Nachhaltigkeit in Hamburg. Wie lässt sich die Agenda 2030 auf lokaler Ebene realisieren?
Hamburg trägt eine Verantwortung dafür, dass die konkrete Vision der Agenda 2030 für eine gerechte und menschenwürdige Zukunft erfüllt wird, schreibt Hans-Joachim Menzel, Sprecher des Zukunftsrats Hamburg. Diese verpflichtet Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, den von den Vereinten Nationen festgestellten Transformationsbedarf zu erkennen, zu kommunizieren und zu erfüllen. Für Hamburg identifiziert der Autor 37 Unterziele als besonders relevant und prüft ihre Umsetzung.
Gliederung
Zusammenfassung der Ergebnisse
1. Die Agenda 2030
2. Was bedeutet die Agenda 2030 für Hamburg?
3. Wie haben Deutschland und Hamburg auf die Agenda 2030 reagiert?
4. Die Qualität der Nachhaltigkeitsziele und Zielvorgaben
5. Welche Zielvorgaben der Agenda 2030 sollte Hamburg verfolgen?
5.1 Armut beenden (Ziel 1)
5.2 Gesundes Leben gewährleisten (Ziel 3)
5.3 Gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten (Ziel 4)
5.4 Geschlechtergleichstellung erreichen (Ziel 5)
5.5 Nachhaltige und moderne Energie für alle (Ziel 7)
5.6 Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung (Ziel 8)
5.7 Ungleichheiten verringern (Ziel 10)
5.8 Städte inklusiv, sicher und nachhaltig gestalten (Ziel 11)
5.9 Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen (Ziel 12)
5.10 Klimaschutz (Ziel 13)
5.11 Nachhaltige Entwicklung der Meere und Küsten (Ziel 14)
5.12 Landökosysteme und die biologische Vielfalt schützen (Ziel 15)
5.13 Friedliche, inklusive Gesellschaften und den Rechtsstaat fördern (Ziel 16)
5.14 Umsetzungsmittel und globale Partnerschaften stärken (Ziel 17)
Zusammenfassung der Ergebnisse1
Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen ist eine ambitionierte, zum Teil sehr konkrete Vision für eine gerechte und menschenwürdige Zukunft. Alle Länder, einschließlich der Industriestaaten, sind insofern gleichermaßen Entwicklungsländer. Als wachsende Welthandelsmetropole trägt Hamburg eine eigene Verantwortung zur Erfüllung dieser Vision – auch wenn es in vielen Bereichen schon bemerkenswerte Fortschritte erreicht hat.
Aus den 169 Unterzielen der Agenda 2030 werden 37 ausgewählt, die nach Auffassung des Zukunftsrats Hamburg für die Hansestadt als Ansporn und Zielvorgabe eine besondere Relevanz haben. Die kurz gefasste Gegenüberstellung von Unterziel (Soll), Status quo (Ist) und einzelnen Maßnahmenvorschlägen kann nur selektiv und subjektiv sein und als Anregung zu weiterer Diskussion dienen.
Aus den in Kapitel 5 behandelten Unterzielen lassen sich für Hamburg die folgenden Themencluster der Agenda 2030 für die langfristige „Transformation unserer Welt“ herausfiltern2:
• die Beseitigung von Armut und sozialer Ungleichheit als Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge;
• der Klima- und Ressourcenschutz in allen Bereichen – zum Beispiel durch die Effizienzsteigerung, Abfallreduzierung, Beseitigung von Verschwendung oder die Kreislaufwirtschaft;
• die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen;
• die Stärkung des Artenschutzes und Erhaltung der Biodiversität auf hohem Niveau;
• die institutionalisierte Kommunikation über nachhaltige Produktionsverfahren und Konsum- sowie Lebensstilfragen;
• die „Demokratisierung“ staatlicher Entscheidungsfindung durch Inklusion und Partizipation, auch durch Transparenz und ausreichende Datengrundlagen.
Aus der Backcasting-Perspektive 2030 erfordern diese Zielkomplexe Strategien und Maßnahmen, die über die gegenwärtigen Ansätze hinausgehen. Ein business as usual würde der „beispiellosen Reichweite und Bedeutung“3 der UN-Agenda nicht gerecht. Um die Zielstellung dieser Themencluster in Staat und Gesellschaft zu bewerben, zu operationalisieren, umzusetzen und über Indikatoren zu evaluieren, bedarf es eines längerfristigen partnerschaftlichen staatlich/gesellschaftlichen Verständigungsprozesses. Ohne ausreichende personelle, fachliche und organisatorische Ressourcen aus allen Ressorts wird das nicht gelingen. Zivilgesellschaftliches Engagement muss auf Augenhöhe beteiligt werden, ohne Ehrenamtlichkeit zu überfordern. Nach der Hamburger Verfassung tragen Bürgerschaft, Senat und Behörden die demokratische Gesamtverantwortung und letzte Entscheidungskompetenz für die Stadt. Damit obliegt ihnen nicht nur eine Vorreiter- und Motivatorrolle für alle Hamburgerinnen und Hamburger, sondern auch die Aufgabe, für eine nachhaltige Entwicklung neue Formen der zivilgesellschaftlichen Teilhabe zwischen repräsentativer Parteiendemokratie und Volksgesetzgebung in Einzelfragen zu institutionalisieren.
1. Die Agenda 2030
Am 25. September 2015 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“4. Sie besteht aus einer ausführlichen „Erklärung“ mit Umsetzungshinweisen (insgesamt 91 Textziffern) und einer Aufzählung von 17 Nachhaltigkeitszielen mit insgesamt 169 konkretisierenden „Zielvorgaben“. Die Agenda 2030 knüpft inhaltlich an die Agenda 21 der Konferenz für Umwelt und Entwicklung von Rio de Janeiro 1992 an und verlängert die noch nicht umgesetzten Millenniumsziele von 2001 über 2015 hinaus. Hinsichtlich der Breite, Tiefe und Integration der Themen und Ziele geht sie über ihre Vorläufer deutlich hinaus. Neben dem Pariser Klimaschutzabkommen von Ende 2015 bildet die Agenda 2030 damit ein wertvolles neues Fundament für die Bemühungen der Weltgemeinschaft um eine gute Zukunft.
Bemerkenswert ist nicht nur die Fülle der Einzelziele – gleichsam der Prosa-Teil –, sondern auch der Geist und der pathetische Stil, der die Agenda 2030 trägt (der „lyrische“ Teil): Trotz der aktuellen schweren Konflikte und Katastrophen in dieser Welt spiegelt das Dokument Hoffnung, Zuversicht und Gestaltungswillen. Bezugspunkt ist der einzelne Mensch, insbesondere der benachteiligte:
„4. Wir verpflichten uns, auf dieser großen gemeinsamen Reise, die wir heute antreten, niemanden zurückzulassen. Im Bewusstsein der grundlegenden Bedeutung der Würde des Menschen ist es unser Wunsch, dass alle Ziele und Zielvorgaben für alle Nationen und Völker und für alle Teile der Gesellschaft erfüllt werden, und wir werden uns bemühen, diejenigen zuerst zu erreichen, die am weitesten zurückliegen.“ 5
Die Agenda 2030 integriert gleichgewichtig alle Dimensionen von Nachhaltigkeit und geht dabei über die Umwelt- und Entwicklungs-Orientierung (im herkömmlichen Nord-Süd-Sinne) der Agenda 21 von Rio hinaus.
Adressaten der (Selbst-)Verpflichtung sind konsequenterweise erstmals alle Länder. Die reichen Industriestaaten sind nicht länger Entwicklungs-Vorbilder (und Finanziers), sondern selbst Entwicklungsländer. Dies ist insofern konsequent, als die Industrieländer die endlichen Ressourcen des Planeten überproportional nutzen und die Hauptverantwortung für den globalen Klimawandel sowie die zunehmende Ungleichheit zwischen den Ländern tragen. Dabei wird sozialökonomischer Wohlstand (Einkommen, Bildung, Gesundheit) der Industrieländer meist zu Lasten eines viel zu hohen ökologischen Fußabdrucks erreicht, während Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenländer bei akzeptablen niedrigen ökologischen Fußabdrücken eine deutlich zu geringe sozial-ökonomische Lebensqualität aufweisen. Gemeinsames Ziel auf Augenhöhe muss daher ein intensiver Dialog darüber sein, wie eine hohe Lebensqualität bei gleichzeitig niedrigem ökologischem Fußabdruck global für alle erreicht werden kann.
Allerdings: Schon die Tatsache, dass Staatsoberhäupter so vieler ganz unterschiedlicher Länder die Agenda 2030 unterzeichnet haben, erklärt, dass sich in einigen Textpassagen schwer operationalisierbare Formelkompromisse und Unklarheiten bis hin zu Widersprüchen finden. Auch der Versuch, Zielkonflikte zu vermeiden, indem in einzelnen Vorgaben allgemein nur der Zusatz „nachhaltig“ ergänzt wird, garantiert noch keine neue, zukunftsfähige Qualität.
