Skip to main content
Rezension / 29.09.2022

Fedor Ruhose: Parlamentsfraktionen – Aufbau, Funktion, Arbeitsweise

Stuttgart, Kohlhammer Verlag 2022

Laut Rezensent Sven Leunig blickt Fedor Ruhose aus berufener Feder – er war Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz – „in den Maschinenraum der Politik“, indem er eine „kurze und allgemeinverständliche Darstellung von Bedeutung, Arbeitsweise und Wandel der Aufgaben von Parlamentsfraktionen“ präsentiert. Der Autor sieht in ihnen „besondere Machtfaktoren deutscher Politik“ und schreibt ihnen eine „parteifördernde Funktion“ zu. Leunig bemerkt zwar, dass einige Themen aufgrund der Kürze des Werkes nur angerissen werden, doch für politikwissenschaftliche Laien könne diese Publikation von Nutzen sein.

Es kommt gar nicht so oft (vielleicht viel zu selten?) vor, dass „Praktiker*innen“ über politikwissenschaftlich interessante und relevante Themen schreiben. Fedor Ruhose, diplomierter Volkswirt, war schon in verschiedensten Positionen für die SPD in Rheinland-Pfalz tätig, unter anderem als Geschäftsführer der SPD-Fraktion im dortigen Landtag. Der gut 120 Seiten kurze, aber informative Überblick über Parlamentsfraktionen kommt also aus berufener Feder. Dabei geht es keineswegs, wie man aufgrund der beruflichen Tätigkeit des Verfassers vermuten könnte, nur um Landtagsfraktionen, wenngleich er Aussagen zur Arbeitsweise von Fraktionen nicht selten – naheliegenderweise – dem Bereich der Landesparlamente entnimmt. Besonders „lesefreundlich“ sind die vielen, vom Haupttext farblich abgehobenen „Beispiele“ aus der politischen Praxis, die immer wieder eingestreut werden.

Der „Blick in den Maschinenraum der Politik“ (9) ist aber durchaus allgemein und gerade auch auf die Fraktionen des Deutschen Bundestages gerichtet, wie bei der Lektüre deutlich wird. Insofern ist das Buch auch logisch in zwei Bereiche unterteilt: Während es im ersten Abschnitt, der etwa ein Drittel des Buches ausmacht, generell um den Aufbau und die Funktion von Fraktionen geht, beschäftigt sich der Hauptteil mit der Arbeitsweise der Fraktionen sowie ihren Beziehungen untereinander. Ein letzter, kurzer Ausblick befasst sich mit den drei von Manfred G. Schmidt so definierten Herausforderungen an Fraktionen: ihrer Problemlösungsfähigkeit, ihrer Bereitschaft zur Fehlerkorrektur und generell ihrer Lernfähigkeit. Es ist sicher kein Zufall, dass Ruhose dieses Kapitel unter die Überschrift „Fraktionsarbeit im pluralen Parlament“ (111) setzt, denn der Pluralismus der deutschen Parlamente hat sich in den vergangenen fast zehn Jahren durch den Einzug der AfD ja erkennbar erweitert, verbunden mit vielerlei Herausforderungen.

Dass der Verfasser die Fraktionen „als besondere Machtfaktoren deutscher Politik“ (11) darstellen will, mag angesichts seiner Vita nicht überraschen – korrekt bleibt diese Einschätzung allemal, wie Ruhose an einer Vielzahl von Beispielen deutlich macht. So erfährt man etwa, dass Fraktionen auch eine „parteifördernde Funktion“ haben (29). Erstaunlich ist, dass der in der Öffentlichkeit häufig als sehr problematisch wahrgenommene Konflikt zwischen Fraktionsdisziplin/-zwang und freiem Mandat kaum diskutiert wird, im Abschnitt über die Fraktionsautonomie wird zum Beispiel der für das freie Mandat zentrale Artikel 38 GG gar nicht erwähnt (35). Generell ist für Politolog*innen bedauerlich, dass etliche Themen nur angerissen werden, etwa zur Rolle der Stäbe innerhalb der Fraktionen (55 f.). Dies ist natürlich der Kürze des Werkes geschuldet.

