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/ 07.08.2014
Stefan Kadelbach / Klaus Günther (Hrsg.)

Europa: Krise, Umbruch und neue Ordnung

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Schriften zur Europäischen Integration und Internationalen Wirtschaftsordnung 33); 199 S.; brosch., 52,- €; ISBN 978-3-8487-1385-1
Der Band versammelt die Beiträge des zwölften Frankfurter Walter‑Hallstein‑Kolloquiums, das im März 2013 stattgefunden hat und der Frage nachgegangen ist, „welche Lehren aus der andauernden Staatsschuldenkrise zu ziehen sind“ (5). Bewusst wollen die Herausgeber vor allem Fragen der politischen Kultur der EU in den Mittelpunkt der Einzelbeiträge gestellt sehen, die aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen entstammen. Stefan Kadelbach macht in seinem Einleitungsbeitrag auf einen „Mangel an Kohärenz“ sowie „Rechtsbrüche“ und eine Überspannung der „Integrationsfähigkeit“ (13) der Union aufmerksam. Als Ursache für diese Form des Kulturbruchs nennt er die Zunahme intergouvernementaler Verhandlungsformen im Zuge der Krise. Etwas weit ausholend und stellenweise grundlos polemisch, weil am Thema des Bandes vorbei, gerät die Krisenanalyse aus ökonomischer Perspektive, die Bertram Schefold beisteuert. Denn gleich mehrfach echauffiert er sich über den Ausbau regenerativer Energieträger, da er die Energiewende als keynesianisch inspiriertes Wachstumsprogramm zur Bekämpfung der Krise deutet. Nichtsdestotrotz ist Schefolds grundlegenden Befunden hinsichtlich der Konstruktionsdefizite der Wirtschafts‑ und Währungsunion zuzustimmen. Wertvolle Einsichten liefert auch der historische Zugang von Andreas Fahrmeier, der darauf verweist, dass sich nach 1989 „eine neue Erzählung“ des europäischen Integrationsprozesses etabliert habe, sodass Krisen nur noch von „wenigen als Signal dafür“ interpretiert würden, dass „eine europäische Integration zu weit gegangen sein könnte“ (65). An Fahrmeiers Beitrag lässt sich sehr schön ein Dilemma des ganzen Bandes und der gegenwärtigen Europaforschung insgesamt aufzeigen: Trotz aller Beschreibungen und Erklärungsversuche der verschiedenen Krisenphänomene wird schon fast peinlich darauf geachtet, das D‑Wort zu vermeiden. Zwar betont Fahrmeier, dass „das Risiko einer Phase der Desintegration Europas“ (71) nicht völlig auszuschließen sei – insbesondere auch mit Blick auf die enormen ökonomischen Disparitäten. Allerdings bleibt bei dieser vagen Andeutung im Unklaren, wie europäische Desintegration eigentlich konzeptionell zu fassen wäre. Immerhin ist anzuerkennen, dass er diese Kategorie einführt, gegen die Armin Hatje mit seinem Beitrag aus juristischer Perspektive förmlich anschreibt, wenn er dem sich breitmachenden „Verfassungspessimismus“ (74) den „Grundsatz des Bestandsschutzes“ und sogar ein „Rückschrittsverbot“ (79) entgegensetzt. So ist es verdienstvoll, dass Hauke Brunkhorst und Ulrich K. Preuß auf wachsende Legitimationsdefizite im Integrationsprozess verweisen – eine weitere, sehr ernst zu nehmende Desintegrationsdimension.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 3.13.23.52.21 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Stefan Kadelbach / Klaus Günther (Hrsg.): Europa: Krise, Umbruch und neue Ordnung Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37382-europa-krise-umbruch-und-neue-ordnung_45652, veröffentlicht am 07.08.2014. Buch-Nr.: 45652 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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