Ähnlich wie bei der Agenda 21 von Rio bleibt auch die Frage offen, ob Nachhaltigkeit ein bestimmtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem voraussetzt, fordert oder ausschließt. Ist ein neoliberales Wirtschaftssystem mit ausgeprägter Marktfreiheit und Konkurrenz, ist ein autoritäres Regime ohne individuelle Freiheiten oder ist ein oligarchisches Regierungssystem ohne Teilhabe der Bevölkerung überhaupt kompatibel mit der Agenda 2030 und ihren Zielen?
Die Agenda 2030 macht die Welt noch nicht besser. Trotz allem ist sie ein Referenz- und Orientierungssystem für alle Staaten und Zivilgesellschaften, die sich um eine sichere, gerechte und lebenswerte Zukunft für die Menschen bemühen. Jedem Unterzeichnerstaat wird allerdings zur Umsetzung der Agenda 2030 ein eigener Weg zugestanden6.
2. Was bedeutet die Agenda 2030 für Hamburg?
Mitunterzeichnerin und (Selbst-)Verpflichtete der Agenda 2030 ist zunächst die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung. Die Resolution und Ziele sind rechtlich nicht bindend und können nicht gerichtlich durchgesetzt werden. Vielmehr sind sie eine moralische Selbstverpflichtung, die Anerkennung der eigenen Verantwortung für ein Leben aller Menschen in Würde und die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Agenda 2030 stellt auch ein Bekenntnis dazu dar, dass es langfristig einer grundlegenden Transformation der gegenwärtig herrschenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überzeugungen und Entscheidungsgrundlagen bedarf7.
Die Bundesländer hatten zwar wenig Einfluss auf das internationale Aushandlungs- und Formulierungsverfahren. Dennoch sind sie konstitutiver Teil der föderativen Bundesrepublik und entsprechend der Zuständigkeitsverteilung im Grundgesetz indirekt an international eingegangene Commitments Deutschlands gebunden.
Im Kapitel „Weiterverfolgung und Überprüfung“ (Ziff. 72-91) spricht die Agenda 2030 selbst die regionale Ebene an. Entscheidend seien zunächst die (zentralen) nationalen Umsetzungsverfahren. Aber:
„81. In der Erkenntnis, wie wichtig es ist, auf bereits bestehenden Weiterverfolgungs- und Überprüfungsmechanismen auf regionaler Ebene aufzubauen und ausreichenden politischen Spielraum zu ermöglichen, ermutigen wir alle Mitgliedstaaten, das für ihre Mitwirkung am besten geeignete Regionalforum festzulegen.“8
Anders als die große Mehrheit der deutschen Bundesländer9 hat Hamburg bislang keine eigene Nachhaltigkeitsstrategie. Nur in politischen Teilbereichen wie dem Schutz des Klimas10 oder der Biodiversität11 bezieht sich der Senat explizit auf Nachhaltigkeitsvorstellungen. Im Sozialbereich12 fehlt dieser Rahmen trotz offensichtlicher Zusammenhänge nahezu vollständig – „soziale Nachhaltigkeit“ ist in Hamburg kein Begriff. Das allgemeine „Nachhaltigkeitsdreieck“ aus Wirtschaft, Umwelt und Sozialem ist der Politik zwar seit den 1990er-Jahren bekannt13. Die Verwaltungspraxis konzentrierte und konzentriert „Nachhaltigkeit“ jedoch inhaltlich wie organisatorisch primär auf die ökologische „Säule“ und damit auf die Umweltbehörde.
Bei den Entscheidungsträgern in Politik, Verwaltung und Wirtschaft der Stadt und auch bei der Mehrheit der Hamburger Bevölkerung besteht kein Konsens darüber, dass eine grundlegende Transformation der gegenwärtigen politischen wie gesellschaftlichen Überzeugungen, Verhaltensweisen und Lebensstile notwendig ist, wenn wir langfristig eine gute, gerechte Zukunft für alle sichern wollen. Hamburg ist eine attraktive Stadt, ein guter Wirtschaftsstandort. Die Verantwortlichen sehen keinen Anlass, Grundlegendes am Status quo zu ändern. Man fährt auf Sicht und löst Probleme, wenn sie akut werden. Folgerichtig gibt es in Hamburg auch keine offizielle Infrastruktur für eine Nachhaltigkeitsdebatte, keinen Transformationsfahrplan für die Stadt.
Damit entfallen „bestehende Weiterverfolgungs- und Überprüfungsmechanismen auf regionaler Ebene“ zur Umsetzung der neuen UN-Nachhaltigkeitsziele. Die „Hamburger Entwicklungs-Indikatoren Zukunftsfähigkeit – HEINZ“ des Zukunftsrats Hamburg zeigen zwar Fort- beziehungsweise Rückschritte bei allen drei Säulen der Nachhaltigkeit; eine Ursachenanalyse und eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie kann HEINZ jedoch ebenfalls nicht leisten.
Die Agenda 2030 gibt Hamburg – der Politik und Verwaltung ebenso wie der Zivilgesellschaft – nicht nur die Gelegenheit, sondern auch die Aufgabe und moralische Verpflichtung, den von den Vereinten Nationen festgestellten Transformationsbedarf zu erkennen, zu kommunizieren und im Rahmen der nationalen und europäischen Nachhaltigkeitsstrategie in einem eigenen Umsetzungsprozess zu erfüllen. Als Ressourcen- und CO2-intensive Welthandelsmetropole mit sozialen Problemen trägt auch Hamburg eine eigene Verantwortung für eine sichere, gerechte Zukunft und eine nachhaltige Entwicklung – in der Stadt, in der Metropolregion und global.
3. Wie haben Deutschland und Hamburg auf die Agenda 2030 reagiert?
Die Bundespolitik reagierte schnell auf den Beschluss der UN-Generalversammlung: Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung veröffentlichte bereits unmittelbar danach eine Werbebroschüre „Der neue Zukunftsvertrag für die Welt“14. In mehreren Bundesländern organisierte die Bundesregierung Dialogkonferenzen „Globale Nachhaltigkeitsziele – nationale Verantwortung“, die vierte am 11. Februar 2016 in Hamburg15. Der Rat für nachhaltige Entwicklung widmete sich ebenfalls früh und in verschiedenen Formaten den neuen globalen Nachhaltigkeitszielen16. Im März 2016 legte die Bundesregierung nach einem gesellschaftlichen Kommunikationsprozess den Entwurf für eine neue – an die Agenda 2030 angepasste – nationale Nachhaltigkeitsstrategie vor. Sie steht kurz vor der endgültigen Verabschiedung.
In Hamburg nahmen im Frühjahr 2016 zunächst die Zivilgesellschaft und die Universität mit einer Ringvorlesung „Wie wirkt die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ die Debatte um das neue UN-Dokument auf. Einzelne Nichtregierungsorganisationen führten dazu Veranstaltungen durch. Am 18. November 2016 gab es einen zivilgesellschaftlichen „Hamburger Ratschlag zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung: Die Zukunft, die wir wollen – das Hamburg, das wir brauchen“17. Erstmals fanden hier viele Hamburger Nichtregierungsorganisationen sehr unterschiedlicher Herkunft und Richtung zusammen.
Die Hamburger Dialogkonferenz der Bundesregierung im Februar 2016 (siehe oben) fiel staatlicherseits noch auf weitgehend unbestellten Boden. Erst im Herbst 2016 entdeckten die Hamburger Politik und die Verwaltung das Thema wirklich: Ende September forderte die Bürgerschaftsfraktion der Linken bessere strukturelle und statistische Voraussetzungen für eine Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Hamburg18. Das Hamburger Staatsräte-Gremium (nicht der Senat selbst) beauftragte die Behörde für Umwelt und Energie damit, im Frühjahr 2017 eine Senatsdrucksache zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Hamburg vorzulegen. Hintergrund ist der G20-Gipfel im Juli 2017 in der Hansestadt, bei dem die Agenda 2030 voraussichtlich Gegenstand der Erörterungen sein wird19.
Es wurde eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe gebildet. Parallel zum Ratschlag der Zivilgesellschaft lud die Behörde für Umwelt und Energie dann im November kurzfristig zu fünf sechsstündigen Workshops über die Themen der Agenda 2030 ein. Teilnehmende waren zur einen Hälfte Vertreter verschiedener Behörden und zur anderen ausgewählte Personen aus mehreren Nichtregierungsorganisationen – ausgehend von den Mitgliedern des Dialogkreises für die Olympiabewerbung 2015. Die Themen Prozess und Partizipation, Umwelt und Stadt, nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik, Teilhabe und sozialer Zusammenhalt sowie Bildung und Wissenschaft deckten theoretisch die meisten Bereiche der Agenda 2030 ab.
Allerdings diskutierten die gemischten Arbeitsgruppen nicht entlang der Nachhaltigkeitsziele und Zielvorgaben der Agenda, sondern nach einem von der Behördenseite vorgegebenen Katalog von Unterthemen, die in der Stadt bereits debattiert werden und/oder Gegenstand politischer Planung sind. Diese Herangehensweise ist pragmatisch und holt die Beteiligten – insbesondere die Verwaltungsvertreter/innen – dort ab, wo sie sich in ihrem Arbeitsumfeld befinden.
