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IParl: Blickpunkt / 10.08.2023

Fraktionswechsel – ein unterschätztes Phänomen?

Bild: Abbildung aus dem IParl-Blickpunkt Nr. 11 "Fraktionswechsel – ein unterschätztes Phänomen?".

Die Debatte über eine potentielle Abspaltung des sogenannten Wagenknecht-Lagers innerhalb der Linkspartei wird seit mehreren Monaten mit harten Bandagen geführt und erreichte unlängst ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Forderung des Parteivorstandes, Sahra Wagenknecht solle ihr Bundestagsmandat zurückgeben. Seit längerem steht mehr oder minder offen der geplante Bruch eines Teils der Linken-Abgeordneten mit ihrer Fraktion im Raum, dem die Partei nun zuvorkommen möchte. Dass Abgeordnete inmitten einer Wahlperiode ihre Fraktion verlassen, ist nach wie vor eher eine Seltenheit in Deutschland, eine parlamentarische Abspaltung umso mehr. Dennoch zeigt ein neuer IParl-Datensatz über die Wechsel der Fraktionszugehörigkeit auf Bundes- und Landesebene, dass in beinahe jeder Wahlperiode der vergangenen drei Jahrzehnte einer oder mehrere Abgeordnete (un-)freiwillig ihre Fraktion verlassen haben.

 

Die Debatte über eine potentielle Abspaltung des sogenannten Wagenknecht-Lagers innerhalb der Linkspartei wird seit mehreren Monaten mit harten Bandagen geführt und erreichte unlängst ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Forderung des Parteivorstandes, Sahra Wagenknecht solle ihr Bundestagsmandat zurückgeben. Seit längerem steht mehr oder minder offen der geplante Bruch eines Teils der Linken-Abgeordneten mit ihrer Fraktion im Raum, dem die Partei nun zuvorkommen möchte. Dass Abgeordnete inmitten einer Wahlperiode ihre Fraktion verlassen, ist nach wie vor eher eine Seltenheit in Deutschland, eine parlamentarische Abspaltung umso mehr. Dennoch zeigt ein neuer IParl-Datensatz über die Wechsel der Fraktionszugehörigkeit auf Bundes- und Landesebene, dass in beinahe jeder Wahlperiode der vergangenen drei Jahrzehnte einer oder mehrere Abgeordnete (un-)freiwillig ihre Fraktion verlassen haben.

Das Wichtigste in Kürze:

  1. Fraktionswechsel treten häufiger auf als vermutet. Vor allem in jungen, wenig institutionalisierten Parteien und Fraktionen kommt es in den ersten Jahren der parlamentarischen Präsenz zu vielen Wechseln der Fraktionszugehörigkeit.

  2. Seit der Wiedervereinigung traten Fraktionswechsel im Deutschen Bundestag und dem Berliner Abgeordnetenhaus in jeder Wahlperiode und jeder Fraktion auf. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen kam es zu deutlich weniger Fällen.

  3. In den letzten Jahren haben vor allem Abgeordnete der AfD ihre Fraktion verlassen (müssen). Die meisten von ihnen sind danach fraktionslos geblieben.

Wenn im britischen House of Commons Abgeordnete ihre Fraktionszugehörigkeit wechseln, ist dies stets nicht nur ein Ereignis von erhöhtem Nachrichtenwert, sondern wird auch traditionell von einem symbolischen Akt begleitet. Der entsprechende Abgeordnete sucht einen geeigneten Zeitpunkt während der laufenden Debatte und verlässt dann die angestammten Sitzreihen, um unter Beifall und Jubel der neuen Parteifreunde auf den gegenüberliegenden Bänken den neuen Platz einzunehmen. Aus diesem plakativen Übertreten in die Reihen der vormaligen politischen Gegner ergibt sich die britische Bezeichnung des „floor-crossing“ für den Wechsel der Fraktionszugehörigkeit eines Abgeordneten. Wenngleich Fraktionswechsel in deutschen Parlamenten mit weit weniger Theatralik verbunden sind als im britischen Unterhaus, können die Abgeordneten sich dennoch je nach Motivation und Auswirkung des Wechsels einer zumindest vorübergehenden landesweiten Bekanntheit gewiss sein. Da wäre zum Beispiel Wilhelm Helms, der mit seinem Übertritt von der FDP zur Unionsfraktion 1972 den Anstoß für das (letztlich gescheiterte) erste konstruktive Misstrauensvotum im Deutschen Bundestag gab. Auch der Name der ehemaligen niedersächsischen Landtagsabgeordneten Elke Twesten dürfte überdurchschnittlich vielen Menschen, darunter auch jenen, die sich sonst eher weniger für die Landespolitik in Hannover interessieren, bekannt sein. Durch ihren Wechsel von der Fraktion der Grünen zur CDU verlor Ministerpräsident Stephan Weil mit seiner rot-grünen Koalition 2017 die Mehrheit im Niedersächsischen Landtag mit der Folge, dass sich das Parlament selbst aufl öste. Gewiss gibt es auch zahlreiche Beispiele, die weniger gravierende Auswirkungen hatten, etwa das des langjährigen SPD-Abgeordneten Marco Bülow, der 2018 seinen Übertritt zur Partei DIE PARTEI erklärte und fortan als fraktionsloser MdB seine Arbeit fortsetzte, ohne jedoch die solide Mehrheit der Großen Koalition zu gefährden. Nicht zuletzt wäre eine von Sahra Wagenknecht angeführte Abspaltung von Teilen der Linksfraktion ein bislang einmaliger Vorgang im Bundestag.

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Fraktionswechsel – ein unterschätztes Phänomen?

IParl-Blickpunkt

Blickpunkt Nr. 11, August 2023, 13 Seiten, DOI: 10.36206/BP2023.02

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Diesen und weitere Blickpunkte des Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl), Berlin, mit dem Schwerpunkt Parlamente und Parteien finden Sie hier.


Dieser Beitrag des Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl) entstand im Jubiläumszeitraum der Stiftung Wissenschaft und Demokratie. Die Stiftung ist seit 30 Jahren tätig und verfolgt mit ihren Einrichtungen und Förderprojekten das Ziel, insbesondere die Politikwissenschaft bei der Lösung praktischer und normativer Probleme der Demokratie zu unterstützen.               

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