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/ 03.06.2013
Rainer Schmalz-Bruns

Reflexive Demokratie. Die demokratische Transformation moderner Politik

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1995; 302 S.; brosch., 78,- DM; ISBN 3-7890-3559-9
Politikwiss. Habilschrift Hamburg. - Angesichts der zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung von Lebensformen und eines vielfach unbewältigten Problemstaus erscheint es Schmalz-Bruns notwendig, den repräsentativ-steuernden Entscheidungsprozeß in parlamentarischen Demokratien durch partizipatorische Elemente zu reformieren. Die Idee der "reflexiven Demokratie" als Alternative zur repräsentativen Demokratie ist eng verwandt mit Konzepten der Zivilgesellschaft. Das Ziel ist, im repräsentativen System verschüttete gesellschaftliche Problemlösungskapazitäten zu nutzen. Dazu soll "die Struktur einer institutionell befestigten Aufspaltung von Demokratie" aufgebrochen werden; die Lösung liegt "im Kern in der Radikalisierung und Erweiterung des reflexiven Mechanismus aufeinander bezogener, arbeitsteiliger Prozesse der Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung, wie er im Modell der horizontalen und vertikalen Gewaltenverschränkung bereits vorgegeben ist". Durch eine "Radikalisierung partizipatorischer Elemente" entsteht schließlich die "Perspektive einer weitergehenden Vergesellschaftung des Staates" (161). Zunächst analysiert der Autor die jüngere Staats-, Institutionen- und Demokratiedebatte in Hinblick auf die praktischen und moralischen Motive für eine entsprechende Reform. Der Autor wendet sich hier gegen das konkurrenzdemokratische Modell, gegen die Theorie des politischen Liberalismus und befürwortet die Idee deliberativer Politik, wie sie u. a. von Habermas entwickelt worden ist. Diese Idee konkretisiert Schmalz-Bruns im zweiten Abschnitt. Die staatlichen Entscheidungskompetenzen sollten je nach Politikbereich auch auf gesellschaftliche Gruppen und Individuen verteilt werden. Konkret befürwortet der Autor z. B. "deliberative opinion polls", bei denen eine repräsentative Auswahl von Bürgern über mehrere Tage hinweg an einem Ort mit Parteikandidaten diskutiert (174 f.). Des weiteren spricht er sich für ein deliberatives Parlamentarismusmodell aus, was teils auf die Befürwortung des veralteten klassisch-liberalen Modells hinausläuft, teils auf der Ebene des Sollens und der Idealvorstellungen bleibt (176 ff.). Parteien würden nach Schmalz-Bruns durch die stärkere Einbindung von anderen gesellschaftlichen Kräften an Einfluß verlieren. Sie sollten sich projektgebunden auch für Nichtmitglieder öffnen und aus Machterwerbsorganisationen zu "demokratischen Kommunikationsparteien" werden (184). Kritisch anzumerken sind zum einen die fremdwortreichen Formulierungen, die die Lektüre unnötig erschweren. Zum anderen besteht ein Mangel an empirischen Beispielen und praktischen Vorschlägen. Inhaltlich ist vor allem zu fragen, ob eine Flexibilisierung der Entscheidungsstrukturen mit der intensiveren Einbeziehung von Interessenverbänden und anderen gesellschaftlichen Gruppen in den staatlichen Entscheidungsprozeß nicht auch zu stärkeren Durchsetzungsmöglichkeiten von Partikularinteressen führen würde. Inhaltsübersicht: I. Zur Idee deliberativer Politik: 1. Demokratietheorie im Spiegel der Krise staatlicher Politik; 2. Staatsbürgermoral und politische Institutionen: Die Konturen eines neuen Republikanismus; 3. Selbstgesetzgebung oder Selbstregierung? II. Das Modell der "reflexiven Demokratie": 4. Zum Konzept der "Civil Society"; 5. Ansätze zu einer Radikalisierung des Modells zivilgesellschaftlicher Politik; 6. Die Idee der reflexiven Demokratie; 7. Institutionelle Implikationen. III. Jenseits von Staat und Gesellschaft: Zur assoziationspolitischen Modernisierung der Demokratie: 8. Perspektiven einer "dritten demokratischen Transformation"; 9. Zur Erweiterung des demokratischen Handlungsrahmens: Netzwerke, Verhandlungssysteme und "deliberative Arenen".
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.322.3253.7 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Rainer Schmalz-Bruns: Reflexive Demokratie. Baden-Baden: 1995, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1624-reflexive-demokratie_1853, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 1853 Rezension drucken
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