Sie birgt jedoch die Gefahr, den langfristigen Transformationsbedarf der Gesellschaft insgesamt aus den Augen zu verlieren. Zumindest ergänzend ist deswegen ein backcasting erforderlich20: Dazu sind die Ziele und Zielvorgaben der Agenda als global vereinbarte Zukunftsvision für 2030 ernst zu nehmen. Von dieser Ziel-Vision aus ist zurück zu denken und zu diskutieren, welche Maßnahmen und Schritte schon heute und in den folgenden Jahren erforderlich sind, um diese Ziele zu erreichen. Bei dieser Methode kann es durchaus sein, dass neue Probleme auftauchen, die gegenwärtig noch gar nicht im Blick sind. Diesem backcasting widmet sich diese Ausarbeitung.
4. Die Qualität der Nachhaltigkeitsziele und Zielvorgaben
Die 17 Ziele und 169 Zielvorgaben sind sehr unterschiedlicher Art. Gemeinsam ist ihnen der grundsätzliche Zeithorizont 2030; einige Unterziele sind aber schon bis 2020 zu erfüllen.
Auch der Konkretisierungsgrad der Zielvorgaben variiert: Die 17 (Ober-)Ziele sind eher Themen und Überschriften. Die konkretisierenden 169 Zielvorgaben bleiben zum Teil ebenfalls recht allgemein, gehen aber teilweise auch ins Detail und fordern partiell sogar die Erreichung quantifizierter Zielwerte oder Minderungs- beziehungsweise Steigerungsquoten.
Dabei stellen die Vorgaben nicht auf die Ausgangssituation und die schon erreichten Fortschritte im einzelnen Land ab. Aus Sicht der Länder und Regionen ist die Betroffenheit durch die vielen Ziele und Unterziele der Agenda 2030 sehr unterschiedlich. Dies beeinflusst auch die Bereitschaft, scheinbar weniger einschlägige oder bislang kaum diskutierte Ziele zu erfüllen. In Bereichen jedoch, in denen es um das globale Ausmaß der Defizite insgesamt geht, wie zum Beispiel beim Klima-, Ressourcen- und Artenschutz, spielt einerseits auch die eigene Mitverursachung und andererseits das wirtschaftliche Vermögen eines jeden Staates eine Rolle. Hinsichtlich anderer – vornehmlich sozialer – Ziele, die keine globale Wirkung haben, gilt: Die Agenda 2030 fordert von allen Unterzeichnerstaaten Anstrengungen, niemanden zurückzulassen (siehe oben FN 3). Durchschnittswerte und positive Statistiken erfüllen diese Forderung noch nicht.
Dennoch erscheint es legitim, dass die Länder und Regionen dort Schwerpunkte setzen, wo sie etwa weit hinter einem Ziel zurückliegen und/oder wo das Kosten-Nutzen-Verhältnis für eine Zielerreichung besonders günstig ist. Dazu fehlt es allerdings häufig schon an aussagekräftigen Indikatoren und Daten zur Bestimmung der eigenen Position in Bezug auf eine Zielerreichung. Hier Abhilfe zu schaffen, gehört ebenfalls zum Auftrag der Agenda 203021. Eine erste Indikatoren-Liste zu den Zielen der Agenda legte der Wirtschafts- und Sozialrat der UN Anfang 2016 vor22.
5. Welche Zielvorgaben der Agenda 2030 sollte Hamburg verfolgen?
Nachstehend wird für Hamburg der Versuch unternommen, die 17 Ziele und 169 Zielvorgaben nach diesen Überlegungen zu filtern und auf Hamburg anzuwenden. Dabei wird zwar die Reihenfolge der Nachhaltigkeitsziele in der Agenda eingehalten, aber darauf verzichtet, alle 169 Zielvorgaben einzeln zu bewerten und insbesondere ihre Nicht-Behandlung jeweils gesondert zu begründen. Nicht aufgegriffen werden etwa sehr unkonkrete, aber komplexe – und deswegen kaum operationalisierbare – Unterziele und solche, die Hamburg beziehungsweise die Industrieländer generell bereits (weitgehend) erfüllen23. Eine fehlende Gesetzgebungskompetenz der Hamburger Bürgerschaft beziehungsweise eine Nichtzuständigkeit staatlicher Verwaltung überhaupt – etwa im Bereich der Wirtschaft – schließen ein Unterziel dagegen nicht von vornherein aus. Möglicherweise liegt gerade in der Zuständigkeitsverteilung ein Hemmnis für eine nachhaltigere Entwicklung. Quantifizierte Unterziele werden durch Fettdruck hervorgehoben.
Angesichts der unübersichtlichen Vielzahl der Agenda-Unterziele ist ein Bedürfnis nach einem aggregierten, alle Ziele integrierenden Gesamtziel nachvollziehbar. Für alle drei Säulen der Nachhaltigkeit ist ein solches bisher nicht anerkannt. Am nächsten käme ihm wohl der Hamburger Wohlfahrtsindex (HWI)24. Für die soziale und wirtschaftliche Dimension könnte der Human Development Index (HDI) des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP)25 und für die Umwelt-Dimension der ökologische Fußabdruck Hamburgs26 als „Hilfs-Aggregationen“ dienen – mit allen methodischen Fragezeichen. Im Folgenden sollen jedoch vor allem die 169 Unterziele der Agenda 2030 nach ihrem Hamburg-Bezug befragt werden. Dazu wäre ein intensiver Dialog auf Augenhöhe mit Hamburgs Partnerstädten darüber sinnvoll, wie gemeinsam eine hohe sozial-ökonomische Lebensqualität (zum Beispiel im Hinblick auf das Einkommen, die Bildung oder Gesundheit) mit einem möglichst niedrigen ökologischen Fußabdruck gleichzeitig erreicht werden kann.
5.1 Armut beenden (Ziel 1)
In Ziel 1.2 werden die Unterzeichnerstaaten aufgefordert, den „Anteil der Männer, Frauen und Kinder jeden Alters, die in Armut in all ihren Dimensionen nach der jeweiligen nationalen Definition27 leben, mindestens um die Hälfte (zu) senken“. „Den nationalen Gegebenheiten entsprechende Sozialschutzsysteme“ sollen einen „Basisschutz und bis 2030 eine breite Versorgung der Armen und Schwachen erreichen“ (Ziel 1.3). Schließlich fordert Ziel 1.4 den Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen und Dienstleistungen für alle Männer und Frauen, insbesondere für „die Armen und Schwachen“.
Auch Hamburg hat ein Armutsproblem. Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 2016 weist für die Hansestadt eine Armutsquote (=<60 Prozent des Einkommensmedians) von 15,6 Prozent aus, die etwas über der auf Bundesebene liegt28 – betroffen sind rund 278.000 Hamburgerinnen und Hamburger. Das Indikatorensystem HEINZ des Zukunftsrats Hamburg zeigt seit 2012 wieder einen kontinuierlichen Anstieg der Sozialleistungsempfänger pro 1.000 Einwohner (SGB II, XII, Asylbewerberleistungen)29: 2015 ist jeder/jede 7,6. Einwohner/in von staatlichen Leistungen abhängig gewesen.
Gerade weil sich die Agenda 2030 auf die jeweilige nationale Armutsdefinition bezieht, besteht zu Ziel 1 nicht nur in Deutschland30, sondern auch in Hamburg deutlicher Handlungsbedarf. Zwar ist die Sozialgesetzgebung weitgehend Sache des Bundes. Dennoch kann und sollte Hamburg ergänzende Maßnahmen ergreifen, die den Zugang armer Menschen zur öffentlichen Daseinsvorsorge – zum Beispiel zum öffentlichen Nahverkehr und zu (Sozial-)Wohnungen – erleichtern. Die Agenda 2030 fordert auch von der wachsenden Metropole Hamburg eine Trendwende und eine eigene spezifische Unterstützung des Bundes zur Halbierung der Armutsquote bis 2030.
5.2 Gesundes Leben gewährleisten (Ziel 3)
Für Deutschland und Hamburg gilt Unterziel 3.4: Es sieht vor, „bis 2030 die Frühsterblichkeit aufgrund von nicht übertragbaren Krankheiten (z. B. Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes31) um ein Drittel (zu) senken und die psychische Gesundheit und das Wohlergeben (zu) fördern“. Die Gesundheitsberichterstattung Hamburgs weist aus, dass die vorzeitige Sterblichkeit (<65 Jahre) seit vielen Jahren abnahm, aber seit 2013 stagniert beziehungsweise wieder zunimmt32. In dieser Frage wird die breit angelegte Langzeit-Studie zu Volkskrankheiten („Nationale Kohorte“), an der das Universitätskrankenhaus Eppendorf mit 10.000 Probanden beteiligt ist, neue Erkenntnisse und hoffentlich Behandlungsfortschritte bringen33. Die Zielvorgabe der Agenda 2030 ist jedoch sehr ambitioniert.
Ziel 3.5 fordert, die „Prävention und Behandlung des Substanzmissbrauchs, namentlich des Suchtstoffmissbrauchs und des schädlichen Gebrauchs von Alkohol, [zu] stärken“. Der detaillierte „Statusbericht 2015“ von BADO e. V. Hamburg (Basisdokumentation) zählte rund 14.000 Drogenabhängige, die die verschiedenen privaten und staatlichen Hamburger Hilfestellen aufsuchten34. Hinzu kommt eine vermutlich hohe Dunkelziffer zum Beispiel von Alkohol-, Amphetamin- und Internetabhängigen. Eine Trendwende zum Besseren deutet sich bislang nicht an, ist aber dringend, um „niemanden zurückzulassen“.
