Wenige Berufsbilder halten mit der Digitalisierung Schritt. Substituierbarkeitspotenziale von Berufen
Die Entwicklung neuer Technologien hat deutlich an Fahrt aufgenommen. Berufliche Tätigkeiten, bei denen der Mensch bisher als nicht ersetzbar galt, könnten heute potenziell von Computern und computergesteuerten Maschinen erledigt werden. Gleichzeitig haben sich in einigen Berufen die Tätigkeitsprofile verändert und es sind neue Tätigkeiten oder Berufe hinzugekommen. Vor diesem Hintergrund berechnen Katharina Dengler und Britta Matthes den Anteil der potenziell ersetzbaren Tätigkeiten in den Berufen für das Jahr 2016 neu, vergleichen die Ergebnisse mit denen von 2013 und untersuchen, wie sich die potenzielle Betroffenheit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verändert hat.
Die Entwicklung neuer Technologien hat in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen. Berufliche Tätigkeiten, bei denen der Mensch bisher als nicht ersetzbar galt, könnten heute potenziell von Computern und computergesteuerten Maschinen erledigt werden. Gleichzeitig haben sich in einigen Berufen die Tätigkeitsprofile verändert und es sind neue Tätigkeiten oder Berufe hinzugekommen. Vor diesem Hintergrund berechnen wir den Anteil der potenziell ersetzbaren Tätigkeiten in den Berufen für das Jahr 2016 neu, vergleichen die Ergebnisse mit denen von 2013 und untersuchen, wie sich die potenzielle Betroffenheit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verändert hat.
Die Digitalisierung führt in vielen Bereichen zu einer rasanten Entwicklung. So hat sich beispielsweise der Laufroboter „Atlas” in wenigen Jahren von einer klobigen, am Kabel laufenden Maschine zu einem humanoiden Roboter entwickelt, der 2016 erstmals einen Rückwärtssalto gestanden und damit die Sportlichkeit und Balancefähigkeit eines normalen Menschen weit übertroffen hat. Die allgemeine Verunsicherung über die Konsequenzen des Einsatzes solcher Technologien für die zukünftigen Beschäftigungschancen ist groß. Weil bislang jedoch noch kein humanoider Roboter marktreif ist, haben diese Technologien auch noch keine Folgen für den Arbeitsmarkt. Dennoch ist in den letzten Jahren eine Reihe neuer Technologien so weiterentwickelt worden, dass sie Marktreife erlangt haben.
Im Jahr 2013 haben wir das erste Mal dargestellt, wie viele der in einem Beruf anfallenden Tätigkeiten von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten (Dengler/Matthes 2015). Diese Einschätzung war eine Momentaufnahme ausgehend von den technologischen Möglichkeiten und den Berufsbildern im Jahr 2013. Inzwischen gibt es Computer oder computergesteuerte Maschinen auf dem Markt, die Tätigkeiten, die damals als nicht ersetzbar galten, heute potenziell ersetzen können. Deswegen ist eine Aktualisierung der Substituierbarkeitspotenziale – also der Abschätzung, in welchem Ausmaß Berufe durch Computer oder computergesteuerte Maschinen ersetzt werden könnten (vgl. Info 1) – erforderlich.
Roboter verlassen ihre Käfige
Unter den Technologien, die in den letzten Jahren marktreif geworden sind, ist vor allem der mobile, kollaborative Roboter zu nennen. Statt wie ein klassischer Industrieroboter, der an einem Ort feststeht und immer wieder die vorprogrammierten Arbeitsschritte erledigt, kann er unterschiedliche Tätigkeiten an verschiedenen Orten verrichten und dabei mit Menschen zusammenarbeiten. Bisher waren beim Einsatz von Industrierobotern trennende Schutzeinrichtungen notwendig, um Personen, die sich im Arbeitsfeld des Roboters befanden, sicher gegen Verletzungen durch die sich schnell bewegenden Roboter zu schützen. Kollaborierende Roboter dagegen sind mit Sensoren ausgestattet, die Verletzungen des menschlichen Mitarbeiters verhindern. Damit wird es möglich, dass Menschen eng mit Robotern zusammenarbeiten. Ein kollaborativer Roboter kann zum Beispiel eingesetzt werden, um schwere Werkstücke zu heben und zu positionieren, um dem Menschen die Arbeit zu erleichtern.
Kollaborative Roboter sind aber auch die Basis für eine Reihe von Servicerobotern, die viele einfache Tätigkeiten übernehmen können. So gibt es zwar schon länger fahrerlose Transportsysteme; neu ist allerdings, dass die Transportroboter nicht mehr an vorgeschriebene Wege gebunden sind, sich also selbstständig den optimalen Weg zur nächsten Be- oder Entladestation suchen können. Gleichzeitig registrieren Sensoren, dass ein Produkt aus dem Regal entnommen und in welchen Behälter es gelegt worden ist. Dadurch können Tätigkeiten, die bisher als nicht ersetzbar galten, von Robotern übernommen werden: zum Beispiel das Kommissionieren im Lager, das Be- und Entladen von Maschinen, das Transportieren von Waren und Werkzeugen, aber auch das Holen oder Bringen von Essen oder medizinischen Produkten in der Patientenbetreuung, das Begleiten von Kunden auf dem Weg zu einem gesuchten Produkt und vieles andere mehr.
Computerprogramme können selbstständig lernen
Weil große Datenmengen gesammelt und in Echtzeit ausgewertet werden können, lassen sich zum Beispiel mit intelligenter Bilderkennung verschiedene Prozesse in der Wertschöpfungskette wie Wareneingangskontrolle, Montageprüfung oder Warenkommissionierung optimieren. Dabei werden viele Bilder von einem Produkt gemacht und in einem Datenbanksystem mit den dazugehörigen Parametern gespeichert. Werden nun Waren geliefert, erzeugt eine Kamera ein Bild, das mit den Bildern in der Datenbank verglichen und in Sekundenbruchteilen erkannt werden kann. Dabei optimiert sich das System selber, denn es kommen immer wieder neue Bilder vom gleichen Produkt hinzu.
