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Rezension / 28.03.2018

Hendrik Lange: Determinanten der Demokratiezufriedenheit. Einfluss ökonomischer Faktoren auf die politische Kultur in der BRD

Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2018

Die Analyse der Demokratiezufriedenheit hat eine lange Tradition im Kontext der politischen Kulturforschung. Obwohl neben einer Vielzahl von Erklärungsfaktoren auch ökonomische Variablen immer wieder in diese Analysen einbezogen wurden, gab es bislang keine, die sich grundlegend mit dem Zusammenhang von ökonomischen Aspekten und Demokratiezufriedenheit auseinandergesetzt hat. Hendrik Lange schließt diese Lücke, wobei er den Einstellungen zur Demokratie vor dem Hintergrund sowohl der tatsächlichen ökonomischen Situation der Befragten als auch der subjektiv wahrgenommenen nachgeht.

Die Analyse des Konzepts der Demokratiezufriedenheit (DZ) hat eine lange Tradition im Kontext der politischen Kulturforschung. Hierbei werden sowohl Entwicklungen der DZ als auch ihre Relevanz für die diffuse Unterstützung politischer Systeme untersucht. Als dritten wesentlichen Bereich sind zudem diejenigen Faktoren zu nennen, die einen Einfluss auf die Höhe der Demokratiezufriedenheit haben. Und obwohl neben einer Vielzahl von Erklärungsfaktoren auch ökonomische Variablen immer wieder in die Analysen mit einbezogen wurden, gab es bislang keine, die sich grundlegend mit dem Zusammenhang von ökonomischen Aspekten und Demokratiezufriedenheit auseinandergesetzt hat. So weist Hendrik Lange gleich zu Beginn seiner Studie darauf hin, dass sich bislang nur unzureichend erklären lässt, warum Einstellungen gegenüber der Demokratie überhaupt mit ökonomischen Faktoren zusammenhängen (1).

Diese Lücke schließt der Autor in seiner Dissertation. Er unterscheidet dabei zwischen zwei Gruppen von ökonomischen Faktoren: Zum einen betrachtet er die tatsächliche ökonomische Situation der Befragten, zum anderen ihre subjektiv wahrgenommene. So gelangt er zu seiner zentralen Forschungsfrage: Wie wirkt sich die tatsächliche im Vergleich zur wahrgenommenen eigenen ökonomischen Situation auf die Demokratiezufriedenheit aus? (2)

Für die Durchführung seiner Studie formuliert Lange vier untergeordnete Ziele (6 f.): Neben der zentralen tiefergehenden Analyse des Zusammenhangs verwendet er zweitens eine neue Methodik, die Fehler in den bisherigen Vorgehensweisen zutage fördert. Drittens betrachtet er die Auswirkungen der DZ auf die Systemzufriedenheit und möchte schließlich viertens die praktische Relevanz thematisieren, um auf der Basis seiner Ergebnisse Vorschläge zu formulieren, die in Krisenzeiten dabei helfen könnten, die Demokratie zu stabilisieren.


Aufbau der Studie

Die Studie selbst gliedert sich wie folgt: In der Einleitung expliziert Lange die Relevanz des Themas, Forschungslücke, Forschungsfrage und Ziele der Arbeit. Das zweite Kapitel widmet sich dem Demokratiekonzept. Dabei wirft er einen Blick auf zentrale Demokratietheorien, auf Indikatoren zur Messung von Demokratieunterstützung und die Determinanten der DZ. Im darauffolgenden Kapitel wird das Forschungsdesign der Studie präsentiert, das heißt die Art der Analyse (Querschnitts- und Panelanalyse) inklusive methodischer Spezifika, die Datengrundlage, Hypothesen und Operationalisierungen der einzelnen Konzepte. In den beiden umfangreichen empirischen Kapiteln werden zunächst bivariate Zusammenhänge zwischen sozialem Status und Demokratiezufriedenheit, Lebenszufriedenheit sowie Performanz untersucht. Das fünfte Kapitel liefert eine umfangreiche Analyse des zentralen Zusammenhangs im Hinblick auf Statuseffekte, Ereignisabhängigkeit und Zeitstabilität. Der Band schließt klassisch mit einem Fazit.

Im Folgenden sollen nun kursorisch der theoretische Rahmen, die Datengrundlage, und die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst werden. Den Abschluss bilden Hinweise für die Leserschaft sowie ein Ausblick auf mögliche Anschlussforschungen.