5.3 Gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten (Ziel 4)
Auch Hamburg muss sicherstellen, dass „alle Mädchen und Jungen Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Erziehung, Betreuung und Vorschulbildung erhalten“ (Ziel 4.2) und dann „gleichberechtigt eine kostenlose und hochwertige Grund- und Sekundarschulbildung abschließen“ können (Ziel 4.1).
Angesprochen ist hiermit zum einen, dass auch in der Hansestadt weitgehend die soziale Herkunft darüber entscheidet, wie erfolgreich Kinder die staatlichen und privaten Bildungsangebote annehmen. Diese Diagnose ist den Verantwortlichen in Politik und Bildungsverwaltung bekannt, eine durchgreifende Lösung bisher aber nicht in Sicht. Jedenfalls dürfte im Interesse der Kinder das Angebot von Ganztags-Kinderbetreuung und -Schulen insbesondere denjenigen Eltern noch näherzubringen sein, die aus Unwissenheit, Armut oder Tradition den Bildungszugang und sozialen Aufstieg ihrer Kinder behindern statt fördern.
Es geht aber auch um die Schulabgänger*innen ohne Abschluss. Deren Quote hat sich in Hamburg seit 2006 kontinuierlich verbessert, ist aber 2015 wieder auf 5,5 Prozent (für Migrantenkinder auf 8,6 Prozent) angestiegen35. Dies widerspricht auch dem Nachhaltigkeitsziel 4.4, das eine „wesentliche Erhöhung“ der Zahl von Jugendlichen und Erwachsenen anstrebt, die über „fachliche und berufliche Qualifikationen für eine Beschäftigung, eine menschenwürdige Arbeit und Unternehmertum verfügen“. Die sozialen Folgeprobleme für Schulabbrecher*innen und Gesellschaft können groß sein und sind nicht nachhaltig.
Dagegen dürfte der in den Unterzielen mehrfach geforderte gleichberechtigte Bildungszugang von Mädchen und Jungen in Hamburg ein geringeres Problem darstellen. Es kann aber dort entstehen, wo Eltern nach der allgemeinen Schulpflicht ihrer Kinder bei Entscheidungen über den weiterführenden Bildungsweg nach dem Geschlecht unterscheiden. Entsprechende empirische Daten wären – gerade auch bei Migranten*innen und Flüchtlingen – zu erheben. Auch bleibt zu beobachten, ob inzwischen in Kita und Grundschule nicht Jungen – durch fehlende Rollenvorbilder – benachteiligt werden36.
In Ziel 4.7 wird schließlich mehr „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) gefordert. Aus der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ 2005 bis 2014 hat Hamburg mit seiner Initiative „Hamburg lernt Nachhaltigkeit“37 auf diesem Gebiet viel Erfahrung gesammelt. Am 23. November 2016 veranstaltete die Stadt die zweite Jahreskonferenz zum Weltaktionsprogramm BNE über das Thema „Sustainable Development Goals“ – also die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Nun muss es darum gehen, die vielfältigen Ansätze in die Struktur der Bildungslandschaften zu integrieren38, auch bei der Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte.
5.4 Geschlechtergleichstellung erreichen (Ziel 5)
Aus den 9 Unterzielen zu Ziel 5 sind für Hamburg zwei zu betrachten: Ziel 5.2 fordert, alle Formen der Gewalt und Ausbeutung gegen Mädchen und Frauen zu beseitigen. Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik Hamburgs dokumentiert für 2015 1.325 Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 2.556 Fälle von Gewaltkriminalität und 8.365 Fälle von Körperverletzung gegen Mädchen und Frauen39. Insgesamt lässt sich zwar ein (geringer) Rückgang gegenüber dem Vorjahr und im Vergleich zu 2013 verzeichnen, allerdings ist mit einer hohen Dunkelziffer (Nicht-Anzeige) zu rechnen. Bemerkenswert ist die starke Zunahme der ausländischen Tatverdächtigen in den zurückliegenden beiden Jahren. Die Hamburger Sicherheitspolitik muss diese Problematik vorurteilslos, aber konsequent angehen, um Frauen und Mädchen – ob mit oder ohne deutschen Pass – sowohl im öffentlichen Raum als auch in den Familien und Institutionen besser zu schützen. Notwendig sind daher erhebliche Integrations-Anstrengungen und möglicherweise neue Instrumente.
Ziel 5.5 will die Sicherstellung der „vollen und wirksamen Teilhabe von Frauen und ihre Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen“ in Politik, Wirtschaft und öffentlichem Leben. Die Analyse des Statistikamts Nord vom Juni 201440 (Daten von 2010) konstatiert für Hamburg 31 Prozent Frauen in leitenden Positionen. Die Tatsache, dass von den 17 Prozent Teilzeitbeschäftigten in Leitungspositionen 69 Prozent Frauen sind, legt nahe, dass das Ziel 5.5 nur mit weiteren Erfolgen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreichbar sein wird. Dazu gehören eine gerechte Arbeitsteilung in der Familie (einschließlich Pflegeleistungen) ebenso wie eine gleiche Bezahlung von Männern und Frauen.
5.5 Nachhaltige und moderne Energie für alle (Ziel 7)
Während Ziel 7.2 eine deutliche Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am globalen Energiemix anstrebt, fordert Ziel 7.3, die „weltweite Steigerungsrate der Energieeffizienz“ zu verdoppeln. Zwar beziehen sich beide Ziele dem Wortlaut nach auf globale Werte. Deutschlands Beitrag dazu setzt sich jedoch seinerseits aus den Beiträgen der Bundesländer zusammen.
Hamburg hat in diesem Bereich deutliche Defizite: Nachdem der Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Hamburger Primärenergieverbrauch 2009 schon einmal bei 5,1 Prozent lag, sank er 2013 auf 4,2 Prozent ab41, bei der Stromerzeugung von 16,5 Prozent 2012 auf 12 Prozent 2013. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts muss der Anteil erneuerbarer Energie am Energiemix jedoch nahezu 100 Prozent betragen, um die Ziele des Pariser Klimagipfels zu erreichen. Dazu bedarf es schon heute gesteigerter Anstrengungen auf allen Gebieten. Die „Dekarbonisierung“ von Wirtschaft und Gesellschaft ist unvermeidbar und fordert einen je höheren Tribut an sozialen Kosten, je später sie in Angriff genommen wird.
„Energieeffizienz“ kann volkswirtschaftlich wohl am ehesten mit der Energieproduktivität (Wirtschaftsleistung aus einer Einheit Energie) dargestellt werden, konkret: Euro BIP/Gigajoule Primärenergieverbrauch. In Hamburg entwickelte sich der Energieproduktivitäts-Index von 1991=100 auf 143,2 im Jahr 2013 (die letzten verfügbaren Daten)42. Das bedeutet eine Steigerung von 43,2 Prozent in 22 Jahren. Das Agenda-2030-Ziel 7.3 fordert demgegenüber eine Verdoppelung der Steigerungsrate, also = 86,4 Prozent in den verbleibenden 17 Jahren (von 2013) bis 2030. Dies erscheint in Hamburg mit den derzeitigen Bemühungen um Energieeffizienz nicht realistisch. Es zeigt den hohen Anspruch der Agenda 2030. In jedem Falle muss die nachhaltige Energiewende sowohl auf eine Minderung des Energieeinsatzes pro Leistung als auch auf einen Ersatz fossiler Energieträger durch erneuerbare Träger gestützt werden – das sind große Herausforderungen für Hamburg.
5.6 Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung (Ziel 8)
Besonders das Unterziel 8.4 ist für Hamburg interessant: Danach sollen die entwickelten Länder die Führung bei der Verbesserung der weltweiten Ressourceneffizienz in Konsum und Produktion sowie bei der Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung übernehmen. Als Orientierung dient der Zehnjahres-Programmrahmen für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster43.
Umschreibt man Ressourceneffizienz für ein Bundesland wiederum mit Ressourcenproduktivität (Wirtschaftsleistung pro Rohstoffeinheit; € BIP/1 t Rohstoff), so ist die Bilanz Hamburgs ernüchternd: Entsprechend der umweltökonomischen Gesamtrechnung liegt Hamburgs Rohstoffproduktivität seit Langem noch unter dem Index-Grundwert 100 von 1994, obwohl die Stadt in der Vergangenheit (1995/2000) schon einmal Werte deutlich darüber erreicht hatte44.
Hinsichtlich der Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung zeigt das Beispiel der CO2-Emissionen die Schwierigkeiten: Den Tiefststand der CO2-Emissionen erreichte Hamburg bisher mit 9,5 t/Einw./a im Jahr 2009, dem Jahr des Konjunktureinbruchs nach dem Finanzcrash. Als sich die Wirtschaft wieder erholte, stiegen auch die CO2-Emissionen trotz aller Reduktionsbemühungen wieder an – 2013 auf 10 t45.
Der Rohstoffverbrauch Hamburgs nahm seit 2011 wieder zu und lag – nach einem Spitzenwert 2010 – im Jahre 2014 um circa ein Drittel über dem Verbrauch von 200046. Selbst ein Wirtschaftswachstum durch Dienstleistungen ist nicht völlig „immateriell“. Auch wenn die Wirtschaft wächst und eine spezifische Umweltbelastung – zum Beispiel die CO2-Emission – abnimmt, wird die Entkoppelung immer relativ bleiben und regelmäßig durch Reboundeffekte konterkariert.
