/ 22.06.2013
Burkhard Wilk
Die politische Idee der Integration
Berlin: Duncker & Humblot 2011; 211 S.; 28,- €; ISBN 978-3-428-13547-9Wenn über Defizite bei Integrationsfragen politisch gestritten wird, so liegt wissenschaftlich zunächst die Frage nach einer adäquaten Begriffsbestimmung nahe. Wilk definiert Integration philosophisch als Endzustand einer Einheit, die aus dem zweckbestimmten Prozess der Integrierung hervorgegangen ist, während Integrierung selbst keine bloße Aufnahme eines bisher Äußerlichen in eine bestehende Einheit darstelle, sondern stets eine neue Einheit hervorbringt. Obwohl von dieser abstrakten Begriffsbestimmung soziologisch nach den Paradoxien von Inklusion und Exklusion gefragt werden könnte, verfolgt der Autor eine andere Spur. Wilk interpretiert die bundesdeutsche Gesellschaft als ein verbindliches ethisches Wertesystem der Gesellschaft als Ganzes, während er Zuwanderung pauschal nur als freiwilligen Akt verstanden wissen wird. Wilk schließt aus dieser Konstellation, dass eine multikulturelle Gesellschaft im Prinzip möglich sei, jedoch dort ihre Grenzen erfahren müsse, wo eben jenes Wertesystem infrage gestellt wird. Damit verbinden sich weitergehende Fragen: Wie lässt sich die verbindliche ethische Grundordnung interpretieren und welche Rechte bzw. Pflichten ergeben sich aus dieser konkret? Obwohl er konzedieren muss, kein gesellschaftsethisches Wertesystem letztlich abschließend begründen zu können, und auch nicht zeigt, wieso die Sozialstruktur der Bundesrepublik jenem hehren Ideal entspreche, desto mehr drängt er darauf, dass dieses notwendig sei. Diese Diskrepanz wiederholt sich bei der Bestimmung konkret-praktischer Folgen seiner philosophischen Position. Denn während er zunächst die Übernahme des Wertkodex’ als inneren Überzeugungsakt verstehen muss, überschreitet er selbst diese für ihn zu schmale Bestimmung von Integration, die alsbald nicht nur Patriotismus (der mehr als Verfassungspatriotismus sein soll) umfasst, sondern auch Zwang zu Sprachausbildung und die Aufnahme jeder angebotenen Arbeit impliziere. Der grundlegende Widerspruch, zunächst eine Wertordnung holistisch zu konstruieren, um dann reale Handlungen recht einseitig (nämlich die der Migranten) über jenen idealen Maßstab zu schlagen, wiederholt sich bedauerlicherweise im letzten Kapitel auf eklatante Weise: Während das Christentum für den Autor mit dem ethischen Wertesystem identisch sei, obliegt es allein den Muslimen, sich zum innerreligiösen Dialog zu besinnen – auch wenn Wilk dies aufgrund der volutaristischen Gotteskonzeption im Islam eher skeptisch bewertet.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.44
Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Burkhard Wilk: Die politische Idee der Integration Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/33958-die-politische-idee-der-integration_40700, veröffentlicht am 04.08.2011.
Buch-Nr.: 40700
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
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