Aber nicht nur einfache Tätigkeiten können zunehmend besser von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden, sondern auch komplexere Aufgaben. Durch Vergleichen eines unbekannten Falls mit einer großen Anzahl von datenbankgespeicherten Fällen sind Computerprogramme zunehmend besser in der Lage, auch komplexe Sachverhalte zu analysieren und zu bewerten. So können Versicherungsanträge oder Steuererklärungen vollautomatisch geprüft werden. Selbst bei der Besetzung einer offenen Stelle schaffen es Computerprogramme inzwischen, auf der Basis einer genauen Beschreibung des Stellenprofils und einer großen Menge an Daten über die bisherigen Rekrutierungsentscheidungen geeignete Kandidaten vorzuschlagen. Ein eingebauter Lernalgorithmus (Machine Learning) führt dabei nicht nur dazu, dass die historischen Erfahrungen bei der Besetzung einer Stelle in das Programm einfließt, sondern auch dazu, dass sich der Suchalgorithmus – wenn der vom Programm vorgeschlagene Kandidat nicht eingestellt werden konnte oder nicht die erhofften Ergebnisse erzielt – automatisch anpasst.
Weil immer mehr Daten verfügbar sind, zunehmend Daten aus unterschiedlichen Quellen miteinander kombiniert werden können und auch entsprechende statistische Modelle entwickelt werden, gewinnen Prognosen an Vorhersagekraft. So gelingt es immer besser, Lagerbestände dadurch zu reduzieren, dass die Schätzung, wann, wie viel eines Produkts oder einer Ware an einem bestimmten Ort zur Verfügung stehen sollte, immer genauer wird. In der Landwirtschaft geht es beim Düngen nicht mehr nur darum, Dünger auf dem Feld auszubringen, sondern auch darum, Daten über Bodeneigenschaften und Wetter zu nutzen, um durch bedarfsgerechte Düngung die Kosten für Dünger, Pflanzenschutzmittel und Saatgut zu senken. Nicht zuletzt ergibt sich daraus die Möglichkeit, den Eintrag überschüssiger Nährstoffe in die Umwelt zu minimieren. Ebenso können LKW-Routen permanent optimiert werden, wenn die sich ständig verändernden Informationen über Witterungsverhältnisse oder Straßensperrungen mit unternehmensspezifischen Informationen über Ort, Zeit und Umfang von vereinbarten Warenlieferungen oder verzögerte Be- und Entladezeiten verknüpft werden.
3D-Druck und virtuelle Realität
3D-Druck ist eine zukunftsweisende Technologie, die in der Lage ist, viele Branchen zu revolutionieren. Gegenüber spanenden Verfahren wie Fräsen oder Bohren ist der 3D-Druck nicht nur energetisch günstiger, sondern vor allem materialsparender: Es wird nur so viel Material verwendet, wie erforderlich ist, um das Werkstück herzustellen. Eine weitere Stärke des 3D-Drucks ist die Möglichkeit, komplexe Formen aufzubauen, die mit anderen Maschinen schwer oder gar nicht herstellbar sind. Dabei ist der 3D-Druck nicht auf Kunststoffe beschränkt, auch metallische und keramische Werkstücke lassen sich mit diesem Verfahren herstellen. 3D-Drucker werden bislang vor allem bei der Herstellung von Prototypen und Modellen eingesetzt oder produzieren Werkstücke, von denen nur geringe Stückzahlen benötigt werden. Gegenwärtig sind also durch den 3D-Druck Tätigkeiten wie „Modelle anfertigen“ potenziell substituierbar. Das hat aber nicht nur für Tätigkeiten im Modellbau Folgen, sondern auch in der Medizin- und Zahntechnik: Durch den 3D-Druck können Prothesen und Zahnersatz, die genau auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten sind, schneller und weniger aufwändig gefertigt werden.
Darüber hinaus haben weitere digitale Assistenzsysteme Marktreife erlangt. Smart Glasses, mit denen beispielsweise Lagerarbeiter angezeigt bekommen, in welchem Regal sie als nächstes welches Produkt entnehmen sollen, gibt es schon länger. Neu in diesem Bereich ist allerdings die Software, die simuliert, ob ein lediglich virtuell existierendes Bauteil in ein real existierendes Objekt passt. Durch den Einsatz Virtueller Realität kann man zum Beispiel unerfahrenen Monteuren genau anzeigen lassen, wie der nächste erforderliche Arbeitsschritt zu erfolgen hat. Oder Architekten können ihren Kunden virtuell zeigen, wie die Wohnung nach einer Renovierung aussehen könnte. Auch die Funktionalität von lediglich virtuell existierenden Maschinen kann in ihrer realen Arbeitsumgebung getestet werden, sodass Prozesse optimiert werden können, bevor die Maschine überhauptgebaut wird.
Berufsbilder verändern sich
In den letzten Jahren sind also vor allem mobile, kollaborative Roboter und selbstlernende Computerprogramme sowie erste Anwendungen von 3D-Druck und Virtueller Realität so weiterentwickelt worden, dass immer mehr berufliche Tätigkeiten als potenziell ersetzbar eingestuft werden müssen. Gleichzeitig haben sich aber auch die Berufsbilder verändert. Weil automatisierbare Tätigkeiten von Robotern oder Computeralgorithmen erledigt werden können, müssen sie nicht mehr vom Menschen ausgeführt werden. Sie verlieren an Bedeutung oder sind für die Ausübung des Berufes nicht mehr relevant. In der Regel schlägt sich das darin nieder, dass eine bislang als Kerntätigkeit deklarierte Tätigkeit in Stellenausschreibungen oder Ausbildungsordnungen nicht mehr erwähnt wird oder für die Ausübung des Berufes nicht mehr als zentral gewertet wird. So werden 2016 Tätigkeiten wie „Modelle anfertigen“ oder „Berechnen“ seltener als Kernkompetenz beschrieben als noch 2013.
Häufiger sind durch die Einführung neuer Technologien jedoch neue Tätigkeiten entstanden, die für die Ausübung eines Berufes unabdingbar werden. Der größte Teil der seit 2013 entstandenen Tätigkeiten hat direkt mit der Einführung digitaler Technologien zu tun: Das Beherrschen neuer Softwareanwendungen (wie Simulationssoftware, Geoinformationssysteme, Entwicklungsumgebungen), der Umgang mit den neuen Technologien (wie 3D-Druck) oder die Einhaltung dazugehöriger gesetzlicher Vorschriften wurde zu einer Voraussetzung, bestimmte Berufe ausüben zu können. Weil mit dem Einsatz neuer Technologien häufig neue Produktionsverfahren etabliert werden, sind darüber hinaus aber auch neue Tätigkeiten im Qualitäts- oder Prozessmanagement entstanden. Außerdem verändern sich die für die Ausübung eines Berufes notwendigen Kenntnisse, wenn im Zuge der Digitalisierung neue Produkte und Dienstleistungen angeboten werden (wie beispielsweise Smart Home).