Ziel 8.9 fordert dazu auf, Politiken zur Förderung eines nachhaltigen Tourismus zu erarbeiten und umzusetzen. Bisher ist Hamburg nicht wirklich als nachhaltige Tourismus-Destination in Erscheinung getreten. Der Zukunftsrat untersuchte 2014 die Nachhaltigkeit der den Tourismus fördernden Hamburger Großevents (vom Marathon über die Harley-Days bis hin zum Hafengeburtstag) und zeigte Defizite auf. Als ein Hotspot des Kreuzfahrt-Tourismus sollte Hamburg noch mehr Einfluss nehmen auf die Umweltbelastungen durch die Schiffe und auf die prekären Arbeitsbedingungen der auf ihnen Beschäftigten. Letzteres ergibt sich auch aus dem Unterziel 8.8 (Arbeitsrechte schützen und sichere Arbeitsumgebungen für alle Arbeitnehmer fördern). Ein erster Schritt wären Maßnahmen gegen das Ausflaggen deutscher Kreuzfahrtschiffe.
5.7 Ungleichheiten verringern (Ziel 10)
Entsprechend dem Ziel 1 (Armut beenden) verlangt Ziel 10.1 eine Umverteilung: Die Einkommen der ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung sollen bis 2030 „nach und nach“ stärker wachsen als im (nationalen) Durchschnitt. Das gilt auch für Hamburg, setzt jedoch zunächst einmal eine bessere Datenlage voraus. Während die Arbeitseinkommen detailliert erfasst und aktuell ausgewertet werden47, gilt das für die Einkommen aus Kapital nicht. Eine aktuelle Zeitreihe über die Steigerungsraten in den verschiedenen Dezilen (Zehn-Prozent-Werten) aller Einkommensempfänger ist – soweit ersichtlich – nicht verfügbar48. Die Einführung des Mindestlohns hat die unteren Einkommen überproportional angehoben, nicht aber die der ganz „unteren“ 40 Prozent. Auch wenn zu vermuten ist, dass die (Kapital-)Einkommen der „oberen“ Dezile angesichts der Entwicklung der Aktienkurse und Grundstückswerte in Hamburg stärker gestiegen sind, besteht hier eine große statistische Unsicherheit.
Die Agenda 2030 fordert eine Umkehr der Einkommensungleichheiten – auch durch gesetzgeberische und politische Maßnahmen (Ziel 10.3). Diese sind in erster Linie Aufgabe des Bundes, aber nicht ausschließlich. Der Auftrag zur Verringerung der Ungleichheit bedeutet auch eine starke Herausforderung für Hamburg. Ein bloßer Hinweis auf die Tarifautonomie in der Wirtschaft genügt nicht. Als Dienstherr der Landesbeamten und als Tarifpartner im öffentlichen Dienst kann und sollte die Stadt als Vorbild agieren.
Ziele 10.3 und 10.4 können in Verbindung mit Ziel 5 auch als Gebot des gleichen Lohns für Männer und Frauen interpretiert werden. Die Angleichung der durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste von Männern und Frauen stagniert seit Jahren. In Hamburg liegt das Verhältnis auch 2015 noch immer bei 1,23 zu 149.
Mit dem Ziel 10 (hier: „Ungleichheit zwischen den Ländern“) wird unter 10.7 eine „planvolle und gut gesteuerte Migrationspolitik“ gefordert. Davon ist Deutschland weit entfernt. Da die globale Fluchtproblematik in den Agenda-Zielen nicht ausdrücklich angesprochen wird50, ist „Migration“ weit zu verstehen. Dieser Begriff dürfte auch die Aufnahme von Flüchtlingen umfassen. Hamburg hat diesbezüglich zwar spät, aber vielfältig reagiert. Dennoch sind die Dauer der Asylverfahren, die starke Differenzierung nach dem rechtlichen Status beziehungsweise der „Bleibeperspektive“, der überlange Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen, der Spracherwerb, die Integration in den Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie die Gewährleistung einer (auch psychologischen) Gesundheitsversorgung weiter verbesserungsbedürftig, um dem Menschenwürde-Ziel der Agenda 2030 wirksamer zu entsprechen.
Eine interessante Detail-Forderung enthält schließlich Ziel 10.c: Die Geldinstitute sollen die Transaktionskosten für Heimatüberweisungen von Migrant*innen auf weniger als 3 Prozent senken. Es empfiehlt sich, hierzu zunächst eine Bestandsaufnahme vorzunehmen.
5.8 Städte inklusiv, sicher und nachhaltig gestalten (Ziel 11)
Ziel 11 betrifft die Stadtentwicklung und ihre Ausrichtung auf eine nachhaltige Zukunft. Für die Metropole Hamburg stellt es damit eine sehr direkte Vorgabe dar. Sie wird aktuell ergänzt durch das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen von 2016: „Der Umzug der Menschheit – die transformative Kraft der Städte“51. Auch die Ergebnisse von Habitat III im Oktober 2016 in Quito „Third United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development“ nehmen das Ziel 11 der Agenda 2030 auf und vertiefen es.
Das Unterziel 11.1 – „Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum 8 [...] für alle sicherstellen“ – spricht eines der Hauptprobleme der Hamburgischen Stadtentwicklung an: die Wohnungsnot für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Nicht nur Flüchtlinge müssen viel zu lange auf eine Folgeunterkunft warten. Auch Geringverdiener und sogar von Wohnungslosigkeit Bedrohte (13.500 Dringlichkeitsfälle) können in Hamburg keine angemessene, bezahlbare Wohnung finden. Während circa 400.000 Haushalte Anspruch auf einen Pragraf-5-Schein und damit die Berechtigung für eine Sozialwohnung haben, laufen trotz einer Neubaurate von 2.000 bis 3.000 pro Jahr mehr Sozialwohnungen aus der Bindung als neue hinzukommen. Noch bedeutet dies in der Praxis erfreulicherweise keine abrupte Anhebung der Mieten auf Marktniveau. Das Grundproblem bleibt jedoch. Trotz des Bündnisses für Wohnen von 2011 und 2016 steigen die Marktmieten und die Preise für Eigentumswohnungen exorbitant. Der Wohnungsmarkt, aber auch die staatliche Daseinsvorsorge versagen an dieser Stelle52. Es bedarf einer starken Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus und perspektivisch möglicherweise auch einer Wiedereinführung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft.
Ziel 11.2 fordert ein bezahlbares, nachhaltiges Verkehrssystem, vor allem durch den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Der HVV hat eine hohe Qualität und unternimmt Anstrengungen für einen barrierefreien Zugang. Für einige Bevölkerungsgruppen ist der HVV jedoch inzwischen faktisch nicht mehr bezahlbar. Bei einem backcasting von 2030 zurück sollte auch die Idee eines (für den einzelnen Fahrgast) kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs53 in Erwägung gezogen werden, um den Umstieg vom Auto zu erleichtern. Ein nachhaltiges Verkehrssystem fordert darüber hinaus Investitionen in die E-Mobilität und die weitere Förderung des Fahrradverkehrs.
Entsprechend dem Unterziel 11.3 soll die „Verstädterung“ nachhaltiger gestaltet werden. Die UN schlagen dafür den Indikator „Landverbrauchsrate im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum“ vor. In 11.7 wird zudem der Zugang zu Grünflächen und öffentlichen Räumen angesprochen. Die Hamburger „Statistik der Flächen der Tatsächlichen Nutzung“ zeigt trotz des starken Baubooms in den Jahren 2014 und 2015 überraschenderweise seit 2013 eine deutliche Abnahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche um 546 ha (> 3 x Außenalster), der Erholungsfläche um 314 ha54. Ursache ist die Neubewertung von Flächen, ohne dass sich die Nutzung in der Realität geändert hat. Gerade in diesem wichtigen Bereich sollten die statistischen Jahresdaten jedoch besonders verlässlich und vergleichbar sein.
Ziel 11.6 fordert, die von den Städten ausgehenden Umweltbelastungen pro Kopf zu senken, insbesondere bei der Luftqualität und Abfallbehandlung. In Hamburg wie in anderen deutschen Großstädten liegen die Stickoxidwerte im Straßenraum seit Langem über den Grenzwerten der EU; die wenigen getroffenen Maßnahmen reichen nicht aus55. Unter „Umweltbelastungen“ sind aber auch die CO2-Emissionen zu subsumieren, die schon oben unter 5.6 angesprochen wurden. Zur Erreichung des vom Hamburger Senat selbst gesetzten Minderungsziels von minus 50 Prozent bis 2030 (seit 1990) müssen wohl völlig neue Wege der Dekarbonisierung beschritten werden. Ein Weiter-so wird die Transformation in eine nachhaltige Stadt verfehlen. Bei der Abfallbehandlung ist die Hamburger Stadtreinigung ehrgeizig und innovativ. Das Hauptproblem besteht in der kaum zurückgehenden Menge an Haus- und Sperrmüll pro Kopf – siehe unter 5.9 zu Unterziel 12.5. Als weiteres Umwelt-Problem ist die Lärmbelastung durch den Verkehr zu nennen. Die Umsetzung der Lärmminderungsplanung zeigte bisher kaum durchgreifenden Erfolg56.
