/ 05.06.2013
Stefan Huf
Sozialstaat und Moderne. Modernisierungseffekte staatlicher Sozialpolitik
Berlin: Duncker & Humblot 1998 (Sozialpolitische Schriften 75); 253 S.; 92,- DM; ISBN 3-428-09437-9Diss. Hohenheim. - In der weitverzweigten Kontroverse über den gesellschaftlichen "Wert" der Sozialpolitik schlägt sich der Autor eindeutig auf die Seite jener Argumentation, die der Institutionalisierung wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme einen eigenständigen Beitrag zur gesellschaftlichen Modernisierung zuschreibt. Diese Perspektive - in der Literatur prononciert von Vobruba vertreten, dem Huf in seinen Überlegungen folgt - richtet sich gegen die bisher dominierende Sichtweise, derzufolge Sozialpolitik lediglich reaktiv-kompensatorisch auf Modernisierungsfolgen bezogen sei. Geleitet von der Absicht, die konstitutiv-gestalterischen Modernisierungsbeiträge der Sozialpolitik hervorzuheben (16 f.), bietet die Studie eine systematische, auf den Fall der deutschen sozialstaatlichen Entwicklung konzentrierte (30 ff.) Diskussion theoretischer Positionen, die sich konzeptionell an ein konstruktivistisches Theoriedesign anlehnt. Es geht also nicht um - alternative - empirische Erklärungen, sondern um die Darstellung möglicher anderer Sichtweisen, die die eigenständige Leistung von Sozialpolitik plausibel machen können. Dabei greift der Autor zuweilen zu unnötig scharfer Kontrastierung; so kann man angesichts der neueren Debatte über das Verhältnis von Inklusion und Exklusion gewiß nicht behaupten: "Sozialpolitik und Sozialstaat werden in der Modernisierungstheorie augenscheinlich keine besondere Bedeutung beigemessen" (64). Von diesen Stilisierungen abgesehen gelingt es Huf eindrucksvoll, in seiner Auseinandersetzung mit einer umfangreichen Literatur etliche Argumente für eine "konstitutiv-gestalterische" Perspektive der Sozialpolitik zu entwickeln. Das gilt schon für die Überprüfung von "Anschlußmöglichkeiten im älteren Schrifttum" (36 ff.), noch stärker jedoch für den systematischen Bezug auf wichtige Modernisierungstendenzen (Individualisierung, funktionale Differenzierung, Rationalisierung - 67 ff.) und zentrale Institutionen moderner Gesellschaft (Arbeitsmarkt, Demokratie, Lebenslaufregimes und Geschlechterverhältnis - 127 ff.).
Inhalt: A. Einführende Beobachtungen: I. Sozialpolitik - beobachtet: 1. Beobachtungen - beobachtet; 2. Sozialpolitik - 'reaktiv-kompensatorisch' beobachtet: Sozialpolitik in der Defensive: a) Der sozialwissenschaftliche Konsens; b) Die sozialpolitische Zielorientierung; c) Ökonomische Beobachtungen der Sozialpolitik; 3. Sozialpolitik - 'konstitutiv-gestalterisch' beobachtet: Eine andere Perspektive. II. Exkurs: Sozialpolitik - klassisch beobachtet: Anknüpfungsmöglichkeiten im älteren Schrifttum: 1. Die öffentlichen Zwecke des modernen Armenwesens (Georg Simmel); 2. Das "konservativ-revolutionäre Doppelwesen" der Sozialpolitik (Eduard Heimann); 3. Der wirtschaftliche Wert der Sozialpolitik (Gesellschaft für Soziale Reform); 4. Sozialpolitik als gesellschaftsgestaltende Politik (Ludwig Preller); 5. Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik (Hans Achinger); 6. Die Entwicklung der sozialen Staatsbürgerrechte (Thomas H. Marshall). III. Moderne - beobachtet. B. Sozialpolitik und Modernisierungsprozesse: I. Individualisierung: 1. Individualisierung und Moderne; 2. Sozialpolitik und Individualisierung; 3. Sicherheit und Individualisierung. II. Funktionale Differenzierung: 1. Differenzierung und Moderne; 2. Sozialpolitische Flankierung funktionaler Differenzierung; 3. Funktionale Differenzierung und Inklusion; 4. Sozialpolitik als Innovationspolitik. III. Rationalisierung: 1. Rationalisierung und Moderne; 2. Rationalisierung und soziale Hilfe; 3. Sozialpolitik und die Institutionalisierung des Klassenkonflikts. C. Sozialpolitik und Institutionen der Moderne: I. Kapitalismus und Arbeitsgesellschaft: 1. Kapitalismus, Arbeitsgesellschaft und Moderne; 2. Sozialpolitik und die Sonderstellung des Arbeitsmarktes; 3. Sozialpolitik und die Normalisierung der Arbeitsgesellschaft; 4. Sozialpolitik und Kapitalismus - nochmals: Der wirtschaftliche Wert der Sozialpolitik. II. Nationalstaatliche Demokratie: 1. Nationalstaat und Moderne; 2. Der Weg Deutschlands zur Nationalstaatlichkeit und seine sozialpolitische Flankierung; 3. Sozialpolitik und Demokratie. III. Moderne Lebenslaufregimes: 1. Institutionalisierung des modernen Lebenslaufs; 2. Sozialpolitik als Lebenslaufpolitik; 3. Generationenverhältnisse und demographische Entwicklung im Wohlfahrtsstaat. IV. Modernes Geschlechterverhältnis: 1. Patriarchalismus der Moderne; 2. Sozialpolitik als Geschlechterpolitik.
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.262
Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Stefan Huf: Sozialstaat und Moderne. Berlin: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/7208-sozialstaat-und-moderne_9628, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 9628
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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