/ 18.06.2013
Peter-Jürgen Boock
Die Entführung und Ermordung des Hanns-Martin Schleyer. Eine dokumentarische Fiktion
Frankfurt a. M.: Eichborn 2002; 204 S.; geb., 19,90 €; ISBN 3-8218-3976-7Der Autor schildert die Ereignisse des „Deutschen Herbstes" 1977 aus der Innensicht der Entführer und Bewacher des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer. Boock, für Planung und technische Durchführung der Geiselnahme maßgeblich verantwortlich und anschließend zeitweise einer der Bewacher des Entführten, verzichtet in seiner „dokumentarischen Fiktion" jedoch auf eine Zuschreibung bestimmter Aussagen und Handlungen mit Namensnennung und verwendet für die beteiligten Entführer ebenso wie für alle übrigen damals zur Gruppe der aktiven RAF-Terroristen zählenden Personen stattdessen fiktive Tarnnamen. Seine Absicht ist dabei, die Verantwortung einzelner Personen für bestimmte Straftaten, bis hin zur Ermordung der Geisel nach 40 Tagen, bewusst unkenntlich zu machen: „Jetzt mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die das ausgeführt haben, was wir alle von ihnen erwarteten, wäre meinem Empfinden nach nicht korrekt." (15) Der ergänzende Hinweis, alle an der Entführung und Ermordung Beteiligten seien inzwischen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden und verbüßten diese, mag nach den Erkenntnissen der Ermittlungen zutreffen. Dennoch wird der dokumentarische Wert der dargestellten Erinnerungen dadurch stark gemindert, denn die Umstände und Abläufe der damaligen Ereignisse sind inzwischen weitgehend erforscht und zu den wenigen offenen Fragen trägt Boock nichts Neues bei. Das gilt auch für den Wortlaut oder Inhalt der so genannten Verhöre bzw. politischen Diskussionen, welche von den Entführern mit ihrem Opfer geführt und angeblich aufgezeichnet wurden (die Bänder sind verschollen). In der von Boock wiedergegebenen Form kommt lediglich ein beachtliches Maß an politischer Naivität und historischer Unkenntnis aufseiten der Entführer zum Ausdruck, das den ideologischen Überbau ihrer Anschläge noch brüchiger erscheinen lässt als aufgrund bisheriger Forschungen ohnehin vermutet.
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 2.37 | 2.313
Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Peter-Jürgen Boock: Die Entführung und Ermordung des Hanns-Martin Schleyer. Frankfurt a. M.: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/18193-die-entfuehrung-und-ermordung-des-hanns-martin-schleyer_21023, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 21023
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
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