Die Stadt-Land-Beziehung nimmt Unterziel 11.a in den Blick, das nicht zuletzt den (politischen) Standort Hamburgs in der Metropolregion betrifft. Solange die grenzüberschreitenden Gremien auf Informationsaustausch beschränkt sind und keine Entscheidungsbefugnisse haben, wird es bei dem vielfach als ungleich empfundenen Verhältnis Hamburgs zu seinen Umlandgemeinden bleiben. Eine Teilung von Souveränität könnte mit einer verbindlichen grenzüberschreitenden Siedlungs-, Biotopverbund-, und Sozialraumplanung auch für Hamburg neue Optionen öffnen.
Unterziel 11.b spricht von integrierten Politiken und Plänen auch zur Förderung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Katastrophen. Der Begriff der „Resilienz“57 (Widerstandsfähigkeit) nimmt dies auf, geht aber darüber hinaus und meint eine Haltung und Politik, die sich auf ökologische, ökonomische und/oder soziale Risiken vorbereitet und einstellt. Eine solche Vorsorge betreibt Hamburg im Bereich der Klimaanpassung. Eine allgemeine Grundhaltung der Resilienz, die zum Beispiel offene Fehler- und Schwächendiskussionen, Entschleunigung und Reserve-Maßnahmen umfasst, prägt Hamburg bisher nicht. Dazu bedarf es einer besonderen Anpassungs-, Regenerations-, Lern- und Innovationsfähigkeit.
5.9 Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen (Ziel 12)
Die Unterziele 12.1 und 12.2 entsprechen der Zielvorgabe 8.4 (siehe oben 5.6). Eine quantifizierte Ergänzung bringt Ziel 12.3: Die Nahrungsmittelverschwendung auf Einzelhandels- und Verbraucherebene soll pro Kopf halbiert, die Verluste in den Produktions- und Lieferketten verringert werden. In Deutschland fallen jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an, davon 40 Prozent auf der Verbraucher- sowie 14 Prozent auf der Groß- und Einzelhandelsebene58. Der ökologische Fußabdruck Hamburgs ist im Bereich Nahrung noch größer als der Fußabdruck Deutschlands59. Die gebotene Reduzierung der Lebensmittelabfälle kann tropischen Urwald schützen und den Einsatz von Agrochemie verringern. Nicht nur die Stadtreinigung Hamburg, sondern jede/r Einzelne ist hier aufgerufen umzudenken.
Das Unterziel 12.5 – das Abfallaufkommen deutlich zu verringern – spricht für Hamburg einen kritischen Punkt an: Die Haushalts- und Sperrmüllmenge pro Kopf liegt über der in allen anderen Bundesländern60. Eine Gegenstrategie zum Schutze der Ressourcen wird derzeit nicht (öffentlich) diskutiert. Die Stadtreinigung Hamburg konzentriert sich eher auf die Verwertung des Abfalls. Der Ressourcenschutz beginnt jedoch bei der Vermeidung.
Um in der Wirtschaft die Sensibilität für eine nachhaltige Entwicklung zu erhöhen, fordert Unterziel 12.6, die Unternehmen zu einer Nachhaltigkeits-Berichterstattung zu ermutigen. Diese Ermutigung wäre in Hamburg Aufgabe der Wirtschaftsbehörde und der Handelskammer. Obwohl es in der Stadt viele Unternehmen mit Nachhaltigkeitsberichten gibt61, verfolgt und unterstützt die Wirtschaftspolitik das nicht. Die teilweise sehr komplexen Anforderungen an standardisierte Nachhaltigkeitsprüfungen und -berichte – etwa des europäischen Ökosiegels EMAS oder der Global Reporting Initiative GRI – sind in erster Linie für Großunternehmen geeignet und ab 1. Januar 2017 verpflichtend. Auch Klein- und Mittelunternehmen (KMU) werden, wenn sie Lieferanten dieser Großunternehmen sind, künftig verstärkt danach gefragt werden – was gerade hier zu zusätzlichen ökonomischen Belastungen führen wird.
Unterziel 12.7 will „in der öffentlichen Beschaffung nachhaltige Verfahren fördern“ – eingeschränkt durch die „nationalen Politiken und Prioritäten“. Hamburg ist hier auf dem richtigen Weg, der „Leitfaden umweltverträgliche Beschaffung“ ist ein erster Schritt62. Weitere müssen folgen – etwa die verbindliche Ausdehnung auf Bauleistungen, die Reduzierung der vielen Ausnahmen beziehungsweise Kann-Vorschiften, die Fortentwicklung zu einem Instrument für nachhaltige Beschaffung mit stärkerer Einbeziehung sozialer Vergabekriterien.
Unterziel 12.8 schließlich möchte sicherstellen, „dass die Menschen überall über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung und eine Lebensweise in Harmonie mit der Natur verfügen.“ Damit haben neben den Medien auch die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung die Berechtigung und Aufgabe, Lebensstilfragen und privates Verhalten zu thematisieren. In Hamburg ist es verpönt, die Bevölkerung zu belehren und ihnen in ihre private Lebensweise „hineinzureden“. Die Agenda 2030 stellt jedoch einen grundlegenden globalen Transformationsbedarf für eine gute und gerechte Zukunft fest. Deswegen erscheint es – auch im Interesse zukünftiger Generationen – nicht nur legitim, sondern auch geboten, dass staatliche Entscheidungsträger die Implikationen des privaten Konsums verdeutlichen, zum Beispiel die – im Preis oft nicht abgebildeten – sozialen und Umweltkosten in anderen Teilen der Welt. Hamburg muss darüber intensiv und zielgruppenspezifisch kommunizieren.
5.10 Klimaschutz (Ziel 13)
Ergänzend zu den angesprochenen Klimaschutzmaßnahmen (oben 5.6 und 5.8) fordert Unterziel 13.3 auch die Verbesserung der „personellen und institutionellen Kapazitäten im Bereich der Abschwächung des Klimawandels, der Klimaanpassung“. Hamburg hat in letzter Zeit die Verwaltungskapazitäten für die Klimaanpassung verstärkt, aber die für den Klimaschutz stark reduziert. Am Ende der schwarz-grünen Regierungskoalition in Hamburg standen für den Klimaschutz pro Jahr noch 23,5 Millionen Euro (2010) beziehungsweise 22,5 Millionen Euro (2011, vgl. Bü-Drs.19/8311) zur Verfügung. 2016 sind es noch 6,7 Millionen Euro63.
5.11 Nachhaltige Entwicklung der Meere und Küsten (Ziel 14)
Hinsichtlich des Schutzes von Küsten und Meeren (Zielvorgaben zu Ziel 14) muss auch Hamburg dafür Sorge tragen, dass über die Elbe keine Schadstoffe in die Nordsee und damit beispielsweise auch in die Speisefische gelangen. Neben dem umfangreichen Messprogramm der Flussgebietsgemeinschaft Elbe64 ermittelten Forscher von Greenpeace 2016, dass große Mengen von sogenanntem Mikroplastik, das mit dem Auge nicht wahrnehmbar ist, das Elbwasser belasten. An die Plastikteilchen binden sich giftige Polychlorierte Biphenyle, die über Fische in die Nahrungskette gelangen65. Für die Zukunft bedarf es hier erhöhter Aufmerksamkeit und womöglich wirksamer Gegenmaßnahmen.
5.12 Landökosysteme und die biologische Vielfalt schützen (Ziel 15)
Von den 12 Unterzielen zu Ziel 15 ist für Hamburg zunächst die Vorgabe 15.5 von Interesse: Sie fordert „bedeutende Maßnahmen“ gegen die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume, gegen den Verlust der biologischen Vielfalt und „bis 2020, die bedrohten Arten zu schützen und ihr Aussterben zu verhindern“. Mit dem Konzept „Grüne Vielfalt – Qualität der Stadt“ hat die Umweltbehörde 2012 eine ehrgeizige Strategie vorgelegt66. Die Absichtserklärung muss allerdings in vielen Bereichen auch gegen Widerstände umgesetzt werden. Die Zielkonflikte einer wachsenden Stadt zwischen dem Flächenverbrauch für Wohnen, Gewerbe und Verkehr einerseits und dem Schutz von (seltener) Flora und Fauna andererseits sind nicht vermeidbar. Wirtschaftliche (Bau-)Interessen haben in Hamburg traditionell ein sehr starkes Gewicht. Zur Sicherung eines langfristigen Artenschutzes sollte die Stadt besonders für die bedrohten Arten verbindliche Haltelinien oder „rote Linien“ einführen, die einer Abwägung nicht zugänglich sind. Dafür kommen zumindest die Natura 2000- beziehungsweise die Naturschutzgebiete und der Grüne Ring als Beginn eines Biotopverbundes in Betracht.
Unterziel 15.8 fordert bis 2020 Maßnahmen gegen das Eindringen und die Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten und die Kontrolle bzw. Beseitigung prioritärer Arten. In Hamburg ist dieses Ziel bislang kaum in der öffentlichen Diskussion. Die EU-Verordnung 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten67 sieht jedoch nationale und regionale Maßnahmen zur Stärkung der Artenvielfalt vor. Die Biodiversitäts-Strategie des Senats68 geht auf das Problem nicht ein.
