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/ 22.06.2013
Alexis von Komorowski

Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung

Berlin: Duncker & Humblot 2010 (Schriften zum Europäischen Recht 148); 1.371 S.; 168,- €; ISBN 978-3-428-13170-9
Rechtswiss. Diss. Freiburg i. B.; Gutachter: D. Murswiek, T. Würtenberger. – In der jüngeren deutschen Staatslehre gibt es vereinfacht formuliert zwei Richtungen, die überkommene nationalstaatliche Theorie der Volks- und Staatssouveränität den Erfordernissen europäischer Integration anzupassen: durch Modifizierung oder durch ihre Überwindung. Genau in diesen Kontext ist die Arbeit einzuordnen, in der – ausgehend vom zentralen Problem der demokratischen Legitimation der Rechtsnormen („Demokratiedefizit“) – die verfassungsrechtlichen Bedingungen der europäischen Integration bestimmt werden. Das Thema hat durch die Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zusätzliche Relevanz erhalten. Von Komorowski sieht dabei ganz klar, dass aufgrund der Deutungsoffenheit verfassungsrechtlicher Begriffe der „Allgemeinen Staatslehre“ eine „zentrale Vermittlerrolle“ zufällt, um „die Erkenntnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften“ in „eine mit dem juristischen Begriffssystem kompatible Terminologie umzugießen und normwissenschaftlich handhabbar zu machen“ (72). Das macht die Arbeit auch für die Politikwissenschaft interessant – und beweist zugleich neuerlich, wie stark juristische Ergebnisse gerade im Verfassungsrecht von politisch-theoretischen Vorverständnissen abhängig sind. Drei Fragen werden in den Vordergrund gestellt: „Wer ist eigentlich das Volk? Wie kann dieses Volk – zumal in Großgesellschaften – überhaupt souverän sein? Was hat es mit der begrifflichen Teilidentität von Volks- und Staatssouveränität auf sich?“ (62) Ausgangspunkt ist hierbei die Staatslehre Hermann Hellers, sodass von Komorowski zwar grundsätzlich am Konzept der Volks- und Staatssouveränität festhält. Zugleich aber gelingt ihm eine insofern überzeugende Überwindung der vom Verfassungsgericht seit Maastricht vertretenen, „offiziellen“ Doktrin, indem er u. a. mittels des freiheitlichen Zusammenhangs von „menschenrechtliche[r] Autonomie und Demokratie“ (628) zu einem offenen Verständnis des Art. 20 II GG durchdringt, das neben dem „deutschen Staatsvolk grundsätzlich auch die Unionsbürgerschaft als taugliches demokratisches Legitimationssubjekt“ (688) postuliert. Von diesem Modell der „doppelten“ demokratischen Legitimation aus betrachtet kommt er zu einer grundsätzlich moderat-europafreundlichen verfassungsrechtlichen Bewertung des Integrationsprozesses. Kritisch bleibt anzumerken, dass die Arbeit zwar in der Fülle der interdisziplinär verarbeiteten Literatur beeindruckt, mit fast 1.400 Seiten jedoch zu opulent geraten ist.
Robert Chr. van Ooyen (RVO)
Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
Rubrizierung: 3.22.323.1 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Alexis von Komorowski: Demokratieprinzip und Europäische Union. Berlin: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/32534-demokratieprinzip-und-europaeische-union_38829, veröffentlicht am 30.11.2010. Buch-Nr.: 38829 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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