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/ 03.09.2015
Monika Schwarz-Friesel (Hrsg.)

Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Interdisziplinäre Antisemitismusforschung 6); 318 S. ; 59,- €; ISBN 978-3-8487-1679-1
Die deutsche Gesellschaft des Jahres 2015 ist alles andere als frei von Judeophobie und Antiisraelismus, ganz unabhängig davon, wo man hinschaut. In der Alltagskommunikation ebenso wie in den Massenmedien zeigen sich immer wieder verstörende Aussagen. Auch waren „explizit antisemitische Äußerungen [...] im Sommer 2014 anlässlich der Gaza‑Krise auf antiisraelischen Demonstrationen zu hören [...]. Dass die Staatsanwaltschaft den [...] volksverhetzenden Charakter darin nicht zu sehen vermochte, zeigt einen eklatanten Mangel an historischer Kenntnis“ (15), schreibt die Herausgeberin. Noch verstörender ist, dass sich gerade auch gebildete Schichten – man denke an die Äußerungen von Günter Grass und Jakob Augstein – an der Verbreitung antijüdischer Ressentiments beteiligen und damit etwas offenbaren, was lange Zeit für undenkbar galt: dass Antijudaismus kein Unterschichtenphänomen ist, dass es sich mitnichten um Vorurteile der Ungebildeten handelt, sondern dass die Hetze gegen Israel offenbar mehr und mehr in der etablierten Mitte einer Gesellschaft ankommt, die ihre besondere Verantwortung für Israel zur Staatsraison erhoben hatte. Vor diesem Hintergrund fragt Samuel Salzborn in seinem Beitrag nach den strukturellen Bedingungen der Entstehung von Antisemitismus – und dementsprechend nach den Möglichkeiten, diesem zu begegnen. Vorurteile, so Salzborn, ließen sich durch schulische Aufklärung ebenso wie durch politische Bildung korrigieren; fest verfügte antisemitische Weltbilder indes ließen sich nur auf autoritärem Wege, durch nachhaltige polizeiliche und juristische Verfolgung, bekämpfen. Monika Schwarz‑Friesel bestätigt in ihrem Beitrag die Vermutung, dass sich der Antisemitismus in Deutschland und Europa in den vergangenen Jahren radikalisiert hat. Im Rahmen des DFG‑Projekts „Antisemitismus im Internet“ konnte anhand eines aus 2.000 Dokumenten bestehenden Korpus gezeigt werden, dass judeophobe Ressentiments zumeist hochgradig emotionalisiert und somit auch wider besseres Wissens vorgetragen werden. Und die Betroffenen? Jüdinnen und Juden, so Schwarz‑Friesel, fühlen sich „in Europa zunehmend mit ihren Ängsten allein gelassen“ (293). Für die politische Kultur der Bundesrepublik ist das ein unsäglicher Befund.
{LEM}
Rubrizierung: 2.352.3332.222.232.61 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Monika Schwarz-Friesel (Hrsg.): Gebildeter Antisemitismus. Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38832-gebildeter-antisemitismus_47497, veröffentlicht am 03.09.2015. Buch-Nr.: 47497 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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