Eher selten entstehen Berufe neu. Bei der Bundesagentur für Arbeit wird permanent registriert, ob neue Berufsbezeichnungen auf dem deutschen Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt verwendet werden. Dies geschieht anhand von Stellenausschreibungen, durch die Erfassung der Berufsverläufe bei der Arbeitslos- oder Arbeitsuchendmeldung, durch die Neuordnung von Ausbildungsberufen oder die Schaffung neuer Studiengänge. Wenn eine Berufsbezeichnung eine gewisse Marktrelevanz erreicht hat und es keinen Vorgängerberuf gibt, werden diese Berufe im BERUFENET (vgl. Info 2) neu beschrieben. Mit der Aufnahme in das BERUFENET kann man davonausgehen, dass ein neuer Beruf entstanden ist.
In Deutschland sind seit 2013 neue Berufe vor allem in Bereichen entstanden, die mit der Anwendung neuer Technologien im Zusammenhangstehen: Beispielsweise ist der Beruf des Data Scientist neu entstanden, um große Datenmengen in Echtzeit aus verschiedenen Quellen analysieren und für gleichzeitig ablaufende Produktions- oder Geschäftsprozesse nutzen zu können. Zwar gab es auch vorher schon Berufe, in denen große Datenmengen analysiert wurden. Dass aber die Ergebnisse solcher Analysen in Echtzeit Parameter für die Steuerung bereitstellen müssen, ist neu. Ein anderes Beispiel ist der Beruf Interfacedesigner/in, in dem Benutzeroberflächen von Computersystemen oder technischen Produkten entwickelt werden, die möglichst optimal auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Nutzer abgestimmt sind. Dieser Beruf ist neu entstanden, weil die Anforderungen bei der Bedienung digitaler Geräte und Anlagen steigen und die optimierte Gestaltung der Interaktion zwischen Mensch und Maschine ein immer wichtiger werdender Wettbewerbsvorteil ist.
Substituierbarkeitspotenziale 2016 im Vergleich zum Jahr 2013
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Neue Tätigkeiten und Berufe sind entstanden, in den Tätigkeitsprofilen der Berufe haben sich Änderungen ergeben und Tätigkeiten, die als nicht ersetzbar galten, sind jetzt durch neue Technologien potenzieller setzbar geworden. Eine Aktualisierung der Substituierbarkeitspotenziale ist vor diesem Hintergrund geboten. Dabei sind wir genauso vorgegangen wie 2013: Für jede der im BERUFENET verwendeten Kerntätigkeiten haben drei Codierer unabhängig voneinander recherchiert, ob es eine computergesteuerte Maschine oder ein Computerprogramm gibt, der diese Tätigkeit vollumfänglich automatisch erledigen kann (vgl. Info 1). Für jeden einzelnen Beruf wird dann berechnet, wie hoch der Anteil der substituierbaren Tätigkeiten an allen für die Ausübung dieses Berufes erforderlichen Tätigkeiten ist (vgl. Info 3).
Veränderung des Substituierbarkeitspotenzials nach Anforderungsniveau
In Abbildung 1 wird zunächst das Substituierbarkeitspotenzial für die Jahre 2013 und 2016 nach Anforderungsniveaus der Berufe dargestellt. Dabei verwenden wir die Klassifikation der Berufe 2010 (vgl. Info 4). Während im Jahr 2013 Helfer- und Fachkraftberufe noch ein ähnlich hohes Substituierbarkeitspotenzial von etwa 45 Prozent hatten, weisen die Helferberufe im Jahr 2016 mit 58 Prozent das höchste Substituierbarkeitspotenzial auf. Das heißt: Im Jahr 2016 hätten im Durchschnitt 58 Prozent der in den Helferberufen zu erledigenden Tätigkeiten potenziell von Computern oder computergesteuerten Maschinen verrichtet werden können. Dabei sinkt das Substituierbarkeitspotenzial mit steigendem Anforderungsniveau. In den Fachkraftberufen sind dies 54 Prozent, in den Spezialistenberufen 40 Prozent und in den Expertenberufen 24 Prozent. Besonders bemerkenswert ist dabei vor allem, dass auch die Zunahme des Substituierbarkeitspotenzials zwischen 2013 und 2016 mit steigendem Anforderungsniveau kleiner wird. In den letzten Jahren sind also viele Technologien verfügbar geworden, die eher auf die Ersetzung einfacher Tätigkeiten abzielen, sodass das Substituierbarkeitspotenzial in den Helferberufen mit zwölf Prozentpunkten am stärksten gestiegen ist. In den Fachkraftberufen beträgt der Anstieg immerhin noch etwa acht Prozentpunkte, in den Spezialistenberufen sind es sieben Prozentpunkte und in den Expertenberufen sechs Prozentpunkte.
Veränderung des Substituierbarkeitspotenzials nach Berufssegmenten
Auf den verschiedenen beruflichen Teilarbeitsmärkten haben sich die Substituierungspotenziale sehr unterschiedlich entwickelt. In Abbildung 2 werden sie für die Jahre 2013 und 2016 in 14 Berufssegmenten (vgl. Info 3) dargestellt. Wie schon 2013 sind auch im Jahr 2016 die Substituierbarkeitspotenziale in den fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen am höchsten und in den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen am niedrigsten. Allerdings ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Substituierbarkeitspotenziale auf den verschiedenen beruflichen Teilarbeitsmärkten verändert haben, sehr unterschiedlich.
Die größten Veränderungen zwischen 2013 und 2016 ergeben sich in den Verkehrs- und Logistikberufen. Das Substituierbarkeitspotenzial ist hier um 20 Prozentpunkte gewachsen. Vor allem Tätigkeiten in der Logistik und Intralogistik, die bislang nur vom Menschen verrichtet wurden, könnten nunmehr von neu auf dem Markt verfügbaren Technologien erledigt werden. So können beispielsweise nahezu alle Tätigkeiten rund um den Material- und Warenfluss in einer Fertigungslinie oder einer gesamten Wertschöpfungskette von Robotern vollautomatisch erledigt und optimiert werden. Dagegen wird das Fahren von Bussen, Autos oder LKW – im Gegensatz zur schienengebundenen Fahrzeugführung – nach wie vor als nicht substituierbar eingestuft, weil die entsprechenden Technologien noch erprobt werden und man deshalb noch nicht von Marktreife sprechen kann.
