Pierre Noras Konzept der Erinnerungsorte hat in den vergangenen Jahren eine enorme Karriere erfahren. Dieses Buch nun bildet den ersten von drei Bänden, mit denen die Herausgeber das Konzept auf Europa anwenden und europäische Erinnerungsorte darstellen. Das Vorwort zeugt von den großen konzeptionellen, aber auch organisatorischen Problemen dieser gewaltigen Aufgabe. Das seit vielen Jahren verfolgte Projekt lag zwischenzeitlich auf Eis und kann selbst in der veröffentlichten Fassung nicht auf alle vorgesehenen Beiträge zurückgreifen. Auch sind einige Beiträge nicht auf der Höhe der politischen Entwicklungen Europas, man merkt ihnen an, dass sie wohl schon vor längerer Zeit fertiggestellt wurden. Ungewöhnlich politisch orientiert erscheint die inhaltliche Aufteilung des Gesamtwerks: Im ersten Band werden diejenigen Prägekräfte Europas, von denen in Verträgen und Grundlagendokumenten der EU und des Europarats die Rede ist, theoretisch behandelt. Der gleichen Aufgliederung folgend sollen im zweiten Band dann konkrete Erinnerungsorte vorgestellt werden. Diese starke Orientierung an den Verträgen, die sich an zahlreichen Bezugnahmen auf die Charta der Grundrechte und den Europäischen Verfassungsvertrag zeigt, ist zwar politisch begrüßenswert. Umso bedauerlicher ist es jedoch, wenn in einem solchen Grundlagenwerk die Vertragstexte dann falsch wiedergegeben werden. Den praktischen Nutzen der Beschäftigung mit europäischen Erinnerungsorten stellt Mitherausgeber Pim den Boer heraus, der die politische Fixierung des aktuellen Europabegriffs kritisiert und eine europäische Identitätspolitik fordert. Denn solange mit Europa nur flüchtige Zukunftsaussichten verbunden werden, aber keine historische Perspektive, werde „jede Form europäischen Selbstbewusstseins ein Hirngespinst bleiben“ (73).