Theoretischer Rahmen

Wie bereits erwähnt, untersucht Lange sowohl objektive Statusfaktoren (wie objektives individuelles Einkommen) als auch subjektiv wahrgenommene Indikatoren im Hinblick auf ihre Relevanz für die Demokratiezufriedenheit. Zu seinen Kerndeterminanten zählen dabei die relative Deprivation, die allgemeine Lebenszufriedenheit sowie das soziale Kapital. Die Theorie der relativen Deprivation (3 f.) geht kurz gesagt davon aus, dass Menschen, sobald sie das Gefühl haben, nicht mehr am „normalen Leben“ teilnehmen zu können, unzufrieden werden und dies dem politischen System ankreiden. Dies geschieht unabhängig davon, ob ihre eigene Lebenssituation objektiv sogar sehr gut aussieht, die Person also tatsächlich in keiner Notlage ist. Dennoch kann die Angst vor einer solchen Situation bereits zu Unzufriedenheit führen – unabhängig davon, ob diese begründet ist oder nicht.

Als zweiten Faktor untersucht Lange die Lebenszufriedenheit (4). Eine Reihe von Studien zeigt, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Demokratie- und Lebenszufriedenheit (LZ) gibt. Gleichzeitig zeigt die ökonomische Glücksforschung, dass ab einem gewissen sozioökonomischen Status die Lebenszufriedenheit nicht weiter ansteigt. Als dritte Variable greift Lange das Sozialkapital auf (5). Hierbei fokussiert er vor allem auf das Sozialvertrauen, das sowohl mit dem sozioökonomischen Status als auch mit der Demokratiezufriedenheit zusammenhängt. Niedriger sozialer Status führt zur sozialen Exklusion, was somit zu einem geringen Sozialvertrauen führt und damit zu einer niedrigeren Demokratiezufriedenheit. Somit kann auch soziales Vertrauen als vermittelnde Variable interpretiert werden.


Datenbasis & Methodik

Um seine Hypothesen zu testen, greift Lange auf Daten unterschiedlicher Studien zurück und führt somit eine Sekundäranalyse durch: European Social Survey (ESS), World Values Survey (WVS) und German Longitudinal Election Study (GLES). Während er für die Querschnittsanalysen Daten des European Social Survey (2010/11) und des World Values Survey (2008) verwendet, greift er für die Panelanalyse auf Daten des Langzeitpanels der German Longitudinal Election Study (GLES) aus den Jahren 2002, 2005 und 2007 zurück. Neben bivariaten Analysen nutzt Lange vor allem ordinale und kumulative Logit-Modelle sowie logistische Fixed-effects-Modelle.


Zentrale Befunde

Die Ergebnisse der Modelle in den Querschnittsanalysen legen nahe, dass sich die Demokratiezufriedenheit zu großen Teilen aus der Performanz, der allgemeinen Lebenszufriedenheit sowie dem Sozialvertrauen erklären lässt (105). Die Befunde lassen somit auch den Schluss zu, dass mit dem DZ-Indikator eher Regierungsperformanz (spezifische Unterstützung) statt diffuser Unterstützung gemessen wird (91). Die Bewertung der Regierungsperformanz hängt entgegen bisheriger Annahmen auf der Basis der Analysen nicht stark mit dem individuellen Einkommen zusammen (91), während die Zusammenhänge des wahrgenommenen Lebensstandards denjenigen des angegebenen Einkommens ähneln (96). Dennoch spielt die subjektive Einkommenswahrnehmung eine wichtige Rolle im Hinblick auf die DZ, wenn Lebenszufriedenheit und Regimeperformanz herausgerechnet werden (97).

Des Weiteren untersucht Lange stereotypes Antwortverhalten im Hinblick auf die Demokratiezufriedenheit sowie Unterschiede im Hinblick auf das Befragungsformat. Eine detaillierte bivariate Analyse zeigt, dass Menschen mit niedrigem formalem Bildungsgrad, niedrigem politischem Interesse und geringer Partizipationserfahrung gerne auf die Mittelkategorie des DZ-Indikators ausweichen. Dies hat Folgen für die inhaltliche Interpretation der DZ bei statusniedrigeren Gruppen. „Kurz gesagt lässt sich beim Zusammenhang zwischen Status und Demokratiezufriedenheit nicht feststellen, ob bei statusniedrigen Personen tatsächlich eine niedrigere Demokratiezufriedenheit oder einfach nur Unsicherheit gemessen wird.“ (110)

Eine Analyse der Zusammenhänge von DZ, LZ und Performanz unter Berücksichtigung von Bildungsgrad und politischem Interesse getrennt nach Surveys, um so das Befragungsformat zu kontrollieren, zeigt, dass die Abfrage von Demokratiezufriedenheit stärker mit Lebenszufriedenheit assoziiert wird. Die Verwendung des Wortes „zufrieden“ beziehungsweise „Zufriedenheit“ weckt offenbar ähnliche Assoziationen, unabhängig von der Frage nach der Lebens- oder Demokratiezufriedenheit oder der Performanzeinschätzung (115). Der Effekt wird noch verstärkt, wenn die items direkt hintereinander abgefragt werden wie im European Social Survey (115).