Der deutliche Anstieg des Substituierbarkeitspotenzials in den unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen um 19 Prozentpunkte steht vor allem im Zusammenhang mit den verschiedenen inzwischen marktreif gewordenen Softwareanwendungen, die gesetzliche Regelungen oder Vorschriften in teils selbstlernende Computerprogramme übersetzt haben. Der deutliche Zuwachs in den Reinigungsberufen um 17 Prozentpunkte ist insbesondere auf die nun potenziell von kollaborativen Robotern verrichtbaren Tätigkeiten wie das Reinigen von Rohren und Anlagen zurückzuführen. Dass das Substituierbarkeitspotenzial in den Handelsberufen ebenfalls stark gestiegen ist, beruht hauptsächlich auf der Tatsache, dass Tätigkeiten wie Wareneingangskontrolle nunmehr als potenziell ersetzbar eingestuft werden müssen.
In den Fertigungsberufen haben sich die Substituierbarkeitspotenziale ausgehend von einem sehr hohen Niveau etwas weniger stark verändert (plus zehn Prozentpunkte). In diesem Bereich spielen die beim Bestücken oder Befüllen von Maschinen potenziell einsetzbaren mobilen, kollaborativen Roboter eine wichtige Rolle. In den Sicherheitsberufen lässt sich der Anstieg um neun Prozentpunkte insbesondere mit der in den letzten Jahren deutlich verbesserten Bilderkennungssoftware in Zusammenhang bringen, die nunmehr einen Teil der Überwachungsaufgaben übernehmen kann. In den Berufssegmenten „Lebensmittel- und Gastgewerbeberufe“ „Berufe in der Unternehmensführung und -organisation“ sowie „Berufe in Land-/Forstwirtschaft und im Gartenbau“ ist das Substituierbarkeitspotenzial um jeweils acht Prozentpunkte gestiegen.
Der Anstieg des Substituierbarkeitspotenzials in den Lebensmittel- und Gastgewerbeberufen ist vor allem darauf zurückzuführen, dass in fast allen Berufen der Lebensmittelproduktion Tätigkeiten wie die Wareneingangskontrolle oder Warenkommissionierung nunmehr als potenziell ersetzbar eingestuft werden müssen. In den Berufen der Unternehmensführung und -organisation lässt sich der Anstieg insbesondere mit der Verfügbarkeit von Software erklären, mit der sich die Umsetzung von rechtlichen Regelungen oder Controllingvorgaben überwachen lassen. Auch bei der Besetzung einer Stelle könnte die Kandidatenauswahl automatisiert getroffen werden. Der Anstieg in den landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen und Gartenbauberufen ist vor allem darauf zurückzuführen, dass in der Tierhaltung inzwischen eine Vernetzung von Futter-, Melk- und Reinigungsrobotern mit Sensor-Halsbändern möglich ist. Dadurch können nicht nur die erforderliche Futter- und produzierte Fleisch- oder Milchmenge genau und individuell ermittelt werden, sondern durch die zeitgleich erfolgende Erfassung und Auswertung verschiedener Parameter kann auch die Gesundheit der Tiere überwacht werden.
In den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen ist das Substituierbarkeitspotenzial um sechs Prozentpunkte gestiegen, was insbesondere auf einer zunehmenden Verfügbarkeit von digitalen Lernplattformen beruht, die Lehrer beim Einsatz digitaler Medien und der Lernzielkontrolle unterstützen können. Zwar ist das Substituierbarkeitspotenzial in den fertigungstechnischen Berufen sehr hoch, der Anstieg ist mit einem Plus von fünf Prozentpunkten aber eher gering ausgefallen. Hier ist besonders auffällig, dass die Steigerung fast ausschließlich auf die Verfügbarkeit von 3D-Druckern zurückzuführen ist, die in den Berufen im Modellbau zunehmend eingesetzt werden. Ein geringerer Anstieg um drei Prozentpunkte hat sich auch bei den Bau- und Ausbauberufen ergeben.
Besonders bemerkenswert ist, dass das Substituierbarkeitspotenzial in den medizinischen und nichtmedizinischen Gesundheitsberufen sowie in den IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen nicht gestiegen ist. Durch den potenziellen Einsatz von 3D-Druckern in der Medizintechnik könnten zwar manche Tätigkeiten in einigen Bereichen der Medizinischen und nichtmedizinischen Gesundheitsberufe substituiert werden. In anderen diesem Berufssegment zugeordneten Berufen sind die Substituierbarkeitspotenziale dagegen deutlich gesunken, vor allem weil in der Krankenpflege der Anteil administrativer und damit substituierbarer Tätigkeiten zurückgegangen ist. Insgesamt ist in diesem Berufssegment ein Rückgang des Substituierbarkeitspotenzials um einen Prozentpunkt zu verzeichnen. In den IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen haben sich vor allem die auszuübenden Tätigkeiten stark verändert: Ersetzbare Tätigkeiten haben an Bedeutung verloren und viele neue, nicht ersetzbare Tätigkeiten haben an Bedeutung gewonnen. In den naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen kommt hinzu, dass es dort zunehmend weniger um die Bedienung bestimmter technischer Geräte als vielmehr um die Analyse von Daten geht.
Veränderung der Betroffenheit sozialversicherungspflichtig Beschäftigter
Seit 2013 haben sich also durch die Verfügbarkeit neuer Technologien weitreichende Veränderungen im Substituierbarkeitspotenzial der Berufe ergeben. Doch was bedeuten diese Veränderungen für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland? In Abbildung 3 wird dargestellt, wie viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hochgerechnet in den Jahren 2013 und 2016 in Berufen mit verschiedenen Substituierbarkeitspotenzialen beschäftigt waren.
Waren im Jahr 2013 noch rund 40 Prozent (11,8 Millionen) der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen mit niedrigem Substituierbarkeitspotenzial beschäftigt, sinkt dieser Anteil im Jahr 2016 auf etwa 28 Prozent (9,0 Millionen). Das Substituierbarkeitspotenzial eines Berufs gilt dann als niedrig, wenn der Anteil der Tätigkeiten, die durch Computer oder computergesteuerte Maschine erledigt werden könnten, bei maximal 30 Prozent liegt.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Berufen mit einem mittleren Substituierbarkeitspotenzial arbeiten – das heißt, der Anteil substituierbarer Tätigkeiten liegt zwischen 30 und 70 Prozent –, ist annähernd gleich geblieben: Während im Jahr 2013 etwa 45 Prozent (13,2 Millionen) der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Berufe mit mittlerem Substituierbarkeitspotenzial ausgeübt haben, waren es 2016 rund 46 Prozent (14,6 Millionen).
