/ 05.06.2013
Fritz W. Scharpf
Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch?
Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 1999 (Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Sonderband); 201 S.; kart., 39,80 DM; ISBN 3-593-36111-6Ausgehend von der Vermutung, "die Erosion politischer Legitimität in Westeuropa könne die Folge einer verminderten Problemlösungsfähigkeit der Politik sein, die wiederum ihre Ursache in den miteinander verknüpften Prozessen der ökonomischen Globalisierung und der europäischen Integration hat" (12), erläutert Scharpf im ersten Kapitel, das mit "Demokratie in einer kapitalistischen Wirtschaft" betitelt ist, zwei Dimensionen demokratischer Selbstbestimmung (die "Input-" und die "Output-orientierte Legitimation") und geht auf die Grenzen europäischer Legitimität ein. Im zweiten Kapitel setzt er sich mit den verschiedenen Aspekten der "negativen" und der "positiven" Integration in der EU auseinander. Wesentlicher Nutznießer der europäischen Rechtsordnung ist die negative Integration, die von der Kommission und dem Europäischen Gerichtshof erfolgreich vorangetrieben werden konnte. Die positive Integration hängt hingegen vom Einvernehmen der nationalen Regierungen im Ministerrat sowie der Billigung durch das Europäische Parlament ab. "Die europäische Politik ist am wirksamsten auf dem Gebiet der negativen Integration, auf dem Kommission und Gerichtshof politisch ungehindert Umfang und Intensität des Marktwettbewerbs ausdehnen konnten. Am schwächsten ist sie gerade in jenen Bereichen, in denen bestehende marktkorrigierende Regelungen auf nationaler Ebene durch einen verstärkten Wettbewerb unter Druck geraten sind. Die europäische Integration hat also in der Tat die Optionen der nationalen Politik stark eingeschränkt, ohne daß die Politik auf der europäischen Ebene gleichwertige Gestaltungsmöglichkeiten wiedergewinnen könnte." (172)
Im folgenden geht es um die Problemlösungsfähigkeit der Mehrebenenpolitik in Europa. Scharpf empfiehlt zu prüfen, "wie politische Anstrengungen zur Fortentwicklung der positiven Integration durch parallele Bemühungen zur Erweiterung des Problemlösungspotentials der rechtlichen Integration ergänzt werden können. Schließlich hat Europa ja als Rechtsordnung viel größere Fortschritte gemacht denn als politische Handlungseinheit." (178) Das legislative Potential der europäischen Justiz kam bisher vor allem der negativen Integration zugute. Der Rechtsschutz ließe sich jedoch auch etwa auf die Rechte ausdehnen, die in der Sozialcharta von 1989 postuliert wurden; europäische und nationale Gerichte könnten hier ebenfalls effektive Instrumente zur Bekämpfung des Sozialdumpings entwickeln. "Was man erwarten könnte, ist die Prospektierung und Landnahme neuer Rechtsgebiete in den gleichen Prozessen, in denen die Grenzen des Europarechts seit den Grundlagenentscheidungen der frühen sechziger Jahre erweitert wurden." (179) Auf nationaler Ebene sollten die europäischen Sozialstaaten Lösungen finden, um einen intensiven internationalen Wettbewerb zu ermöglichen. Die schwierige Transformation von ungeschützten zu wettbewerbsorientierten Sozialstaaten wird eine Aufgabe sein, "welche die integrativen Fähigkeiten der politischen Eliten in allen Ländern auf eine schwere Probe stellen wird" (180). Gesucht sind einerseits nationale Lösungen, die trotz fortschreitender Integration verwirklicht werden können, andererseits europäische Lösungen, die die nationale Politik unterstützen, ohne an Interessenkonflikten zwischen den Regierungen zu scheitern.
Sabine Steppat (Ste)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 3.1 | 3.5 | 3.7
Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Fritz W. Scharpf: Regieren in Europa. Frankfurt a. M./New York: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6428-regieren-in-europa_8736, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 8736
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Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
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