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Rezension / 25.04.2024

Stefan Garsztecki, Robert Grzeszczak, Aleksandra Maatsch, Dariusz Wojtaszyn: Das politische System Polens

Baden-Baden, Nomos 2024

Dieses Buch bietet einen Überblick über die (Transformations-)Geschichte des politischen Systems in Polen und dessen Gegenwart, darunter auch „etliche nützliche Informationen“ zu Verfassung, Parlament, Exekutive und Rechtssystem, so Sven Leunig in dieser Buchkritik: Doch seien die ebenfalls vorhandene mangelnde sprachliche Objektivität innerhalb der einzelnen Kapitel sowie ein unzureichendes Belegen von Aussagen in dieser Publikation, die sich im Rahmen einer „Lehrbuchreihe für Studierende“ gezielt an „angehende Wissenschaftler:innen“ richtet, deutlich zu beanstanden.

Stefan Garsztecki, Robert Grezeszczak, Aleksandra Maatsch und Dariusz Wojtaszyn, Professoren an den Universitäten Chemnitz bzw. Wroclaw, befassen sich in ihrem Werk aus durchaus aktuellen Gründen mit dem politischen System ihres Heimatlandes – bis zum Regierungswechsel im Dezember 2023 zählte Polen bekanntlich mit Ungarn zu den Staaten, in denen rechtspopulistische Parteien über einen längeren Zeitraum regierten. Insofern ist es nicht allein das Fehlen einer aktuellen (!) Einführung in das politische System Polens, was die Autoren zu ihrer Monografie motiviert. Sie will zugleich untersuchen, „ob wir es im Fall Polens mit einem neuen Typus parlamentarischer Demokratie – im Sinne Viktor Orbans mit einer illiberalen Demokratie als positivem Gegenentwurf zur liberalen Demokratie – oder lediglich mit Merkmalen einer defekten Demokratie im Sinne Wolfgang Merkels (…) bzw. einer illiberalen Demokratie als negativer Deformation von Demokratie nach Fareed Zakaria (1997) zu tun haben“‘.

Dabei folgt die Struktur des Buches im Wesentlichen einem standardisierten Muster zur Darstellung politischer Systeme. Nach einem allgemeinen historischen Überblick zur Transformationsgeschichte Polens nach 1989 (Kapitel 2) werden in den folgenden vier Kapiteln die Verfassung, das Parlament, die Exekutive und das Rechtssystem dargestellt, wobei Letzterem besonders viel Raum eingeräumt wird. Es schließen sich zwei kürzere Abhandlungen zur Wahllandschaft und Dezentralisierung an (Kapitel 7 und 8), denen wiederum eine ausführliche Betrachtung der Interessengruppen und Zivilgesellschaft folgt (Kapitel 9). Abgeschlossen wird das Buch, nach einem eher kurzen Abriss zur politischen Kultur, mit der Frage, inwieweit die Parlamentswahl im September 2023 als Wendepunkt der demokratischen Entwicklung Polens zu verstehen ist. Bedauerlich ist, dass dem Parteiensystem kein eigenes Kapitel gewidmet wurde. Die polnischen Parteien der Gegenwart werden nur in kürzeren Abschnitten des zweiten (24) und des vierten Kapitels (4.4 „Dominante Konfliktlinien zwischen den Parlamentsparteien“) kursorisch behandelt. Dies ist insofern schade, als dass sich der Konflikt zwischen der von 2005 bis 2007 und von 2015 bis 2023 (in unterschiedlichen Koalitionen) regierenden PiS (Prawo i Sprawiedliwosc – Recht und Gerechtigkeit) und insbesondere der PO (Platforma Obywatelska – Bürgerplattform) des gegenwärtigen Ministerpräsidenten Donald Tusk nicht nur wie ein roter Faden durch die polnische Zeitgeschichte, sondern auch durch dieses Buch zieht. Nicht uninteressant ist in diesem Kontext auch, dass die PiS im Buch stets als „nationalkonservativ“ tituliert wird, obwohl in der Forschung die verbreitete Überzeugung herrscht, dass diese als rechtspopulistisch betrachtet werden muss.