Stark gestiegen ist dagegen die Betroffenheit in den Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial. 2013 waren noch circa 15 Prozent (4,4 Millionen) der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen mit einem Substituierbarkeitspotenzial von über 70 Prozent beschäftigt. Bis 2016 ist dieser Anteil auf gut 25 Prozent gestiegen. Das heißt, 2016 arbeitete ein Viertel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (7,9 Millionen) in Berufen, in denen mindestens 70 Prozent der anfallenden Tätigkeiten von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten.
Zusammenhang zwischen Substituierbarkeitspotenzial und Beschäftigungsentwicklung
Völlig offen ist bislang jedoch, unter welchen Umständen die Substituierbarkeitspotenziale überhaupt ausgeschöpft werden. Um der Antwort auf diese Frage etwas näher zu kommen, haben wir in Abbildung 4 den Zusammenhang zwischen den Substituierbarkeitspotenzialen im Jahr 2013 und dem Beschäftigungswachstum zwischen 2013 bis 2016 auf Berufsebene dargestellt. Anhand der leicht abfallenden roten Linie über der Null-Prozent-Achse kann man erkennen, dass die Beschäftigung mit steigendem Substituierbarkeitspotenzial weniger stark wächst. Die Analyse zeigt: Wenn das Substituierbarkeitspotenzial um zehn Prozentpunkte steigt, sinkt das Beschäftigungswachstum signifikant um ein Prozentpunkt. Berücksichtigt man weitere Unterschiede (wie die in einem Beruf vorfindbare Alters- oder Qualifikationsstruktur und die Branche), wird der Zusammenhang zwischen Substituierbarkeitspotenzial und Beschäftigungswachstum zwar kleiner, bleibt aber signifikant (vgl. Info 5).
Zusammenfassend kann man also sagen, dass sich die Berufsstruktur zugunsten der Beschäftigung in Berufen mit niedrigeren Substituierbarkeitspotenzialen entwickelt hat. Allerdings ist der Zusammenhang nicht stark. Das heißt, Substituierbarkeitspotenziale sind ein wichtiger, aber nicht der einzige Erklärungsfaktor für die Beschäftigungsentwicklung. So ist die Beschäftigung der Lager- und Transportarbeiter oder der Mechatroniker in den letzten Jahren trotz eines hohen Substituierbarkeitspotenzials gewachsen. Umgekehrt ist die Zahl der Verbraucherberater gesunken, obwohl dieser Beruf ein Substituierbarkeitspotenzial von null Prozent aufweist.
Substituierbarkeitspotenziale werden nur zum Teil ausgeschöpft
Dass eine Tätigkeit als substituierbar eingestuft ist, heißt also nicht, dass sie zukünftig nur noch von Computern und computergesteuerten Maschinen erledigt wird, denn das Substituierbarkeitspotenzial sagt lediglich etwas über die technische Machbarkeit aus. Ob dieses Potenzial überhaupt ausgeschöpft wird, hängt auch von einer Reihe anderer Aspekte ab. Unter anderem wird es – wenn die Qualität der vom Menschen produzierten Waren höher ist als die von einer Maschine produzierten Waren – Kunden geben, die bereit sind, einen höheren Preis für die bessere Qualität zu zahlen, sodass die entsprechenden Tätigkeiten trotz hoher Substituierbarkeitspotenziale eher nicht substituiert werden. Auch wenn Kunden einem handgefertigten Produkt eine größere Wertschätzung entgegenbringen – also lieber Brötchen in der Handwerksbäckerei kaufen als im Backshop –, wird es weiterhin Betriebe geben, die handwerklich produzieren. Darüber hinaus lohnt es sich für einen Unternehmer nicht zu substituieren, wenn eine Maschine – um Produkte oder Dienstleistungen in der gleichen Qualität und Menge herzustellen – teurer ist als die menschliche Arbeit. Und solange rechtliche Rahmenbedingungen verhindern, dass Maschinen zur Erledigung bestimmter Tätigkeiten eingesetzt werden dürfen, wird ebenfalls nicht substituiert.
Darüber hinaus muss eine Reihe ethischer Probleme gelöst werden, bevor bestimmte Tätigkeiten substituiert werden dürfen. Außerdem treten immer wieder komplexe Situationen auf, in denen spontan Bewertungen vorgenommen und intuitiv Entscheidungen getroffen werden müssen. Diese einem Algorithmus zu überlassen, stößt nicht nur an technische, sondern auch an ethische Grenzen. Es ist also noch nicht entschieden, ob Computer oder computergesteuerte Maschinen jemals so flexibel wie der Mensch auf ganz unterschiedliche, vollkommen neue Situationen reagieren können.
Durch die Digitalisierung werden nicht nur Tätigkeiten substituierbar, sondern es werden auch neue Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt angeboten. Arbeitsplätze können entstehen, weil beispielsweise die mobilen Roboter und 3D-Drucker gebaut und gewartet werden müssen. Darüber hinaus kann auch die Nachfrage nach Produkten steigen, weil durch den Einsatz neuer Technologien Preissenkungen möglich sind. Auch dadurch können zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, weil sich beispielsweisemehr Leute intelligente Haussteuerungssysteme leisten können, die eingebaut und gewartet werden müssen.
Zudem ist die Digitalisierung nur eine der bedeutenden gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Die zunehmende Alterung der Bevölkerung verändert die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen und hinterlässt damit ihre Spuren in der Beschäftigungsentwicklung. Die Energiewende führt ebenfalls dazu, dass bestimmte Berufe stärker an Bedeutung gewinnen als andere. Es wird sogar darüber spekuliert, ob durch die Digitalisierung Arbeitsplätze, die im Zuge der Globalisierung in andere Länderverlagert wurden, wieder nach Deutschland zurückkehren. Wenn Kunden nicht lange auf ein individuelloptimiertes Produkt warten wollen, ist regionale Nähe wichtig; und die notwendigen Technologien sind inzwischen verfügbar (wie der 3D-Druck).
