/ 05.09.2013
Heimo Reinitzer (Hrsg.)
Deutschland und Europa: Wächst zusammen, was zusammen gehört?
Berlin: Walter de Gruyter 2013 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Hamburg 3); VII, 88 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-11-029594-8„Europa, eigentlich erst eine Idee der Aufklärung, [ist] noch nie vollendet gewesen. Ohne politische Einheit [ist] Verschiedenheit eines seiner stabilsten Kennzeichen“ (32), erklärt Michael Borgolte in seinem historischen Rückblick auf den Prozess der Europäisierung. Sein Beitrag ist Teil dieses Sammelbandes, in dem Vorlesungen verschiedenster Historiker aus einer Vortragsreihe an der Akademie der Wissenschaften in Hamburg publiziert werden. Borgoltes weitere Überlegungen über historische Identitäten – in denen er die Kreuzritter zu „Glaubensboten“ (35) relativiert – erweisen sich insgesamt als unergiebig. Auffällig ist aber, dass er seinen fünfzehnseitigen Beitrag mit knapp 50 Fußnoten versieht, in denen er konsequent fast nur sich selbst zitiert sowie Wikipedia als eine weitere Quelle angibt. Tiefpunkt des Beitrages sind seine halbwissenschaftlichen Erklärungen dazu, wie solides Haushalten und Religion zusammenhängen – nicht im Sinne Max Webers, sondern aufgrund „der Kulturen“ (32). Dem schließt sich Dan Diner an, der Griechenlands aktuelle Wirtschafts‑ und Finanzprobleme auf die muslimische Prägung zurückführt. So seien die „habituellen Voraussetzungen“ der Grund, warum in dem Land „die Trennung der Sphären von privat und öffentlich weniger scharf gezogen [sind] als in den Kernländern des protestantischen Nordens“ (49). Dieses Sammelsurium an seltsam anmutenden Wissenschaftsverständnissen ergänzt Herausgeber Heimo Reinitzer in einer teils polemischen Art. Die Äußerung „Europa ist nichts ohne gesunde Finanzen“ (2) garniert er mit der Forderung nach dem Friedensnobelpreis für Angela Merkel, einem Hieb gegen die EU‑Osterweiterung und den Islam generell – damit sind nur wenige seiner teils überraschenden Statements genannt. Reinitzer ist sich außerdem auch nicht zu schade, Guantánamo auf eine Stufe mit dem Holocaust zu stellen. Einzig der letzte Beitrag in dem Buch, der Essay von Anja Pistor‑Hatam gegen ethnische Vorurteile, wird dem titelgebenden Europa‑Gedanken gerecht. Prinzipiell stellt sich für die Leser_innen nach der knapp 90‑seitigen Lektüre aber vor allem die Frage, was sie hier erlebt haben – scheint das Werk doch zwischen Wissenschaft und Rechtspopulismus zu oszillieren.
Vincent Wolff (VW)
Student der Politikwissenschaft, Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Universität Bonn.
Rubrizierung: 3.1 | 2.23 | 2.61 | 2.35 | 2.3
Empfohlene Zitierweise: Vincent Wolff, Rezension zu: Heimo Reinitzer (Hrsg.): Deutschland und Europa: Wächst zusammen, was zusammen gehört? Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36143-deutschland-und-europa-waechst-zusammen-was-zusammen-gehoert_44112, veröffentlicht am 05.09.2013.
Buch-Nr.: 44112
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Student der Politikwissenschaft, Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Universität Bonn.
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