Ambitioniert ist das Unterziel 15.9: In „lokale Planungen, Entwicklungsprozesse, Armutsbekämpfungsstrategien und Gesamtrechnungssysteme“ sollen bis 2020 „Ökosystem- und Biodiversitätswerte einbezogen“ werden. Dies erfolgt in Hamburg soweit ersichtlich bisher nicht. Insgesamt fordert die Agenda 2030 im Bereich des Artenschutzes anspruchsvolle Ziele und Bemühungen, die in der politischen Praxis der Hansestadt und in den Medien selten erkennbar sind.
5.13 Friedliche, inklusive Gesellschaften und den Rechtsstaat fördern (Ziel 16)
Hamburg ist Teil eines friedlichen Rechtsstaates. Dennoch ist die „deutliche Verringerung“ illegaler Finanz- und Waffenströme und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Unterziel 16.4) eine dauernde Aufgabe auch für diese Stadt – nicht zuletzt im Hafen als internationalem Waffenumschlagplatz, in den Rotlicht-Milieus in St. Pauli und St. Georg beziehungsweise im Internet.
Unterziel 16.7 fordert, dass „die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen bedarfsorientiert, inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ ist“. Dies spricht nicht nur, aber in erster Linie staatliche Institutionen (die Agenda-Unterzeichner) an. „Inklusiv“ meint dabei nicht (nur) die Einbeziehung von Behinderten, sondern ganz allgemein die Berücksichtigung der Interessen aller von einer Entscheidung Betroffenen. Das Gegenteil zu diesem Agenda-Ziel wäre eine autoritäre, allein auf formeller Macht beruhende Entscheidungsfindung. Die Hamburger Verfassung sieht eine weitreichende Volksgesetzgebung, das Bezirksverwaltungsgesetz Bürgerbegehren und Bürgerbescheide vor69. Das Agenda-Ziel 16.7 geht jedoch darüber hinaus: Auch normale Verwaltungsentscheidungen sollen nicht nur auf ihre Rechtsgrundlage verweisen, sondern auf ihre Auswirkungen in den verschiedensten Bereichen und auf die verschiedensten Betroffenen überprüft werden. Diese sehr weitgehende Forderung kann das traditionelle Verständnis von Staat und Bürger verändern und ein offeneres, legitimes und rechtfertigungsbedürftiges staatliches Handeln und gegebenenfalls Ver-Handeln fördern. Hamburg ist in letzter Zeit – etwa beim Bündnis für das Wohnen und bei der Vereinbarung über Flüchtlingsunterkünfte – erste Schritte in diese Richtung gegangen, die darauf abzielen, eine neue Kultur der Kommunikation zwischen Bevölkerung und Verwaltung herzustellen. Dazu gehören auch Überlegungen zu einer „Nachhaltigkeitsdemokratie“, konkret zu einer wirksamen Repräsentanz der Zivilgesellschaft etwa in mitentscheidungsberechtigten Kammern70.
5.14 Umsetzungsmittel und Globale Partnerschaften stärken (Ziel 17)
Das Ziel 17 betrifft vor allem die Entwicklungszusammenarbeit mit ärmeren Staaten. Diese ist grundsätzlich Bundesangelegenheit. Wie andere Bundesländer hat aber auch Hamburg eigene Haushaltsmittel für Fördermaßnahmen im Rahmen von Entwicklungsprojekten und/oder Städtepartnerschaften. Entgegen Unterziel 17.2 und 17.3 sind diese Mittel bis 2016 kontinuierlich gesunken. Mit Leon (Nicaragua) und Daressalam (Tansania) hat Hamburg Partnerstädte, die dringend Unterstützung brauchen – nicht nur finanziell, sondern auch technisch (Unterziele 17.6 bis 17.8) und organisatorisch (Unterziel 17.9). Die Entwicklungshilfemittel der Senatskanzlei sollten verstärkt zur Umsetzung von Projekten eingesetzt werden, die Ziele der Agenda 2030 verfolgen und zu einer global nachhaltigen Entwicklung beitragen. Das Kompostierungsprojekt in Daressalam, in das endlich die seit vielen Jahren angesparten Kompensationszahlungen für Dienstreisen der Stadtbediensteten investiert werden sollen, ist ins Stocken geraten.
Unterziel 17.19 fordert die Erarbeitung von „Fortschrittsmaßen für nachhaltige Entwicklung, die das Bruttoinlandsprodukt ergänzen“. Dieses Anliegen der Agenda 2030 spricht ein wichtiges Thema an. Wirtschaftswachstum und Zufriedenheit der Menschen bewegen sich längst nicht mehr parallel. Trotz einer Enquetekommission des Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ 2010-201371 wird in Politik und Gesellschaft noch immer das Wirtschaftswachstum – zum Teil unbewusst – als der entscheidende Wohlstands-/Wohlfahrtsmaßstab betrachtet. Das suggeriert eine Priorität der Ökonomie über die beiden anderen Säulen (Ökologie und Soziales) der Nachhaltigkeit und ist für die Agenda 2030 nicht zielführend. 2014 wurde ein von Wissenschaftlern entwickelter „Hamburger Wohlfahrtsindex (HWI)“ publiziert, der das BIP um Zu- und Abschläge für nicht marktfähige Leistungen beziehungsweise im BIP vernachlässigte Kosten ergänzte72. Es muss Ziel politischer (und medialer) Kommunikation werden, „Wirtschaftswachstum“ und „Wohlfahrt/Zufriedenheit“ deutlich voneinander zu trennen und der Ökonomie die ökologische Tragfähigkeit und den sozialen Ausgleich zur Seite zu stellen73.
1 Der Text wurde im Dezember 2016 verfasst.
2 Vgl. ähnliche „Kernempfehlungen für transformative Handlungsfelder“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WBGU, Hauptgutachten 2011, Zusammenfassung S. 28 f. (vgl. FN 7); aktuell das Sondergutachten des WBGU vom Dezember 2016 „Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation. Die vier großen I“ http://www.wbgu.de/sg2016/.
3 Agenda 2030, Resolution Ziff. 5 (S. 3/38).
4 A/Res/70/1, deutsche Fassung.
5 Ebenda S. 3/38.
6 Resolution Ziff. 55, S. 14/38.
7 Vgl. für Deutschland schon das Hauptgutachten 2011 des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: „Welt im Wandel, Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ http://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu.de/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/jg2011/wbgu_jg2011_ZfE.pdf.
8 A/Res/70/1, S. 36/38.
9 Vgl. zuletzt https://www.nachhaltigkeit.nrw.de/themen/nachhaltigkeitsstrategie-fuer-nordrhein-westfalen/
10 Hamburger Klimaplan, Bü-Drs. 21/2521 vom 8. Dezember 2015.
11 „Grüne Vielfalt – Qualität der Stadt. Strategie für die Entwicklung der Biodiversität“, 2012 (Broschüre).
12 Vgl. zum Beispiel Sozialmonitoring der integrierten Stadtentwicklung http://www.hamburg.de/contentblob/4664066/ec8b589b0fcc8612fbf54359ba38bb60/data/d-sozialmonitoring-bericht-2015.pdf.
13 Vgl. 1998 Wettbewerb „Regionen der Zukunft“: Bewerbungs-Broschüre mit dem farbigen und beschrifteten Nachhaltigkeits-Dreieck als Deckblatt.
14 http://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/infobroschueren/Materialie270_zukunftsvertrag.pdf
15 https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/Nachhaltigkeit/Nachhaltigkeitsdialog-2015-2016/programm-hamburg.html
16 https://www.nachhaltigkeitsrat.de/nachhaltigkeit/strategie/
17 http://www.ewnw-hamburg.de/event/hamburger-ratschlag-zur-umsetzung-der-agenda-2030-fuer-nachhaltige-entwicklung
18 Bürgerschaftsdrucksache 21/6166 vom 28. September 2016
19 Zur „Transformations-Aufgabe“ der G20 vgl. aktuell das Sondergutachten des WBGU (FN 2), S. 4 ff., 17 ff.
20 So auch Wissenschaftlicher Beirat der BReg. Globale Umweltveränderungen: „Der Umzug der Menschheit – die transformative Kraft der Städte“ 2016, Zusammenfassung S.9.
21 Vgl. Resolution Ziff. 57, 48.
22 Dokument E/CN.3/2016/2 (englisch).
23 Sollte mit dieser Orientierung auf Verbesserungsbedürftiges der Eindruck eines einseitig negativen Hamburg-Bildes entstehen, entspricht dies keineswegs der Auffassung des Autors.
24 Kurzvorstellung in: Zukunftsrat Hamburg: Hamburger Nachhaltigkeitsbericht 2015, S. 14-20.
25 http://de.actualitix.com/land/wld/hdi-human-development-index-nach-landern.php. Dieser müsste mit Hamburger Daten auf die regionale Ebene bezogen werden.
