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Analyse / 27.07.2018

Die Integration von Flüchtlingen und Arbeitsmigranten in der Arbeitswelt. Betrieblicher Universalismus unter Druck

Zwar finden sich Ressentiments gegenüber Menschen anderer Herkunft, die in der deutschen Gesellschaft virulent sind, auch in der Arbeitswelt. Beschäftigte berichteten jedoch, dass sie mit ihren Kolleg*innen überwiegend gut auskommen. Laut Werner Schmidt ist der Arbeitsprozess durch eine „pragmatische Zusammenarbeit“ geprägt. Diese werde durch das deutsche Modell der industriellen Beziehungen begünstigt, sodass sich Menschen trotz unterschiedlicher Herkunft „auf Augenhöhe“ gegenübertreten können. Dennoch seien die Betriebe vor zusätzliche Herausforderungen gestellt.

„Von Beschäftigten jeder Herkunft wird in der Regel berichtet, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen gut miteinander auskommen. Die Diskurse und Meinungen sind offenbar weniger kollegial als die betriebliche Alltagspraxis.“ Foto: jarmoluk / Pixabay „Von Beschäftigten jeder Herkunft wird in der Regel berichtet, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen gut miteinander auskommen. Die Diskurse und Meinungen sind offenbar weniger kollegial als die betriebliche Alltagspraxis.“ Foto: jarmoluk / Pixabay

 

 

Die in jüngerer Zeit deutlich angestiegene Zuwanderung von Flüchtlingen hat politische Debatten darüber ausgelöst, ob es gelingen kann, die ins Land kommenden Menschen zu integrieren, oder ob restriktivere Zuwanderungsregeln erforderlich sind. In der Öffentlichkeit stehen sich Befürworter und Gegner der aktuellen Flüchtlingspolitik mitunter unversöhnlich gegenüber. Während einerseits viele Bürgerinnen und Bürger Flüchtlinge unterstützen und sich für deren Integration engagieren, befürchten andere negative Auswirkungen auf die Gesellschaft. Ein Teil der Bevölkerung lehnt die Integration von Flüchtlingen rundweg ab.

Bisherige Erfahrungen und Forschungen sprechen dafür, dass die Integration in die Arbeitswelt als Herzstück der gesellschaftlichen Integration betrachtet werden muss: Findet eine erfolgreiche Integration in die Arbeitswelt statt, dann steigen auch die Chancen gesellschaftlicher Integration. Gelingt es, einen großen Teil der erwerbsfähigen Flüchtlinge in Arbeit oder Ausbildung zu bringen, dann kann die Zuwanderung angesichts der demografischen Entwicklung darüber hinaus bei der Sicherung des Arbeits- und Fachkräftebedarfs helfen. Misslingt die Integration allerdings, dann drohen langfristige Belastungen für die Sozialversicherungssysteme sowie weiter anwachsender Populismus und Rechtsextremismus.

Obgleich die Integration der Geflüchteten eine erhebliche Herausforderung darstellt, zeigt ein Blick in die deutsche Nachkriegsgeschichte, dass auch umfangreiche Zuwanderung keineswegs ein Novum ist – erinnert sei nur an die Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten,1 die Spätaussiedler, die Flüchtlinge während der Balkankriege und die Arbeitsmigranten und -migrantinnen aus den südeuropäischen Ländern.2 Allerdings hängt eine gelingende Integration in die Arbeitswelt von einer Reihe von Faktoren ab. Bedeutsam sind vorhandene oder noch zu erwerbende sprachliche und berufsfachliche Kompetenzen und die Integrationsbereitschaft der Flüchtlinge einerseits sowie der Bedarf an Arbeitskräften und die Aufnahme- und Einstellungsbereitschaft der Betriebe andererseits, nicht zuletzt auch Offenheit und Aufnahmebereitschaft der Belegschaften – der Führungskräfte wie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Vergleich zeigen sich zwischen der betrieblichen Integration von Arbeitsmigranten und Flüchtlingen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede sowie neue Risiken und Chancen.

