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/ 04.06.2013
Wolfgang Fikentscher / Steffen Heitmann / Josef Isensee / Martin Kriele / Nikolaus Lobkowicz / Rupert Scholz

Wertewandel - Rechtswandel. Perspektiven auf die gefährdeten Voraussetzungen unserer Demokratie

Gräfelfing: Resch Verlag 1997 (Reihe Wirtschaft und Gesellschaft); 190 S.; brosch., 29,- DM; ISBN 3-930039-60-5
Die Autoren des Buches, angesehene Wissenschaftler und Praktiker aus Jurispudenz, Politik und Philosophie, sorgen sich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wertewandels um eine Erosion des Rechtsbewußtseins in der Bevölkerung sowie in Politik und Verwaltung. Zunehmende Kriminalität, Steuerhinterziehung und Versicherungsbetrug sind nach Püttmann Beispiele für eine mehr und mehr situative, funktionale Ethik der Menschen, die den Gesetzesgehorsam diskreditiere und die Rechtsordnung destabilisiere (9). Ein solcher Wertewandel wirke sich zwangsläufig auf die Verfassungsinterpretation durch das Bundesverfassungsgericht aus. Doch wie weit kann ein Rechtswandel dem Wertewandel folgen? Isensee spricht sich in seinem ersten Beitrag dafür aus, dem Rechtsbruch entgegenzutreten, wenn das allgemeine Rechtsbewußtsein zu leiden beginnt; der Staat dürfe sich nicht von "Habermasiaden" und dem Vorwurf des "autoritären Legalismus" beeindrucken lassen (35). Das Rechtsbewußtsein sollte insbesondere in der Schule gestärkt werden. Heitmann (Beitrag bereits erschienen in "Die politische Meinung", Januar 1997) wendet sich den Moralgrundsätzen in der Verfassung zu. Art. 1 und 2 GG in Zusammenhang mit der "Ewigkeitsklausel" des Art. 79 GG bilden als unwandelbar richtiger Kern eines gesellschaftlichen Grundkonsenses "das Scharnier zwischen Verfassung und Moral in unserem Gemeinwesen" (44). Doch "die Einhaltung zwischenmenschlicher Regeln auf Dauer" sei letztlich nur "verständlich vor dem Hintergrund der biblischen Aussage von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen" und der "Verantwortung vor einer außermenschlichen transzendenten Größe" (48). Auch Fikentscher und Lobkowicz erkennen eine überzeitliche, unwandelbare Wertebene. Lobkowicz spricht in diesem Zusammenhang vom "Naturrecht", dessen Kurzform die Zehn Gebote sind (185). Aufgabe sei es, darüber zu wachen, welche Werte Kindern vermittelt und welche Gesetze verabschiedet werden und wie sich die öffentliche Meinung entwickelt. Fikentscher liefert einen Abriß der Geschichte der Grundrechte und widerspricht der gängigen Vorstellung, daß es politisch wirksame Grundrechte erst seit der amerikanischen (1776) und der französischen Revolution (1789) gegeben habe. In diesem Zusammenhang verwirft er die "Zwei-Reiche-Lehre" Luthers (anschließend an den Satz "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist") zugunsten der Zwei-Ebenen-Lehre von Richard Hooker. Danach gelte noch heute: Es gibt die Ebene der "Grundwerte" und die der "Tageswerte", beide seien "einer ungebrochenen christlichen Existenz zugehörig und verpflichtet" (162). Scholz stellt fest, daß es u. a. mit der Verfassung eine normativ feste Werte-Ordnung gebe, die es vor einem "Bewußtseinsverfall" (66) zu schützen gelte. Kriele (Beitrag bereits erschienen in der "Neuen Juristischen Wochenschrift" 1994: 1.897 ff.) übt harsche Kritik am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts wegen dessen Rechtsprechung zum Ehrenschutz, den Kriele als nicht mehr existent ansieht, was letztendlich zu einem "Qualitätsverlust unserer Demokratie" (90) führe. In diese Kerbe schlägt auch Isensee in seinem zweiten Beitrag, der das Zusammenspiel zwischen Bundesverfassungsgericht und den anderen Staatsorganen zwar insgesamt lobt, die Entscheidungen zu Sitzblockaden, Ehrenschutz und Kruzifix jedoch kritisiert. Die Urteile seien schwer verständlich, das Gericht ziehe zu viele Fälle auf sich und agiere "nicht als Verteidiger elementarer Rechtsgrundsätze, sondern als selbstherrlicher Beweger" (103). Inhalt: Andreas Püttmann: Einführung (7-16); Josef Isensee: Rechtsbewußtsein im Rechtsstaat (17-40); Steffen Heitmann: Verfassung und Moral (41-49); Rupert Scholz: Deutschland in guter Werte-Verfassung? (51-66); Martin Kriele: Ehrenschutz und Meinungsfreiheit (67-92); Josef Isensee: Bundesverfassungsgericht - quo vadis? (93-119); Wolfgang Fikentscher: Zwei Wertebenen, nicht zwei Reiche: Gedanken zu einer christlich-säkularen Wertontologie (121-166); Nikolaus Lobkowicz: Zur philosophischen Problematik des Wertewandels (167-190).
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.232.3232.352.325.41 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Wolfgang Fikentscher / Steffen Heitmann / Josef Isensee / Martin Kriele / Nikolaus Lobkowicz / Rupert Scholz: Wertewandel - Rechtswandel. Gräfelfing: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6284-wertewandel---rechtswandel_8533, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 8533 Rezension drucken
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