Allerdings werden auch manch konkrete Punkte, die vielleicht dem Verfasser, aber nicht den Leser*innen ohne besonderes Vorwissen einleuchten, unerklärt gelassen. Dies gilt etwa für die Aussage, die FDP habe sich 2017 entschieden, „nicht die Rechtsnachfolge der 2013 aus dem Bundestag ausgeschiedenen Fraktion anzutreten“ (17) – warum war dem so, und welche Folgen hat dieser Umstand? Mehr Informationen hierzu wären wünschenswert gewesen.

Der Behauptung, „die politische Bedeutung von Fraktionen ist […] selten Gegenstand der Analyse und wissenschaftlichen Darstellung“ (12), muss angesichts einer Vielzahl wissenschaftlicher Aufsätze in Fachzeitschriften und Buchbeiträgen entschieden widersprochen werden, und dies gilt nicht nur für die Bundestagsfraktionen, sondern auch für jene in den Landesparlamenten. Dennoch kann diese „kurze und allgemeinverständliche Darstellung von Bedeutung, Arbeitsweise und Wandel der Aufgaben von Parlamentsfraktionen“ (12) gerade auch für politikwissenschaftliche Laien von Nutzen sein. 

 

CC-BY-NC-SA
Neueste Beiträge aus
Repräsentation und Parlamentarismus

Mehr zum Thema

IParl: Projekt / Danny Schindler, Oliver Kannenberg / 26.11.2020

Fraktionsgeschäftsordnungen. Ein unbestelltes Feld der Politikwissenschaft

Es geht um die Geschäftsordnungen von Parlamentsfraktionen. Da diese „Fraktionsverfassungen“ aus politikwissenschaftlicher Perspektive bisher wenig beleuchtet wurden, nimmt sich das Institut für Parlamentarismusforschung dieser Forschungslücke in dem Projekt „Standing Orders of Parties in Parliament (SOPiP)” an. Aufgezeigt werden u. a. die Entwicklung und Bedeutung der Fraktionsstatuten in Deutschland, in anderen Ländern sowie unterschiedlichen Systemen.

 

Rezension / Sven Leunig / 22.07.2019

Erik Fritzsche: Fraktionsgeschlossenheit und Regierungssysteme. Empirische und normative Einsichten aus weitgespannten Vergleichen

Erik Fritzsche fragt in seiner umfassenden Analyse nach den Gründen für die Fraktionsdisziplin sowohl in parlamentarischen als auch in präsidentiellen politischen Systemen und gelangt laut Rezensent Sven Leunig zu teils überraschenden Ergebnissen.

 

Rezension / Daniel Hellmann / 09.07.2018

Martin Morlok / Thomas Poguntke / Ewgenij Sokolov: Parteienstaat – Parteiendemokratie

In diesem Tagungsband wird aus politik- und rechtswissenschaftlicher Perspektive eine Vielzahl an Themen der Parteienforschung beleuchtet. So geht es zum Beispiel um die Trennung von Partei und Fraktion, die Bedeutung des freien Mandats und die Rolle der Urwahl für die innerparteiliche Demokratie.

 

Rezension / Andreas Beckmann / 01.01.2006

Sven Hölscheidt: Das Recht der Parlamentsfraktionen

Hölscheidt untersucht in seiner sehr umfangreichen, das komplexe Thema nahezu völlig erschöpfenden Arbeit vergleichend das Recht der Bundestagsfraktionen sowie aller deutscher Landtagsfraktionen (also inkl. Bürgerschaften und Berliner Abgeordnetenhaus). Er Fragt: Inwieweit lässt sich aus der Rechtsprechung, der Literatur, der Praxis sowie aus den weit überwiegend erst in den letzten 10 Jahren kodifizierten Fraktionsgesetzen in Bund und Ländern ein allgemeingültiges Recht der Parlamentsfraktionen herausarbeiten?

 

 

Mehr zum Themenfeld Effizienz und Leistungsfähigkeit parlamentarischer Strukturen