„Illegitim, aber nicht illegal“. Der Umbau der ungarischen Demokratie im Spiegel der Literatur
Die Entwicklungen in Ungarn seit 2010 werden in der Literatur sehr kritisch begleitet: Der Umbau des Mediensystems, verbunden mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit, und die rechtspopulistische Propagierung des Nationalismus haben aus dem Land, das in Ostmitteleuropa lange Vorreiterin der Demokratie war, ein Sorgenkind der EU gemacht. Ungarn sei es nicht gelungen, so die Diagnose von Paul Lendvai, den tiefen Bruch zwischen Patriotismus und Liberalismus zu schließen, durch den es seit hundert Jahren gekennzeichnet sei.
Ungarn und Europa. Positionen und Digressionen. Als wichtiger Gradmesser gilt die Meinungsfreiheit, die über neue Mediengesetze eingeschränkt worden ist – was in Constitutional Crisis in the European Constitutional Area als Angriff auf die konstitutionelle Demokratie identifiziert wird. Als außerdem problematisch wird in verschiedenen Büchern die Verklärung der Geschichte eingeordnet. Das Verhältnis von Politik und Gesellschaft zu den drei rechtsdiktatorischen Vergangenheiten – Horthy-Regierung, Pfeilkreuzler-Regime und NS-Besatzungsherrschaft – sei bis in die Gegenwart nicht geklärt, schreibt Regina Fritz in ihrer Dissertation Nach Krieg und Judenmord. Auch die Erinnerung an den Holocaust sei stark von parteipolitischen Zuspitzungen überformt. Insgesamt sei das Geschichtsbild durch die Ansicht geprägt, „dass es zum Schicksal der ungarischen Nation gehöre, sich gegen äußere Gegner erwehren zu müssen“ – so nachzulesen in dem Band Ungarn 1989-2014. Aus dieser Quelle speist sich ein als dezidiert exklusiv verstehender Nationalismus, vor dessen Hintergrund Ministerpräsident Viktor Orbán mit illegitimen, aber meist nicht illegalen Mitteln versucht, eine geschlossene Gesellschaft zu etablieren, wie Jan-Werner Müller in Wo Europa endet schreibt. Möglich sei dies, weil das Land seit hundert Jahren durch den tiefen Bruch zwischen Patriotismus und Liberalismus gekennzeichnet sei, meint Paul Lendvai in Mein verspieltes Land, und bisher es sei nicht gelungen, diesen zu schließen.
„Es sind beklemmende Nachrichten, die seit 2010 mit wachsender Dringlichkeit aus Ungarn zu hören sind, diesem Land, das jahrzehntelang als Vorkämpfer der Demokratie im einstigen sowjetischen Machtbereich galt“, heißt es in der Einleitung des BandesConstitutional Crisis in the European Constitutional Area. Theory, Law and Politics in Hungary and Romania
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015; XII, 378 S.; 80,- €; ISBN 978-3-8487-1996-9Ungarn und Europa. Positionen und Digressionen
Göttingen: Wallstein Verlag 2014 (Valerio 16/2014); 188 S.; brosch., 10,- €; ISBN 978-3-8353-1204-3Nach Krieg und Judenmord. Ungarns Geschichtspolitik seit 1944
Göttingen: Wallstein Verlag 2012 (Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert 7); 364 S.; brosch., 34,90 €; ISBN 978-3-8353-1058-2Das politische System der Republik Ungarn. Entstehung – Entwicklung – Europäisierung
Opladen/Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich 2009; 392 S.; 49,90 €; ISBN 978-3-86649-268-4Ungarn 1989-2014. Eine Bilanz nach 25 Jahren
Regensburg: Friedrich Pustet 2015; 200 S.; kart., 29,95 €; ISBN 978-3-7917-2742-4Mein verspieltes Land. Ungarn im Umbruch
Salzburg: ecowin 2010; 233, S.; 23,60 €; ISBN 978-3-902404-94-7Die Geschichte des ungarischen Nationalismus
Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2013; 146 S.; brosch., 24,95 €; ISBN 978-3-631-62563-7Wo Europa endet. Ungarn, Brüssel und das Schicksal der liberalen Demokratie
Berlin: Suhrkamp 2013 (edition suhrkamp digital); 79 S.; 7,99 €; ISBN 978-3-518-06197-8
Repräsentation und Parlamentarismus
Analyse / Zsolt K. Lengyel / 29.11.2018
Das Ungarn-Bild der deutschen Medien. Entwicklungslinien nach 1990 und thematische Schwerpunkte von 2010 bis 2016
In seiner ausführlichen Analyse der Berichterstattung deutscher Leitmedien zeigt Zsolt K. Lengyel, geschäftsführender Direktor des „Hungaricum – Ungarisches Institut“ an der Universität Regensburg, dass das Ungarn-Bild der Deutschen Schlagseite erlitten habe.
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