Fazit
Eine Aktualisierung der Substituierbarkeitspotenziale von Berufen ist vor allem deswegen notwendig geworden, weil einige Technologien Marktreife erlangt haben, die bestimmte, bislang nur vom Menschenausführbare Tätigkeiten vollumfänglich automatisch erledigen könnten. Insbesondere mobile, kollaborative Roboter und selbstlernende Computerprogramme sowie erste Anwendungen von 3D-Druck und Virtueller Realität haben dazu geführt, dass Tätigkeiten, die bisher als nicht ersetzbar galten, im Jahr 2016 als potenziell ersetzbar eingestuft werden müssen.
Parallel dazu haben sich in einigen Berufen die Berufsbilder verändert: Die Bedeutung ersetzbarer Tätigkeiten hat abgenommen, die der nicht ersetzbaren Tätigkeiten hat zugenommen. Vor allem aber sind neue Tätigkeiten entstanden, die für die Ausübung bestimmter Berufe maßgeblich geworden sind. Außerdem sind ein paar Berufe neu entstanden.
Die Aktualisierung zeigt, dass das Substituierbarkeitspotenzial zwischen 2013 und 2016 in allen Anforderungsniveaus gestiegen ist. Dabei ist die stärkste Zunahme in den Helferberufen zu verzeichnen. Nach wie vor sind die Substituierbarkeitspotenziale in den fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen am höchsten und in den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen am niedrigsten. Allerdings ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Substituierbarkeitspotenziale verändert haben, auf den verschiedenen beruflichen Teilarbeitsmärkten sehr unterschiedlich. Während das Substituierbarkeitspotenzial fast in allen Berufssegmenten steigt, ist es in den IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen sowie den Medizinischen und nichtmedizinischen Gesundheitsberufen leicht gesunken. Das ist vor allem dadurch zu erklären, dass sich die Berufsbilder so verändert haben, dass sie mit den technologischen Möglichkeiten Schritt halten konnten.
Hochgerechnet ergibt sich, dass 2016 ein Viertel – also fast acht Millionen – der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen arbeitet, in denen mindestens 70 Prozent der anfallenden Tätigkeiten von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten. Dabei steht das Substituierbarkeitspotenzial lediglich für das technisch Machbare, also für die theoretische Möglichkeit, dass Tätigkeiten statt vom Menschen von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten. Insofern steht die Frage im Raum, inwiefern Substituierbarkeitspotenziale überhaupt etwas darüber aussagen, wie sich die Beschäftigung in den Berufen entwickelt. Um uns einer Antwort anzunähern, haben wir den Zusammenhang zwischen dem Substituierbarkeitspotenzial 2013 und der Beschäftigungsentwicklung im Zeitraum 2013 bis 2016 untersucht und festgestellt, dass die Beschäftigung mit steigendem Substituierbarkeitspotenzial weniger stark wächst. Allerdings ist der Zusammenhang schwach, sodass man resümieren kann: Die Substituierbarkeitspotenziale sind ein wichtiger, aber keineswegs der einzige Erklärungsfaktor für die Beschäftigungsentwicklung.
Insbesondere wenn die Arbeit des Menschen von besserer Qualität, flexibler oder wirtschaftlicher ist, erfolgt eher keine Substitution. Hinzu kommt, dass Kunden manchmal handwerklich hergestellten Produkten eine größere Wertschätzung entgegenbringen, man also bewusst auf eine Automatisierung verzichtet. Darüber hinaus können rechtliche oder ethische Hürden einer Substitution entgegenstehen. Das Substituierbarkeitspotenzial berücksichtigt außerdem nicht, dass durch die Digitalisierung neue Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt angeboten werden oder Innovationen und Produktivitätswachstum zu Preissenkungen führen, die insgesamt Beschäftigung schaffen könnten, statt sie abzubauen.
Vor allem aber können wir bei der Berechnung der Substituierbarkeitspotenziale vorab nicht abschätzen, wie stark sich die Tätigkeitsprofile der Berufe verändern und welche Tätigkeiten und Berufe neu entstehen. Wie wir in diesem Kurzbericht gezeigt haben, sind diese beiden Anpassungsmechanismen aber äußerst relevant bei der Bewältigung des technologischen Wandels. Berufe können sich so verändern, dass sie mehr oder weniger gut mit der Digitalisierung Schritt halten können.
Der starke Anstieg der Betroffenheit von einem hohen Substituierbarkeitspotenzial zwischen 2013 und 2016 zeigt allerdings, dass sich in den letzten Jahren nur in wenigen Berufen die Tätigkeitsprofile der Beschäftigten genauso schnell verändert haben wie die potenziellen Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien in diesen Berufen. In allen Berufen sollte deshalb kontinuierlich geprüft werden, inwiefern die Tätigkeitsprofile noch den jeweils aktuellen technologischen Anforderungen gerecht werden. Es müssen Mechanismen geschaffen werden, dass die dort als notwendig identifizierten Anpassungen der Ausbildungsordnungen und anderer rechtlicher Vorschriften auf Basis der bewährten sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit schnell umgesetzt werden können.
Die steigende Betroffenheit von einem hohen Substituierbarkeitspotenzial muss nicht heißen, dass viele Menschen zukünftig durch die fortschreitende Digitalisierung aus dem Arbeitsmarkt verdrängt werden. Geschätzt wird, dass es bis 2025 in einer digitalisierten Arbeitswelt einerseits 1,5 Millionen Arbeitsplätze nicht mehr geben wird, gleichzeitig aber etwa genauso viele Arbeitsplätze neu entstehen (Wolter et al. 2016). Deshalb besteht die Herausforderung der digitalen Transformation vor allem darin, einerseits technologiebedingte Arbeitslosigkeit zu vermeiden, andererseits aber auch eine ausreichende Anzahl von Fachkräften sicherzustellen, die für die jeweils aktuellen Arbeitsplatzanforderungen entsprechend qualifiziert sind.
Der technologische Wandel kann nicht mehr – wie bisher – hauptsächlich durch junge, neu in den Arbeitsmarkt Eintretende getragen werden. Eine abgeschlossene berufliche Ausbildung oder ein Hochschulstudium bleiben zwar weiterhin die grundlegende Basis für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen der Arbeitswelt. Weil das Wissen aber immer schneller veraltet, reicht die Erstausbildung immer seltener aus, um den Anforderungen eines gesamten Erwerbslebens gewachsen zu sein. Lernen im Erwerbsleben muss deshalb zur Normalität werden. Dazu müssen insbesondere die Möglichkeiten und Strukturen zur Weiterbildung, Höherqualifizierung und Umschulung ausgebaut werden (Kruppe/ Leber/ Matthes 2017).