 

Betriebliche Integration von Arbeitsmigranten

Die Unterscheidung zwischen Systemintegration und Sozialintegration des britischen Soziologen David Lockwood3 aufgreifend, kann differenziert werden zwischen der Integration von Beschäftigten in die betrieblichen Strukturen und Prozesse einerseits und in die betrieblichen Sozialbeziehungen andererseits, also den Kontakten und Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten. In einem Betrieb ist Sozialintegration keine nur von Migrantinnen und Migranten zu erbringende Leistung, sondern eine ständige Anforderung an alle Beteiligten. Auch wenn keine Migranten beschäftigt werden, ist ohne jede Sozialintegration kein funktionierender Arbeitsprozess möglich.4 Gleichwohl stellen sich mit der betrieblichen Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft besondere Anforderungen.

In der Überzeugung, dass ihr Aufenthalt nur vorübergehend und Deutschland kein Einwanderungsland sei, wurde der Integration der ehemaligen „Gastarbeiter“ zunächst wenig Aufmerksamkeit zuteil. Die mit der Beschäftigung im Segment der angelernten Arbeit verbundene strukturelle „Unterschichtung“5 und Marginalität wurden in Kauf genommen. Aufenthalt und Unterschichtung erwiesen sich jedoch als dauerhaft und setzten sich partiell auch über die Generationen fort.6 In den betrieblichen Sozialbeziehungen hingegen ließ die Marginalität allmählich nach, ohne deshalb gänzlich problemlos zu werden.7

In der deutschen Gesellschaft vorkommende Ressentiments gegenüber Menschen anderer Herkunft finden sich auch in der Arbeitswelt. Betriebe sind nicht völlig abgeschottet. In einer betrieblichen Studie fanden Statements wie „Arbeitslose Ausländer sollten Deutschland verlassen müssen“ oder „Viele Ausländer passen sich in Deutschland zu wenig an“ unter Beschäftigten deutscher Herkunft einige Zustimmung (34 beziehungsweise 80 Prozent).8 Würde das Vorkommen von Ressentiments unvermittelt eine entsprechende Praxis nach sich ziehen, dann sollten Beschäftigte ausländischer Herkunft relativ durchgängig Erfahrungen mit Diskriminierung konstatieren. Dies ist jedoch mehrheitlich nicht der Fall: Von Beschäftigten jeder Herkunft wird in der Regel berichtet, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen gut miteinander auskommen. Die Diskurse und Meinungen sind offenbar weniger kollegial als die betriebliche Alltagspraxis. Gerade in der Arbeitswelt wäre es deshalb irreführend, aus den Meinungen auf die alltägliche Praxis der Interaktion zu schließen.

Die Zusammenarbeit im Betrieb ist zunächst eine Anforderung des Arbeitssystems, dem sich alle Beteiligten nicht entziehen können und im weithin geteilten Interesse einer rationalen Arbeitswelt9 auch nicht entziehen wollen. Es ist schlicht im Eigeninteresse der Beschäftigten, ohne größere Störungen zusammenzuarbeiten. Im Rahmen der genannten Studie formulierte etwa ein Arbeiter mit Migrationshintergrund:

„Wir sind hergekommen, damit wir hier schaffen. Das geht um unseren Arbeitsplatz [...]. Ich meine, das hat jeder im Kopf, jeder verstanden, dass es sein Ziel ist, und dass es deshalb für sich selbst ist, wenn er mit anderen Leuten gut umgeht, und kein Problem [hat] […]“10

Ähnlich klingt es bei einem Beschäftigten deutscher Herkunft:

„[...] wir sind hier auf der Arbeit, jeder weiß, was er zu tun hat. Und was privat geht, das sind wieder ganz andere Sachen, ob dem seine türkische Mutter mit dem Kopftuch rumläuft […], das ist mir völlig egal. Wir sind hier auf der Arbeit, machen hier unsere Arbeit, und dann hat sich das für mich. […] wir kommen miteinander aus, und das ist die Hauptsache."11

Durch die im Arbeitsprozess angelegte Kooperation verändert sich allmählich auch der Charakter der Beziehungen und der Personen selbst. Da in den Betrieben viele der Beschäftigten bereits seit Jahren tätig sind und zusammenarbeiten (oft als „Überalterung“ beklagt), wird aus einer bei vielen zunächst zur Schau gestellten freundlichen Fassade nicht selten echte Kollegialität. Der Punkt ist: Kommunikation kommt nicht ohne Gefühlsäußerungen aus, die im Sinne des deep acting12 dann auch nicht völlig ohne Gefühle bleiben können. Um nicht über längere Zeit eine Diskrepanz zwischen Handeln und Gefühlen aushalten zu müssen, wird gespielte Kollegialität zu gefühlter Kollegialität. Zusammenarbeit wirkt auf die Gefühlsausstattung der Beschäftigten. Kooperation ist somit günstig, um positive Effekte auf Verhalten und Emotionen auszulösen.13

Es wäre zwar auch in anderen gesellschaftlichen Sphären zu kurz geschlossen, Diskurse und Interaktionen deckungsgleich zu sehen, doch obwohl tatsächliche oder vermutete Konkurrenzkonstellationen auf dem Arbeitsmarkt Ethnozentrismus und Ressentiments eher begünstigen, wirkt gerade der Arbeitsprozess selbst solchen Orientierungen in positiver Weise entgegen. Dies gilt jedenfalls unter geeigneten Rahmenbedingungen, etwa bei Statusgleichheit als Arbeitnehmer, Verfolgung gemeinsamer Ziele sowie bei Unterstützung durch Regeln und Autoritäten.

Allerdings hat die Kollegialität durchaus ihre Grenzen, weshalb der Ausdruck „pragmatische Zusammenarbeit“ angemessen scheint.14 Die oben zitierte Aussage eines Beschäftigten deutscher Herkunft deutet auf eine dieser Begrenzungen hin, die Externalisierung von Differenz. Die allermeisten Beschäftigten sind sich einig, dass kulturelle und politische Unterschiede bei der Arbeit nichts zu suchen haben und als „privat“ zu betrachten sind. Die Externalisierung von Differenz entlastet alle Beteiligten von Akkulturation oder Konflikten – jedenfalls die meiste Zeit, das heißt solange sich die Interessenlage nicht merklich ändert, was etwa bei Konkurrenz um eine Vorarbeiterstelle auf dem betriebsinternen Arbeitsmarkt der Fall sein kann, oder wenn gesellschaftliche Störfaktoren, etwa auf Attentate folgende Islamdebatten, zu stark werden, um diese draußen halten zu können. Dann zeigt die Kollegialität Risse und kollabiert mitunter geradezu – meist jedoch nur vorübergehend, da die Anforderung der Kooperation weiterhin besteht und eine Rückkehr zur Kollegialität begünstigt.

Ein wichtiger Faktor, der „pragmatische Zusammenarbeit“ begünstigt, ist das „deutsche Modell der industriellen Beziehungen“. Dort, wo Tarifverträge dafür sorgen, dass für alle dieselben Regeln gelten und von allen Beschäftigten gewählte Betriebs- oder Personalräte (aktives und passives Wahlrecht diskriminiert hier nicht nach Staatsbürgerschaft) sich darum bemühen, auch die Interessen aller zu vertreten, sind die von der Vorurteilsforschung genannten Positivbedingungen weitgehend erfüllt, damit sich Menschen trotz unterschiedlicher Herkunft „auf Augenhöhe“ gegenübertreten können.15 Trotz sozialstruktureller Unterschichtung und mitunter vorkommender Benachteiligung sind dort zumindest im Grundsatz herkunftsübergreifende, universell gültige Regeln selbstverständlich, etwa das Prinzip „gleiches Entgelt für gleiche Arbeit“. Auch wird eine herkunftsübergreifende Vertretung von Interessen und damit eine gemeinsame Arbeitnehmeridentität institutionell befördert. Da sich die Anwendung dieser für alle gültigen Regeln jedoch nur auf den Betrieb, bestenfalls auf einen Sektor beschränkt, muss paradoxerweise von einem „betrieblichen Universalismus“ gesprochen werden.16