Das Überleben der Demokratie in Krisenzeiten

Gerade am Ende der Arbeit werden auf der Basis der empirischen Ergebnisse eine ganze Reihe von Implikationen und Interpretationen geliefert, die für weitere Forschungen, aber auch für den Umgang mit Krisen in Demokratien – vor allem in Deutschland – eine gewisse Relevanz besitzen. Hier soll ein zentraler Befund von Lange aufgegriffen werden, der insbesondere für die politische Kulturforschung und die Erforschung politischer Einstellung von größerer Relevanz ist.

Lange stellt im Rahmen der Panelanalysen fest, dass nicht alle, die als Demokraten sozialisiert wurden, dies im Laufe ihres Lebens auch bleiben. Dies gilt insbesondere für Befragte mit niedrigem Bildungsgrad und niedrigem politischem Interesse (187). Des Weiteren schreibt Lange, „dass eine gravierende Verschlechterung der sozioökonomischen Situation und vor allen Dingen einer Veränderung der Wahrnehmung einer solchen Situation auch die diffuse Unterstützung einer Demokratie maßgeblich schwächen würden.“ (187) Zudem lässt sich feststellen, dass eine große Zahl der Befragten indifferent zur Demokratie steht, sodass diese im Krisenfall zu „eine[r] verborgene[n] Gefahr für Demokratien“ (187) werden können, da sie vermutlich auch öffentlich die Demokratie nicht verteidigen werden.

Lange schlägt deshalb vor, das Funktionieren der Demokratie als Schwellenwertmodell zu begreifen. Hierbei dient die Höhe der politischen Unterstützung eines politischen Regimes als Puffer zu dessen Zusammenbruch. Oder in Langes Worten: „Je etablierter eine politische Kultur in einem Land ist, desto später kippt ein Land vom ‚normalen‘ in den Krisenmodus. Die politische Kultur bestimmt also die Schwelle, bis zu der das System folgenlos belastet werden kann.“ (189) Das Problem dabei ist, dass nicht die Krise an sich, sondern die Wahrnehmung der Krise durch die Bevölkerung das entscheidende Kriterium für das Überleben des demokratischen Regimes darstellt (189). Somit haben nach seiner Einschätzung insbesondere demokratische Regime mit einem gut ausgebauten Sozialsystem und starken sozialen Normen eine höhere Wahrscheinlichkeit, der Demokratie im Krisenfall noch eine längere Zeit eine Chance zu geben (192). Während Ersteres ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, stellt Letzteres ein gesellschaftliches Grundvertrauen zur Verfügung, das für das Vertrauen in die Lösungsfähigkeit des politischen Systems, seiner Institutionen und handelnden Akteure (überlebens)notwendig ist.


Zielgruppe und Ausblick

Der Hauptteil der Studie ist den methodischen Aspekten der Analyse des Zusammenhangs von Demokratiezufriedenheit und ökonomischen Faktoren gewidmet. Er ist deshalb für methodische Laien nur schwer zu verstehen. Somit ist das Buch eher für ein methodisch interessiertes Publikum geschrieben und setzt durchaus fortgeschrittene Kenntnisse auf diesem Gebiet voraus. Deshalb sei die Studie eher Studierenden und Forschenden aus dem Bereich der quantitativ arbeitenden politischen Kulturforschung empfohlen und weniger Mitarbeiter*innen in Politik und Politikberatung, sofern sie nicht über entsprechende Kenntnisse verfügen. Dennoch sind die Befunde durchaus für eine breitere Öffentlichkeit interessant.

Im Anschluss an die Analyse bleibt die Frage offen, ob die für Deutschland gefundenen Zusammenhänge eher Ausnahme oder Regel sind. Somit bietet es sich an, diese Analysen nicht nur auf andere Länder oder Regionen auszuweiten, sondern auch unterschiedliche Regierungssysteme (zum Beispiel parlamentarische vs. präsidentielle Regierungssysteme), das Ausmaß der Demokratiequalität oder Regimetypen (Demokratien vs. Autokratien) im Hinblick auf diesen Zusammenhang intensiver zu studieren.

 

CC-BY-NC-SA
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