/ 22.06.2013

Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hrsg.)
Mit der Krise leben? Europäische Konflikte, innergesellschaftliche Verwerfungen, Perspektiven
Hannover: Offizin 2011 (Flugschriften Kritischer Wissenschaft 12); 122 S.; 9,80 €; ISBN 978-3-930345-92-2„Krise, welche Krise?“ So haben unlängst noch Klaus Engel und Michael Vassiliadis in ihrem Band „Werte, Wissen, Wachstum“ (siehe Buch-Nr. 40202) gefragt und damit nur unter Beweis gestellt, wie sehr man mit einer Gegenwartsdiagnose auch daneben liegen kann. Diese Sammlung kritischer Interventionen erweist sich da als schon wesentlich treffsicherer: „Es ist“, so schreibt Sebastian Wertmüller in seinem einleitenden Beitrag, „schier überwältigend, wie schnell das gesellschaftliche Bewusstsein in der Lage ist, die größte weltwirtschaftliche Krise und ihre materiellen Folgen zu verdrängen“. Angesichts sich fortsetzender Krisenerscheinungen gerade auch jenseits des Wirtschaftsbereiches – der Klimawandel immerhin hat sich noch nicht von den Märkten beeindrucken lassen – können die lauter werdenden Rufe nach wirtschaftlichem Wachstum in der Tat nur eine Art „infantiler Frohsinn“ (7) sein. Mit diesem Urteil unterstellt Wertmüller allerdings auch, dass es hinreichend durchdachte alternative Konzepte gibt, etwa bei der politischen Linken oder den Gewerkschaften, die mehr sind als jene Politik der Alternativlosigkeit, die nicht nur die europäischen Regierungen im Griff hält. Doch auch auf Seiten der Linken sieht es – jenseits althergebrachter Feindbildreflexe gegen den Kapitalismus – eher mau aus: „Wieder bleibt vieles offen – außer vielleicht der Erkenntnis, dass es an Erkenntnis mangelt.“ (9) Im Ringen um Erkenntnis im Angesicht der Krise präsentieren die Autorinnen und Autoren Perspektiven auf die deutsche Gewerkschaftsbewegung, die politische Linke, auf zunehmende, rechtspopulistisch mitverursachte Ausgrenzungspraktiken und nicht zuletzt auf das Verhältnis von Arbeit und Natur bei Marx. In allen Beiträgen stehen insgesamt nicht Lösungsansätze, sondern Problembeschreibungen im Mittelpunkt, die ihrerseits allerdings den Weg zu einer alternativen Praxis weisen können. Exemplarisch deutlich wird das etwa im Beitrag von Helga Schwitzer, die – Erhard Eppler zitierend – warnt: „Wer jetzt nicht mehr Demokratie wagt, wird sehr viel mehr Polizei brauchen.“ (24)
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3 | 2.331 | 2.35 | 3.1
Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hrsg.): Mit der Krise leben? Hannover: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/34761-mit-der-krise-leben_41785, veröffentlicht am 29.11.2012.
Buch-Nr.: 41785
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Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
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