 

Flucht und betriebliche Integration

Mit Blick auf den Wanderungsprozess selbst ist der Unterschied zwischen Arbeits- und Fluchtmigration kategorial relativ klar: Während Arbeitsmigranten primär das Ziel verfolgen, sich eine (bessere) Arbeit zu verschaffen, geht es bei der Flucht zunächst darum, ein Land oder einen Landstrich zu verlassen, in dem man die grundsätzlichen Lebensbedingungen, seien dies politische Verfolgung, Krieg oder Bürgerkrieg, für unerträglich hält. Da auch mit einer Flucht Ziele und Hoffnungen verbunden sind, die sich auf die Zukunft beziehen, ist der Unterschied zwischen Flucht- und Arbeitsmigration empirisch nicht immer ganz trennscharf. Allerdings bedingen die unterschiedlichen Wanderungsursachen zentrale Unterschiede für den Prozess der Integration in die Arbeitswelt: Während bei Arbeitsmigranten meist eine relativ konkrete Vorstellung von der angestrebten Tätigkeit besteht, möglicherweise die Arbeitsstelle durch Anwerbung oder Bewerbung, unter Umständen vermittelt über Kettenmigration und Netzwerke, bereits vorgeklärt ist, können sich Flüchtlinge gewöhnlich nicht spezifisch auf den Arbeitsmarkt des Zuwanderungslandes vorbereiten. Das Zueinanderfinden von Person und Arbeitsplatz, das sogenannte matching, ist bei Geflüchteten nicht geplant. Und erweist sich dann in vielen Fällen in dreierlei Hinsicht als schwierig:

  • Mit Blick auf die einzelne Person bestehen im Wesentlichen drei Gründe, die einen Erfolg erschweren: Erstens ist der Zuordnungsprozess noch vollständig zu leisten, zweitens bleibt das matching meist solange erfolglos, wie es an einer gesicherten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis fehlt. Drittens fehlt es oft an hinreichenden sprachlichen und berufsfachlichen Kompetenzen.

  • Aus struktureller Perspektive gibt es vornehmlich zwei Schwierigkeiten: Erstens ist die Zahl der ohne berufliche Förderung besetzbaren Einfacharbeitsplätze voraussichtlich geringer als benötigt,17 woraus sich ein erheblicher Bedarf an langwierigen berufsvorbereitenden und berufsbildenden Maßnahmen ergibt, um Facharbeitsplätze mit Flüchtlingen besetzen zu können. Zweitens sind trotz erheblicher Bemühungen die institutionellen Voraussetzungen zur Bewältigung des matching-Problems noch nicht hinreichend geschaffen.

  • Schließlich drohen – partiell als Reaktion auf den zu betreibenden Aufwand – Probleme der gesellschaftlichen und betrieblichen Sozialintegration. Diese könnten wiederum dazu beitragen, dass die Bereitschaft der Kollektivakteure Staat, Arbeitgeber und Gewerkschaften, den Aufwand für hinreichende Integrationsmaßnahmen auf Dauer zu tragen, leidet. Während bei der Arbeitsmigration, bei allen damit verbundenen Spannungen, der Nutzen für die deutsche Gesellschaft und die Unternehmen kurzfristig überwiegt, ist das bei der Integration von Flüchtlingen zunächst nicht der Fall, da die Integration in die Arbeitswelt einen längeren Zeitraum benötigt.18