Auf den ersten Blick liegt es dabei nahe, vor allem digitale Inhalte zu stärken. Vergessen wird in diesem Zusammenhang aber häufig, dass sich mit der Digitalisierung auch die Art und Weise verändert, wie gearbeitet wird (zum Beispiel Arbeit in virtuellen Teams). Deshalb steigen nicht nur die Anforderungen an das Wissen über Computer und den Umgang mit ihnen, sondern es wird zukünftig auch wichtiger, über soziale Kompetenzen wie Kooperationsbereitschaft, Kommunikationsstärke, Selbstmanagement oder Empathie zu verfügen. Außerdem sollten bei der Aus- und Weiterbildung auch fachübergreifende Kompetenzen vermittelt werden. Beispielsweise sollte nicht nur die Bedienung einer konkreten Maschine oder Anlage im Mittelpunkt stehen, sondern auch vermittelt werden, welche verschiedenen Methoden es gibt, ein bestimmtes Arbeitsergebnis zu erzielen. Nur so kann gewährleistet werden, dass das Wissen über traditionelle Herstellungsmethoden und die Fähigkeit, diese auch anzuwenden, nicht verloren geht. Das könnte einer der wichtigsten Bausteine für die kreative Bewältigung künftiger Probleme sein. So bleiben die Mitarbeiter mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Unternehmen der Zukunft.
Literatur
Dengler, Katharina; Matthes, Britta (2015): Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt: In kaum einem Beruf ist der Mensch vollständig ersetzbar. IAB-Kurzbericht Nr. 24.
Dengler, Katharina; Matthes, Britta; Paulus, Wiebke (2014): Berufliche Tasks auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Eine alternative Messung auf Basis einer Expertendatenbank. FDZ-Methodenreport Nr. 12.
Kruppe, Thomas; Leber, Ute; Matthes, Britta (2017): Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit in Zeiten des digitalen Umbruchs. IAB-Stellungnahme Nr. 7.
Matthes, Britta; Meinken, Holger; Neuhauser, Petra (2015): Berufssektoren und Berufssegmente auf Grundlage der KldB 2010. Methodenbericht der Statistik der BA, Nürnberg.
Paulus, Wiebke; Matthes, Britta (2013): Klassifikation der Berufe. Struktur, Codierung und Umsteigeschlüssel. FDZ-Methodenreport Nr. 8.
Wolter, Marc Ingo; Mönnig, Anke; Hummel, Markus; Weber, Enzo; Zika, Gerd; Helmrich, Robert; Maier, Tobias; Neuber-Pohl, Caroline (2016): Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie. Szenario-Rechnungen im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. IAB-Forschungsbericht Nr. 13.
Erstveröffentlichung als IAB-Kurzbericht 4/2018: http://doku.iab.de/kurzber/2018/kb0418.pdf
Demokratie und Frieden
Autorinnen dieser Studie sind Dr. Katharina Dengler, wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Dr. Britta Matthes, Leiterin, beide Forschungsgruppe „Berufliche Arbeitsmärkte“ am IAB.
Info
1. Definition des Substituierbarkeitspotenzials
Das Substituierbarkeitspotenzial gibt an, in welchem Ausmaß Berufe gegenwärtig potenziell durch den Einsatz von Computern oder computergesteuerten Maschinen ersetzbar sind. Es entspricht dem Anteil an Kerntätigkeiten in einem Beruf, die schon heute durch den Einsatz moderner Technologien übernommen werden könnten. Welche Tätigkeiten für einen Beruf wesentlich sind, haben Berufsexperten im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die knapp 4.000 in Deutschland bekannten Berufe auf Basis von Ausbildungsordnungen oder Stellenausschreibungen herausgearbeitet.
Im BERUFENET (vgl. Info 2) werden diese und eine Reihe anderer berufskundlicher Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Wir nutzen daraus die Daten über die beruflichen Tätigkeiten. Drei Codierer haben unabhängig voneinander für jede dieser circa 8.000 Tätigkeiten recherchiert, ob es eine computergesteuerte Maschine oder einen Computeralgorithmus gibt, der diese Tätigkeit vollumfänglich automatisch erledigen kann. Kam es bei der Zuordnung zu abweichenden Einschätzungen der Codierer, wurde anhand von Rechercheergebnissen diskutiert und entschieden, ob eine Tätigkeit als substituierbar betrachtet werden kann. Bei dieser Einschätzung geht es ausschließlich um die technische Machbarkeit. Wenn eine Tätigkeit als ersetzbar eingestuft wurde, heißt das nicht, dass sie tatsächlich in den nächsten Jahren ersetzt wird. Sofern die menschliche Arbeit wirtschaftlicher, flexibler oder von besserer Qualität ist oder rechtliche oder ethische Hürden einem Einsatz solcher Technologien entgegenstehen, werden auch ersetzbare Tätigkeiten eher nicht ersetzt.
Weil uns keine Informationen darüber zur Verfügung stehen, wie viel Zeit in einem Beruf typischerweise für die Erledigung einer bestimmten Tätigkeit aufgewendet wird, gehen wir bei der Berechnung des Substituierbarkeitspotenzials davon aus, dass jede Kerntätigkeit in einem Beruf mit gleichem zeitlichen Umfang erledigt wird. Das kann einerseits zu einer Überschätzung des Substituierbarkeitspotenzials führen; nämlich dann, wenn insgesamt weniger Zeit für die Erledigung substituierbarer Kerntätigkeiten aufgewendet wird; andererseits aber auch zu einer Unterschätzung, wenn dafür insgesamt mehr Zeit aufgewendet wird. Deswegen wird im IAB-Job-Futuromat (http://job-futuromat.iab.de) nicht nur das berufsspezifische Substituierbarkeitspotenzial berichtet, sondern auch die Möglichkeit geschaffen, einzustellen, wie häufig die einzelnen Tätigkeiten erledigt werden. Damit lässt sich ein jobspezifisches Substituierbarkeitspotenzial bestimmen.
