/ 17.07.2013

Asit Datta
Armutszeugnis. Warum heute mehr Menschen hungern als vor 20 Jahren
München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2013 (dtv premium); 218 S.; kart., 14,90 €; ISBN 978-3-423-24983-6Der prozentuale Anteil der Weltbevölkerung, der an Hunger leidet, ist seit 1960 rückläufig, wie Asit Datta gleich zu Beginn seines Buches zeigt – von 37 auf 14,6 Prozent in 2011. Wegen der globalen Bevölkerungsentwicklung lautet die Kehrseite dieser Medaille: „In absoluten Zahlen hungern heute mehr Menschen als im Jahre 1990.“ (9) Der Autor entfaltet die Problematik von täglich etwa 25.000 Hungertoten auf zwei Ebenen. Neben einigen definitorischen Setzungen und Statistiken liegt der größere Fokus des Buches auf den Ursachen, ein kleinerer auf möglichen Lösungen für die Misere, die das Nichterreichen der UN‑Millenniumsziele bis 2015 darstellt. Insgesamt sieht Datta Handlungsbedarf auf vier verschiedenen Ebenen, um die globale Hungerproblematik doch noch in den Griff zu bekommen: „global, institutionell, staatlich und individuell“ (172). Auf globaler Ebene fordert er nichts weniger als einen Systemwechsel, weg von der Ideologie beständigen Wachstums, hin zu einer Welt, die sich der Endlichkeit einer Vielzahl der verfügbaren Ressourcen – und damit auch der Grenzen des Wachstums – bewusst ist. Institutionellen Handlungsbedarf sieht Datta insbesondere im Finanzsektor, wo er neben der erneuten Aufspaltung der Banken in Geschäfts‑ und Investmentbanken auch für ein Verbot von Spekulationen mit Lebensmitteln plädiert. Die Maßnahmen auf staatlicher und individueller Ebene sollen schließlich ineinandergreifen – insofern sie auf mehr Zivilgesellschaft und folglich auf mehr Beteiligung des Einzelnen an den politischen Belangen hinauslaufen. Zwar scheint die Forderung nach einer Grenzziehung gegenüber der gegenwärtig hegemonialen neoliberalen Ideologie – wie sie etwa auch in der Postdemokratie‑Debatte formuliert wird – nicht unplausibel, aber auch nicht zwingend und schon gar nicht hinreichend konkret. An dieser Stelle holt Dattas Kritik an der gegenwärtigen Politik das eigene Buch ein: Obschon konkreter Handlungsbedarf bestehe, werde nur abwartend, zögerlich und vor allem zu wenig konkret debattiert. Aber wo will man angesichts der Dimension globalen Hungers auch konkret anfangen? Richtig ist: Ohne einen radikalen Mentalitätswechsel in den entwickelten Ländern wird die Lage nicht besser, im Gegenteil. Und richtig ist auch: Hunger ist kein gegebener Umstand, sondern ein politisches Problem.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.45 | 4.43 | 3.6 | 4.3 | 4.44 | 2.67
Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Asit Datta: Armutszeugnis. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35968-armutszeugnis_43753, veröffentlicht am 17.07.2013.
Buch-Nr.: 43753
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Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
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