Viele Unternehmen stehen indes der Integration von Geflüchteten positiv gegenüber. Da bei der betrieblichen Integration von Geflüchteten jedoch das matching von Person und Tätigkeit mit dem Eintritt in ein Unternehmen oft nicht abgeschlossen ist, sind die Anforderungen an die Unternehmen hoch. Soweit besondere Maßnahmen für Geflüchtete angeboten werden, dominieren in größeren Unternehmen bisher Angebote, die der beruflichen Orientierung, dem Spracherwerb und der Berufsvorbereitung dienen (Einstiegsqualifizierung). Bei Berufsvorbereitungsmaßnahmen handelt es sich mitunter um Maßnahmen, die es in ähnlicher Form auch bisher schon für Jugendliche gab und die jetzt in modifizierter Weise, insbesondere ergänzt um sprachliche Förderung, für Flüchtlinge angeboten werden. Ein Beispiel dafür sind die einjährigen „Start in den Beruf“-Maßnahmen der chemischen Industrie, die aus einem gemeinsamen Fonds der Tarifparteien der Branche gefördert werden; andere Maßnahmen werden aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit gefördert. In Unternehmen ohne eigenen Bedarf an Arbeitskräften oder Auszubildenden kann dabei eine Orientierungsphase in Form von Praktika oder eine berufsvorbereitende Maßnahme auch dazu gedacht sein, auf die Tätigkeit oder die Ausbildung in einem anderen Unternehmen vorzubereiten. Vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen ist ein bereits bestehender Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel jedoch förderlich für die Einstellungs- und Integrationsbereitschaft der Unternehmen.

In manchen Unternehmen, die bisher wenig Schwierigkeiten haben, hinreichend geeignete Bewerber für Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu finden, sind solche Maßnahmen jedoch weniger betrieblichem Bedarf, sondern gesellschaftspolitischem, bisweilen eher symbolischem Engagement zu verdanken.19 Letzteres ist ehrenwert, setzt dem Umfang des Engagements in einem marktwirtschaftlichen Kontext jedoch Grenzen. Mitunter arbeiten auch kleinere und mittlere Unternehmen zusammen, wobei – eventuell in Kooperation mit Wohlfahrtseinrichtungen oder Berufsschulen – geeignete Voraussetzungen zur systematischen Umsetzung von Berufsvorbereitungsmaßnahmen (Ausbildungszentren, Sprachförderung, sozialpädagogische Betreuung) einerseits und ein tatsächlicher Bedarf an Arbeitskräften und Auszubildenden andererseits zusammengebracht werden. Allerdings ist eine Ausbildung, die sich inklusive Vorbereitung über mehrere Jahre erstreckt, für ältere Flüchtlinge weniger geeignet, da diese häufig auf ein höheres Einkommen angewiesen sind. Reguläre Teilzeittätigkeiten gekoppelt mit Teilzeitausbildung könnten hier hilfreich sein (auch für Personen ohne Fluchthintergrund). Doch trotz der insgesamt erfreulichen Bemühungen vieler Unternehmen, meist mitgetragen oder sogar angeregt von den Betriebsräten oder den Tarifparteien, bleibt doch zu konstatieren, dass vor dem Hintergrund teils fehlenden Bedarfs, teils begrenzter Möglichkeiten bisher trotz vielfältiger Bemühungen kein den Anforderungen genügendes berufsvorbereitendes und vermittelndes universelles matching-Regime etabliert werden konnte.

 

„Betrieblicher Universalismus“ unter Druck

Viele Unternehmen und Beschäftigte haben die gesellschaftliche „Willkommenskultur“ mitgetragen, etwa wurden bürgerschaftliche Initiativen, Verbände und Kommunen bei der Integration von Flüchtlingen gefördert, Spenden in der Belegschaft gesammelt und vom Unternehmen aufgestockt oder andere Aktivitäten von Beschäftigten unterstützt. Es gab sogar Freistellungen für ehrenamtliches Engagement.