2. BERUFENET als Datenbasis
Die Expertendatenbank BERUFENET (http://berufenet.arbeitsagentur.de) der Bundesagentur für Arbeit (BA) stellt online und kostenlos Informationen über alle in Deutschland bekannten Berufe zur Verfügung. Das BERUFENET wird vor allem bei der Berufsberatung oder bei der Arbeitsvermittlung genutzt. Es enthält zum Beispiel Informationen über die zu erledigenden Aufgaben in der jeweiligen beruflichen Tätigkeit, über die verwendeten Arbeitsmittel, über die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, über notwendige Ausbildungen oder rechtliche Regelungen.Für die Berechnung des Substituierbarkeitspotenzials nutzen wir die Anforderungsmatrix (in der BA auch als Kompetenzmatrix bezeichnet), in der circa 8.000 Anforderungen den circa 4.000 Kernberufen zugeordnet sind. Mit Kernberuf ist die aktuellste beziehungsweise jüngste Berufsbezeichnung für einen bestimmten Beruf gemeint. So gibt es für den Beruf „Kraftfahrzeugmechatroniker“ ältere Berufsbezeichnungen wie „Kraftfahrzeugmechaniker“ oder spezifischere Berufsbezeichnungen wie „Kraftfahrzeugmechatroniker – Schwerpunkt Karosserietechnik“, die jeweils mit den Anforderungen des Kernberufs „Kraftfahrzeugmechatroniker“ verknüpft sind. Wir verwenden die Anforderungsmatrix für das Jahr 2016.
3. Berechnung des Substituierbarkeitspotenzials für verschiedene Berufsaggregate
Das Substituierbarkeitspotenzial eines Einzelberufes wird berechnet, indem für jeden Beruf die Zahl der durch Computer ersetzbaren Kernanforderungen durch die gesamte Zahl der Kernanforderungen dividiert wird. Bei der Ermittlung des Substituierbarkeitspotenzials für verschiedene Berufsaggregate muss berücksichtigt werden, dass Einzelberufe mit hohen Beschäftigtenzahlen das Substituierbarkeitspotenzial stärker beeinflussen als Einzelberufe mit einer kleinen Beschäftigtenzahl. Deswegen werden die Substituierbarkeitspotenziale auf Einzelberufsebene mit einem Gewicht, das auf Basis der Beschäftigtenzahlen ermittelt wird, aggregiert (Dengler/ Matthes/ Paulus 2014). In diesem Kurzbericht stellen wir somit den Durchschnitt der gewichteten Substituierbarkeitspotenziale auf Einzelberufsebene für verschiedene Berufsaggregate dar.
4. Klassifikation der Berufe 2010
Die Klassifikation der Berufe 2010 schafft für Deutschland eine aktuelle Berufsklassifikation, die zwei Dimensionen der beruflichen Tätigkeiten erfasst. In der ersten Dimension, der Berufsfachlichkeit, werden die Berufe hinsichtlich der Ähnlichkeit ihrer Tätigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten gruppiert. Die zweite Dimension, das Anforderungsniveau, bildet die unterschiedlichen Komplexitätsgrade innerhalb der Berufe ab. Hierzu werden vier Anforderungsniveaus unterschieden, die sich an den formalen beruflichen Bildungsabschlüssen orientieren (Paulus/Matthes 2013):
• Helfer: keine berufliche Ausbildung oder eine einjährige Berufsausbildung
• Fachkräfte: eine mindestens zweijährige Berufsausbildung oder ein berufsqualifizierender Abschluss an einer Berufsfach- oder Kollegschule
• Spezialisten: Meister- oder Technikerausbildung bzw. weiterführender Fachschul- oder Bachelorabschluss
• Experten: ein mindestens vierjähriges abgeschlossenes Hochschulstudium
Die Berufe lassen sich nach inhaltlichen Gesichtspunkten anhand berufsfachlicher Kriterien zu 14 Berufssegmenten qualitativ zusammenfassen (Matthes/ Meinken/ Neuhauser 2015).
5. Die IAB-Beschäftigtenhistorik als Datenbasis
Die Datengrundlage für die Analysen stellt die IAB-Beschäftigtenhistorik (BeH) dar. Diese beinhaltet alle Meldungen zur Sozialversicherung, die Arbeitgeber über ihre sozialversicherungspflichtig sowie geringfügig Beschäftigten abgeben müssen. Nicht enthalten sind deshalb Zeiträume, in denen Personen als Beamte oder Selbstständige gearbeitet haben. Jede Meldung enthält unter anderem Angaben zur Person sowie zum Betrieb. Für die Analyse wurden die Informationen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus der BeH für 2013 und 2016 auf Berufsebene (Berufsgattung nach der Klassifikation der Berufe 2010) aggregiert. Dabei wurden Personen, die Vollzeit beschäftigt waren, mit einem Gewicht von 1 berücksichtigt, Personen, die Teilzeit beschäftigt waren, mit einem Gewicht von 0,5. Das Beschäftigungswachstum wurde aus der Veränderung der logarithmierten Beschäftigung zwischen 2013 und 2016 ermittelt. Berechnet wurde der Zusammenhang zwischen dem Beschäftigungswachstum von 2013 bis 2016 und dem Substituierbarkeitspotenzial im Jahr 2013 mithilfe einer gewichteten OLS-Regression (Methode der kleinsten Quadrate). Es zeigt sich, dass bei Kontrolle für Anteile nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Qualifikation, Vollzeitbeschäftigung, Befristung, Region, Betriebsgröße und Branche in einem Beruf, der negative Zusammenhang zwischen Beschäftigungswachstum und Substituierbarkeitspotenzial bestehen bleibt. Dabei muss man beachten, dass diese Analyse keine kausale Interpretation zulässt.
Analyse
Regionale Branchenstruktur spielt eine wichtige Rolle. Arbeitsmarkteffekte der Digitalisierung bis 2035
Die Digitalisierung der Produktions- und Arbeitswelt schreitet voran und dürfte zu profunden Änderungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Da es in Deutschland große regionale Diskrepanzen hinsichtlich der Wirtschafts- und Berufsstruktur gibt und sich die Regionen auch weiterhin verschieden entwickeln, dürften auch die Auswirkungen einer zunehmenden Digitalisierung regional unterschiedlich ausfallen. Um die langfristigen regionalen Arbeitsmarkteffekte abschätzen zu können, werden hier auf Basis einer aktuellen Studie für Gesamtdeutschland regional-spezifische Modellrechnungen bis 2035 durchgeführt.
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