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/ 20.06.2013
Frank Uekötter / Jens Hohensee (Hrsg.)

Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004 (Historische Mitteilungen 57); 168 S.; kart., 28,- €; ISBN 3-515-08484-3
Neun überwiegend junge Geschichts- und Politikwissenschaftler haben die acht Beiträge des Sammelbandes verfasst. Untersucht werden „Warnungen vor einer durch menschliches Handeln verursachten Veränderung der natürlichen Umwelt, die sich im Nachhinein als unbegründet oder zumindest stark übertrieben herausgestellt haben” (11). Dabei wird so gut wie keine Kritik an der Umweltbewegung geübt. Anders als der Titel nahe legt, und im Gegensatz zu anderen Publikationen zum Thema, ist der Band eine forciert nüchterne und – abgesehen vom augenquälenden Mikro-Satzspiegel – gut lesbare historische Dokumentation. In den meisten Fallstudien wird zwar der „falsche Öko-Alarm” akribisch dokumentiert, absichtsvolle Manipulation aber nicht nachgewiesen – oder als „öffentlich und moralisch völlig gerechtfertigt” (160) bewertet. In ihrer Einleitung fällt es den Herausgebern schwer, allgemeine Folgerungen zu ziehen. Das Spektrum der Untersuchungsgegenstände erstreckt sich von älteren Fällen lokaler Bedeutung (Senne) über nationale Begebenheiten (deutsche „Holznot” im 18. und 19. Jahrhundert) bis hin zu jüngeren Geschehnissen regionaler (Brent Spar) oder gar globaler Dimension (Studie „Grenzen des Wachstums” des Club of Rome). Mehrere Beiträge belegen, dass die Geschichte übertriebener Umweltängste keineswegs erst mit der postmaterialistischen Kritik der 70er-Jahre in den Industrienationen begann. In jedem einzelnen Fall war eine entsprechend aufnahmebereite Öffentlichkeit vonnöten; mediale Verwertungsinteressen haben gegenüber früher stark zugenommen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht bleibt die wichtigste Frage offen: Was bedeutet es für die Qualität und die Überlebensfähigkeit demokratisch-pluralistischer Systeme, wenn Kampagnen „Erfolg“ haben, bei denen selbst ernannte (Um-)Weltretter sich dazu ermächtigt fühlen, die Öffentlichkeit bewusst zu desinformieren (z. B. im analysierten Fall Brent Spar)? Aus dem Inhalt: Bernd-Stefan Grewe: „Man sollte sehen und weinen!” Holznotalarm und Waldzerstörung vor der Industrialisierung (24-41) Peter Brimblecombe: Die Apokalypse im Nebel. Der Londoner Smog im späten 19. Jahrhundert (42-51) Roland Siekmann: Sterbende Landschaft? Katastrophenrhetorik in der naturschützerischen Wahrnehmung der Senne (52-66) Frank Uekötter: „Prophets of Doom”? Die Angst vor einer großen Luftverschmutzungskatastrophe in der amerikanischen Umweltbewegung (67-77) Kai F. Hünemörder: Kassandra im modernen Gewand. Die umweltapokalyptischen Mahnrufe der frühen 1970er Jahre (78-97) Patrick Kupper: „Weltuntergangs-Vision aus dem Computer”. Zur Geschichte der Studie „Die Grenzen des Wachstums” von 1972 (98-111) Kenneth Anders / Frank Uekötter: Viel Lärm ums stille Sterben: Die Debatte über das Waldsterben in Deutschland (112-138) Anna-Katharina Wöbse: Die Brent Spar-Kampagne. Plattform für diverse Wahrheiten (139-160)
Andreas Beckmann (AB)
M. A., Doktorand, Institut für Sozialwissenschaften, Bereich Politikwissenschaft, Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.2612.341 Empfohlene Zitierweise: Andreas Beckmann, Rezension zu: Frank Uekötter / Jens Hohensee (Hrsg.): Wird Kassandra heiser? Stuttgart: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/23044-wird-kassandra-heiser_26365, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 26365 Rezension drucken
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