Gleichwohl sind betriebliche Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen keineswegs gänzlich unproblematisch für das Funktionieren der betrieblichen Sozialintegration – nicht etwa wegen gravierender kultureller Unverträglichkeiten, sondern weil besondere berufliche Fördermaßnahmen für Geflüchtete erforderlich sind. Durch Berufsvorbereitungsmaßnahmen und Sprachkurse geraten die Flüchtlinge in einen Sonderstatus. Besondere Fördermaßnahmen müssen aus der Perspektive eines auf den Betrieb beschränkten Verständnisses von Gleichbehandlung, des „betrieblichen Universalismus“, als Bevorzugung erscheinen – auch wenn sich diese über den betrieblichen Tellerrand hinausblickend allenfalls als partieller Ausgleich für bestehende Benachteiligungen erweisen.

Berufsvorbereitungsmaßnahmen für Flüchtlinge sind offenbar den Beschäftigten oftmals nur dann zu vermitteln, wenn sie (a) nicht zulasten bestehender Plätze gehen, somit „on top“ eingerichtet werden, und (b) (im selben Umfang) zusätzliche Förderplätze für mit Ausbildungsplätzen noch „unversorgte“ sonstige Jugendliche eingerichtet werden, insbesondere für Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dafür setzen sich häufig auch die Betriebsräte ein. Durch die zusätzliche Förderung von nicht geflüchteten Jugendlichen scheint es zu gelingen, den Regeln des „betrieblichen Universalismus“ zu genügen und mangelnder Akzeptanz vorzubeugen.

Wenn neben jungen Geflüchteten auch andere Jugendliche von zusätzlicher Förderung profitieren, so ist dies sicherlich positiv zu werten. Allerdings steigt dadurch der Zeit- und Kostenaufwand für Integrationsmaßnahmen, was einer eigentlich erforderlichen Ausweitung der betrieblichen Förderung eher entgegensteht. Damit es nicht zu einer Blockade kommt, bedarf es auch einer Veränderung der dominanten Gerechtigkeitsvorstellungen: Eine erweiterte, über den Betrieb hinausreichende Perspektive ist erforderlich.

Ein Wandel der Gerechtigkeitsvorstellungen ist keine einfache Aufgabe, denn der „betriebliche Universalismus“ ist nicht nur eine spezifische Perspektive auf Gerechtigkeit, sondern auch eine Art Modus Vivendi, ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Interessenlagen und Orientierungen, mit dem die meisten Beteiligten in den Betrieben bisher ganz gut leben konnten. Allerdings muss konstatiert werden, dass die ohnehin durch Leiharbeit und intern agierende Fremdfirmen destabilisierte Abgrenzung des Interaktionsraums Betrieb derzeit auch deshalb schlechter zu funktionieren scheint, weil sich rechtspopulistische Diskurse weniger als noch vor ein paar Jahren externalisieren lassen. Auch das von dieser Seite eindringende Narrativ einer Benachteiligung der Einheimischen stellt den „betrieblichen Universalismus“ de facto infrage, beruft sich jedoch beim Argument der eigenen Benachteiligung nicht selten gerade (wenn auch meist zu Unrecht) auf das Prinzip der Gleichbehandlung.

Unter dieser Voraussetzung mag es für viele betriebliche Akteure naheliegender sein, die Regeln des „betrieblichen Universalismus“ zu verteidigen, als diese durch eine erweiterte Perspektive selbst zusätzlich infrage zu stellen. Während die Institutionen der betrieblichen Mitbestimmung mit Blick auf die Arbeitsmigration hochgradig funktional sind, da sie herkunftsunabhängige Wege der Interessenvertretung anbieten, und Betriebsräte meist Agenten der Durchsetzung universalistischer Regeln sind, scheinen die Betriebsräte jetzt in eine eher vertrackte Lage geraten zu sein, da die besondere Förderung der Flüchtlinge im etablierten Horizont des „betrieblichen Universalismus“ nicht als Gleichbehandlung erscheint.