Damit muss auch ein erster problematischer Punkt des Werkes angesprochen werden. Zwar ist die Kritik an den Maßnahmen im Bereich der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, welche die zweite PiS-Regierung ab 2015 ergriffen hat, in Politik und Wissenschaft durchaus verbreitet. Insofern ist es auch nicht nur legitim, sondern notwendig, diese Kritik in einem Werk über das Regierungssystem Polens ausführlich darzustellen. Dies tun die Verfasser*innen auch, etwa wenn sie die Bedeutung des Wahlergebnisses von 2023 mit dem von 1989 gleichsetzen (173). Allerdings stellt sich bei der Lektüre die Frage, ob sich die Autoren in ihren Schlussfolgerungen stärker von ihrer politischen Einstellung als von der politikwissenschaftlichen Analyse leiten lassen haben. Selbst das wäre noch tolerabel, nicht aber die häufige Verwendung negativ wertender Begriffe wie „Marionetten-Verfassungsgerichtshof“ (53), „machtfreundliche Richter“ (100) oder „Erfüllungsgehilfe der Regierung“ (80), wenn vom polnischen Verfassungsgericht die Rede ist. Gleiches gilt, wenn im Zusammenhang mit eben diesem Verfassungsgericht von „einer perversen politischen Rhetorik“ (46) (seitens der Regierung?) gesprochen wird. Dies lässt die gebotene wissenschaftliche Neutralität und Objektivität in der Sprache (!) erkennbar vermissen und vermuten, dass die Autor*innen in ihrer Darstellung womöglich einem erkennbaren „bias“ unterliegen. Wenn etwa das Verfassungsgericht in seiner Zusammensetzung nach 2015 so apodiktisch negativ betrachtet wird, müsste dies anhand konkreter Fälle sehr viel intensiver untersucht und mit entsprechenden Forschungsergebnissen untermauert werden.

Dass es am Vorgehen der PiS-geführten Regierungen gerade im Bereich des Rechtswesens wohlbegründete Kritik geben kann, steht dem gerade Ausgeführten nicht entgegen – und diese Kritik wird denn, wie erwähnt, von den Verfasser*innen auch ausführlich thematisiert. Dabei geht es zunächst um die verfassungswidrige Ernennung zweier Richter nach dem Regierungswechsel 2015, die ihrerseits dann den Anstoß zu mehreren Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU gegen Polen waren (80). Zu Recht monieren die Autor*innen an dieser Stelle bereits das äußerst bedenkliche Zusammenspiel innerhalb der bikephalen Exekutive – der Ernennung der Richter durch die Regierung wurde von Staatspräsident Duda ebenso wenig widersprochen, wie seitens der Parlamentsmehrheit, was ernsthafte Zweifel am Funktionieren einer gegenseitigen Gewaltenkontrolle nahelegen. Allerdings werden in Kapitel 5 („Exekutive“) auch Aussagen formuliert, die nicht nachvollziehbar sind und denen jeweils ein klarer Beleg fehlt: Auf Seite 80 heißt es beispielsweise weiter, im Zuge der Justizreformen habe das Verfassungsgericht „seine Funktion, vom Parlament verabschiedete Gesetzesvorhaben auf ihre Verfassungskonformität hin zu überprüfen“, verloren. Von einer derart drastischen Verfassungsänderung ist dagegen im Kapitel 6 (Rechtssystem) nichts Näheres zu lesen. Andererseits beklagen die Autor*innen zurecht, dass etwa das Urteil des EuGH bezüglich der sogenannten „Disziplinarkammern“ von der bisherigen polnischen Regierung ignoriert wurde (53). Auch wird aufgezeigt, dass nicht nur das Rechtssystem im Visier der PiS stand – so wurden die Regeln für mündliche Anfragen etwa so modifiziert, dass es künftig am Parlamentspräsidenten liegt, welche zugelassen werden, und welche nicht, was eine klare Schwächung der oppositionellen Kontrollmöglichkeiten darstellt (68). Aber auch, so die Verfasser, im Bereich der territorialen Selbstverwaltung ist eine „Tendenz in Richtung der Stärkung der Regierung“ festzustellen (131). Schließlich werde deutlich, wie sehr die PiS-Regierung auch versucht habe, die Zivilgesellschaft, etwa hinsichtlich der steuerlichen Begünstigung regierungsfreundlicher Medien und Interessenverbänden, in ihrem Sinne zu beeinflussen (140).

Insgesamt stellt das Buch für Leser*innen also etliche nützliche Informationen aus dem gesamten Bereich des politischen Systems bereit, auch wenn sich vergleichsweise wenig Neues finden lässt. Leider werden die Aussagen häufig nur sehr ungenau belegt, was für eine Publikation aus einer Reihe, die sich dezidiert an „angehende Wissenschaftler:innen“ richtet, besonders problematisch ist. So wird für konkrete Aussagen immer wieder auf ganze Monografien von mehreren 100 Seiten Umfang verwiesen, ohne dass die Seitenzahlen angegeben werden, auf denen diese Inhalte zu finden sind (siehe etwa 67, 91; für die Aussagen der Seiten 105 bis 110 finden sich keinerlei Quellenangaben). Oder aber es wird für eine Vielzahl verschiedenster Aussagen eine Quelle angegeben, die 160 Seiten umfasst (vgl. 84, 85). Das macht das Auffinden der genannten Ausführungen in den Quellen praktisch unmöglich und lässt eine Prüfung der Aussagen kaum zu. Die Möglichkeit der intersubjektiven Überprüfbarkeit von Aussagen ist aber ein Kernelement jeglichen wissenschaftlichen Arbeitens, was gerade angehenden Wissenschaftler*innen vermittelt werden muss. Wenn dies in Publikationen einer „Lehrbuchreihe für Studierende“ nicht oder nicht konsequent beachtet wird, ist das mehr als bedenklich.

 

CC-BY-NC-SA
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