels-Fraktion im Bund der Kommunisten, insbesondere unter Berücksichtigung der realhistorischen Niederlage dieses Ansatzes wünschenswert gewesen. Dem zum Trotz ist Leipolds gut recherchiertes und in seinen Positionen wohlbegründetes Werk sowohl Marx-Engels-Forscher*innen als auch allen politisch Interessierten wärmstens zur Lektüre zu empfehlen.


Anmerkungen:

[1] Siehe vor allem: Hal Draper (1977): Karl Marx – Theory of Revolution Vol. 1, State and Bureaucracy, Monthly Review Press, New York.

[2] Karl Marx: Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln, in: Marx-Engels-Werke Band 8, S. 468.

[3] Alle Zitate aus dem Buch sind eigenen Übersetzungen aus dem englischen Original.

[4] Gareth Stedman Jones (2016): Karl Marx - Greatness and Illusion, Allen Lane, London, S. 271

[5] Weitling, Wilhelm (1955 [1842]): Garantien der Harmonie und Freiheit, Akademie-Verlag, Berlin.

[6] Förder, Herwig; Hundt, Martin; Kandel, Jefim; Lewiowa, Sofia (1983): Der Bund der Kommunisten. Dokumente und Materialien, Band 1 (1836–1849), Dietz, Berlin.



DOI: 10.36206/REZ25.24
CC-BY-NC-SA