 

Risiken und Chancen

Die Aufnahme von Flüchtlingen ist in den Betrieben somit mit dem Risiko verbunden, dass die im betrieblichen Rahmen bisher relevante Arbeitnehmeridentität, bei der Herkunftsunterschiede sekundär bleiben, destabilisiert wird. Es besteht jedoch auch die Chance, dass Diskussionen über Integrationsförderung dazu beitragen, dass sich aus dem „betrieblichen Universalismus“ ein „Universalismus mit erweitertem Horizont“ entwickelt, in dem auch Fördermaßnahmen nicht per se als ungerecht gelten. Die gewissermaßen „mechanische Arbeitnehmeridentität“ könnte zu einer bewussten, „organischen Arbeitnehmeridentität“ werden, die sich nicht mehr primär unter Ausblendung, sondern unter Anerkennung von Differenzen definiert, sich mithin zu einem solidarischen Universalismus entwickelt.20

Wenn vor dem Hintergrund eines begrenzten Angebots an Einfacharbeitsplätzen nicht ein Negativszenario Realität werden soll, bei dem lediglich ein kleiner Teil der Flüchtlinge in das Segment der berufsfachlichen Arbeit vordringen kann, ein weiterer Teil im Bereich angelernter Arbeit unterkommt und der größte Teil über einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft in Arbeitslosigkeit, geringfügiger oder informeller Arbeit verharrt, dann sind die Anstrengungen zur beruflichen Integration zu verstärken. Eine kurzfristige Perspektive und eine rein betriebswirtschaftliche Logik genügen hier allerdings nicht. Es geht um eine gesellschaftliche Investition in Humankapital, die die Unternehmen allein unter Konkurrenzbedingungen wahrscheinlich nicht erbringen können, auch wenn eine solche Investition langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die Wirtschaft rentabel ist. Als Fortsetzung der „Willkommenskultur“ muss somit im Interesse der Flüchtlinge wie der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft ein System der beruflichen Integration etabliert werden, mit dem das matching in breitem Umfang gelingen kann. Damit wurde vielfach auch bereits nicht ohne Erfolge begonnen. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass auch Flüchtlinge – wenngleich unter widrigen Bedingungen nur in eingeschränktem Maße – Subjekte ihrer eigenen Integration sind und viele selbst nach Wegen in das Berufsleben suchen.

Das größte Problem liegt letztlich woanders, denn obwohl eine gelingende Integration der Geflüchteten in die Arbeitswelt sich als eine Frage von Sprache und beruflicher Qualifizierung darstellt, so ist sie letztlich doch eine gesellschaftspolitische Frage und hängt davon ab, ob die erforderlichen Maßnahmen wirklich gewollt, initiiert und trotz des Aufwands durchgehalten werden. Angesichts der Bereitschaft von großen Teilen der Wirtschaft und der Gewerkschaften, sich um eine Integration der Flüchtlinge in die Arbeitswelt zu bemühen, ist eine erfolgreiche Integration keineswegs unrealistisch. Die Voraussetzungen hierfür sind allerdings ein langer Atem und ein Zusammenwirken der Akteure, eine Art tripartistischer „Flüchtlingskorporatismus“, der auch von der Regierung und den politischen Parteien mitgetragen und verteidigt werden muss.

Dieser Artikel basiert auf Vorarbeiten, die im Rahmen von der Hans-Böckler-Stiftung geförderter Projekte erfolgten, die der Autor partiell gemeinsam mit Andrea Müller und Yamila Putz bearbeitete.