26 Zukunftsrat Hamburg (Hrsg.): Der ökologische Fußabdruck der Hansestadt Hamburg, 2012.
27 Kursive Hervorhebungen durch den Autor.
28 http://infothek.paritaet.org/pid/fachinfos.nsf/0/1dfb5add8a374203c125809f0036c521/$FILE/Paritaet-2017-Stellungnahme_5_ARB-E.pdf; ferner die Analyse des Statistikamts Nord, Münzenmeyer, für 2009/2010: https://www.statistiknord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Analysen/Statistische_Analysen_03_2012.pdf
29 http://www.zukunftsrat.de/fileadmin/HEINZ_2016_DRUCK.pdf
30 Vgl. den Vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a334-4-armuts-reichtumsbericht-2013.pdf?__blob=publicationFile
31 Vgl. Indikator 3.4.1 der UN (FN 19).
32 http://www.hamburg.de/indikatoren/122424/start-dia-3-5/
33 http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/4042616/2013-07-09-bwf-langzeitstudie-erforschung-von-volkskrankheiten/
34 http://www.bado.de/dokumente/2015/BADO-Statusbericht_2015_www.pdf
35 Vgl. HEINZ 2016, Indikator S7 und S3, www.zukunftsrat.de >Publikationen< HEINZ 2016.
36 http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/geschlechter-studie-schulen-benachteiligen-jungen-massiv-a-612997.html
37 http://www.hamburg.de/nachhaltigkeitlernen/
38 Zum Teilbereich „Globale Entwicklung“ aktuell: KMK/BMZ: Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung, 2016.
39 http://www.hamburg.de/contentblob/5359134/0ed74d82b0ac529d41b3fa66105ea8f7/data/pks-2015-do.pdf
40 https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Analysen/Sta_A_03_2014.pdf
41 http://www.lak-energiebilanzen.de/
42 Ebenda.
43 http://www.bmub.bund.de/themen/wirtschaft-produkte-ressourcen-tourismus/produkte-und-umwelt/internationale-aktivitaeten/aktivitaeten-auf-un-ebene/
44 Arbeitsgemeinschaft Umweltökonomische Gesamtrechnung der Länder. http://www.ugrdl.de/tab116.htm
45 HEINZ 2016 Indikator U5 www.zukunftsrat.de >Publikationen< HEINZ 2016.
46 http://www.ugrdl.de/tab115.htm
47 Zum Beispiel http://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/wirtschaft_und_finanzen/P_I_1_j_H/P_I_1_%282%29_j15_HH.pdf
48 Vgl. allgemein zur Datengrundlage optimistisch: Agenda 2030 Resolution Ziff.74 g: „Die Weiterverfolgungs- und Überprüfungsprozesse werden rigoros und empirisch fundiert sein und auf ländergesteuerten Evaluierungen sowie hochwertigen, zugänglichen, aktuellen und verlässlichen Daten beruhen, die nach Einkommen, Geschlecht, Alter, Rasse, Ethnizität, Migrationsstatus, Behinderung, geografischer Lage und sonstigen im nationalen Kontext relevanten Merkmalen aufgeschlüsselt sind.“
49 www.zukunftsrat.de >Publikationen< HEINZ 2016 >Datenblatt<.
50 Aber in der Resolution Ziff. 29.
51 http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2016-urbanisierung/
52 Vgl. die kurzgefasste Problembeschreibung unter www.zukunftsrat.de >Publikationen< Wohnraumversorgung.
53 Vgl. Wuppertal Institut (Hrsg): Zukunftsfähiges Hamburg, 2010, S. 162 ff.
54 https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/andere_statistiken/A_V_1_H_gebiet_flaeche/A_V_1_j15_HH.pdf, Vgl. auch HEINZ 2016 Indikator U1: www.zukunftsrat.de >Publikationen< HEINZ 2016.
55 HEINZ 2016 Indikator U 7.2.
56 Der Fluglärm stieg seit 2013 wieder deutlich an; vgl. HEINZ Indikator U 8.
57 Peter Jakubowski: Resilienz – eine zusätzliche Denkfigur für gute Stadtentwicklung, Informationen zur Raumentwicklung Heft4/2013, S.371-378.
58 http://www.welthungerhilfe.de/ueber-uns/mediathek/whh-artikel/lebensmittelverschwendung-fact-sheet.html.
59 Zukunftsrat Hamburg: Der ökologische Fußabdruck der Hansestadt Hamburg, 2012, S.9, 22.
60 www.ugrdl.de/tab122.htm
61 Vgl. Taubken/Schindler/Prigge: Unternehmensverantwortung wirkt! Geteilte Wertschöpfung durch Corporate Responsibility, 2013. Vgl. ferner die Datenbanken zum Deutschen Nachhaltigkeits-Kodex des Deutschen Nachhaltigkeitsrats („Entsprechens-Erklärungen“) und des Global Compact www.globalcompact.de/de/teilnahme/teilnehmerverzeichnis.php
62 http://www.hamburg.de/contentblob/6169280/183d1155e56bc482bca60b69966819b6/data/d-umweltleitfaden.pdf
63 Klimaplan 2015, Bü-Drs. 21/2521 vom 8. Dezember 2015.
64 http://www.fgg-elbe.de/elbe-datenportal/messprogramme.html
65 Bericht Hamburger Abendblatt 25. November 2016.
66 http://www.hamburg.de/contentblob/3809296/data/broschuere-gruene-vielfalt-qualitaet-der-stadt.pdf
67 http://pflanzengesundheit.jki.bund.de/dokumente/upload/ee640_vo2014-1143_invasive_arten_de.pdf
68 S. o. FN 65.
69 Art.50 Hamb.Verf.; § 32 BezVwG.
70 Massarat, Demokratisierung der Demokratie, 2003.
71 Schlussbericht: BTag-Drs. 17/13300 vom 3. Mai 2013.
72 Vgl. Kurzvorstellung in: Zukunftsrat Hamburg (Hrsg.): Hamburger Nachhaltigkeitsbericht 2015; ferner Münzenmaier, Materieller und immaterieller Wohlstand http://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/andere_statistiken/A_V_1_H_gebiet_flaeche/A_V_1_j15._HH.pdf; vgl. auch den Human Development Index (HDI) s. o. FN 22.
73 Vgl. auch Agenda 2030, Resolution Ziff.27: „Ein dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist eine wesentliche Voraussetzung für Wohlstand. Dies wird allerdings nur dann möglich sein, wenn Reichtum geteilt und Einkommensungleichheit bekämpft wird.“
Demokratie und Frieden
Information
Über den Zukunftsrat Hamburg
Der Zukunftsrat Hamburg – eine überparteiliche, unabhängige, ehrenamtlich arbeitende Organisation – fördert und entwickelt nach eigenen Angaben „alle geeigneten Aktivitäten und Prozesse, die im Sinne der Agenda 21 sind“. Er versteht sich als Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, „die sich aktiv und kritisch-kommentierend in die Politik einbringen“. Mehr als hundert Mitglieder zählt der Zukunftsrat, dabei handelt es sich um Institutionen, Verbände, Unternehmen und Initiativen, die im Sinne einer Lokalen Agenda 21 für ein zukunftsfähiges Hamburg arbeiten wollen.
Der Zukunftsrat setzt sich für die Formulierung einer Nachhaltigkeitsstrategie für Hamburg ein und fordert die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in der Hansestadt. Gemeinsam mit einigen Nichtregierungsorganisationen organisiert er den Hamburger Ratschlag zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung „Die Zukunft, die wir wollen – das Hamburg, das wir brauchen“.
Aus der Praxis
Konkrete Pläne. Hamburg und die SDGs
Vor Beginn des G20-Gipfels in Hamburg hat der Senat der Hansestadt nach eigenen Angaben „ein Zeichen für Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Gerechtigkeit und globale Solidarität“ gesetzt, indem er am 4. Juli eine Drucksache (21/9700) zur „Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in Hamburg“ beschloss. Diese enthält einen Fahrplan für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele in den kommendenfolgenden Jahren und benennt konkrete Projekte in den Bereichen Umweltschutz und Stadtentwicklung, Soziales, Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Bildung und Wissenschaft. So soll beispielsweise die Beschaffung der Stadt nachhaltig organisiert werden und in öffentlichen Einrichtungen nur noch Kaffee aus fairem Handel ausgeschenkt werden. Und iIm Hamburger Osten wird ein neuer Stadtteil („Oberbillwerder“) mit mehreren tausend Wohnungen entstehen , wo integrierte Stadtentwicklung zum Tragen kommen wird, das bedeutet, dass die Themen Energie, Klima, Verkehr, Bildung, lokale Wirtschaft, Biodiversität, bezahlbarer Wohnraum, soziale Inklusion und Freiraumversorgung miteinander verzahnt und neue Standards ausprobiert werden sollen, wie beispielsweise die vollständige Versorgung des Quartiers aus erneuerbaren Energien.
In den zurückliegenden Monaten haben unter Federführung der Umweltbehörde Vertreter*innen aus der Verwaltung und Nichtregierungsorganisationen gemeinsam den Hamburger Fahrplan zur Umsetzung der Agenda 2030 entwickelt. Es ist vorgesehen, diesen Austausch mit der Zivilgesellschaft zukünftig zu vertiefen und dazu ein Hamburger Nachhaltigkeitsforum einzurichten, in dem die Hamburger Verwaltung gemeinsam mit der Zivilgesellschaft Projekte entwickelt.
zum Thema
Die Agenda 2030 in Deutschland