Anmerkungen

1 Vgl. Mathias Beer, Flucht und Vertreibung der Deutschen, München 2011.
2 Vgl. Klaus J. Bade et al. (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa: Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007.
3 Vgl. David Lockwood, Soziale Integration und Systemintegration, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, Königstein im Taunus 19794, S. 124-137.
4 Vgl. Hermann Kotthoff, „Betriebliche Sozialordnung“ als Basis ökonomischer Leistungsfähigkeit, in: Jens Beckert / Christoph Deutschmann (Hrsg.), Wirtschaftssoziologie, Sonderheft 49/2009 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, S. 428-446.
5 Unterschichtung meint hier insbesondere, dass geringer qualifizierte (vor allem zugewanderte) Arbeitskräfte einfachere Arbeitsplätze übernehmen und gleichzeitig diejenigen, die bisher diese Position innehatten, relativ nach oben verdrängen.
6 So wurde vielfach nachgewiesen, dass die Erfolgschancen von Bewerbern mit Migrationshintergrund schlechter sind. Vgl. Albert Scherr (Hrsg.), Diskriminierung migrantischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung, Weinheim-Basel 2015.
7 Allerdings muss konstatiert werden, dass über die Integration Herkunftsverschiedener in der Arbeitswelt wenig bekannt ist. Vgl. auch Lee H. Adler/Michael Fichter, Germany: Success at the Core, Unresolved Challenges at the Periphery, in: Lee H. Adler / Maite Tapia / Lowell Turner (Hrsg.), Mobilizing Against Inequality, Ithaca-London 2014, S. 86-105.
8 Vgl. Werner Schmidt, Kollegialität trotz Differenz, Berlin 2006, S. 84, S. 152 ff.
9 Vgl. Nick Kratzer et al., Legitimationsprobleme in der Erwerbsarbeit, Baden-Baden 2015.
10 Schmidt (Anm. 8), S. 164.
11 ebenda, S. 150.
12 Vgl. Arlie R. Hochschild, Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle, Frankfurt/M.-New York 1990.
13 Vgl. zur „Kontakthypothese” Gordon W. Allport, The Nature of Prejudice, Cambridge MA 1979.
14 Vgl. Werner Schmidt, Pragmatische Zusammenarbeit. Kollegialität und Differenz bei Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft in Industriebetrieben, in: Zeitschrift für Soziologie 6/2006, S. 465-484.
15 Vgl. Thomas F. Pettigrew, Intergroup Contact Theory, in: Annual Review of Psychology 49/1998, S. 65-85.
16 Werner Schmidt, Arbeitsbeziehungen und Sozialintegration in Industriebetrieben mit Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft, in: Industrielle Beziehungen 4/2007, S. 343 ff.
17 Vgl. Enzo Weber, Schätzung der Zahl der für Flüchtlinge relevanten Arbeitsstellen, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Aktuelle Berichte 12/2016, (http://doku.iab.de/aktuell/2016/aktueller_bericht_1612.pdf).
18 Vgl. Eva Degler/Thomas Liebig, Nach der Flucht: Der Weg in die Arbeit. Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland, OECD, März 2017, (http://www.oecd.org/berlin/publikationen/Arbeitsmarktintegration-von-Fluechtlingen-in-Deutschland-2017.pdf).
19 Vgl. Andrea Müller/Werner Schmidt, Fluchtmigration und Arbeitswelt. Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen in großen Unternehmen, Hans-Böckler-Stiftung, Study 339/2016, (http://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_339.pdf).
20 Werner Schmidt, Diskriminierung und Kollegialität im Betrieb, in: Scherr (Anm. 6), S. 278.


Zur Erstveröffentlichung des Beitrags:

Werner Schmidt
Die Integration von Flüchtlingen und Arbeitsmigranten in der Arbeitswelt. Betrieblicher Universalismus unter Druck,
in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 67. Jahrgang, Heft 26/2017, S. 34-39.

 

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