In der Diskussion über die gesellschaftliche Ungleichheit in Brasilien versuchen die hauptsächlich brasilianischen Sozial- und Kulturwissenschaftler mit dem Sammelband eine Sichtweise anzubieten, die eine Alternative sein soll zu der angeblich dominierenden These, Brasilien und andere Länder lägen quasi an der „Peripherie des Westens“: Die Zuschreibung eines vormodernen, personalisierten Charakters und eines Systems, das vor allem auf persönlichen Beziehungen aus Begünstigungen und Beschützen aufbaut, reichen nach Aussage der Herausgeber nicht aus, um die einzigartig hohe Ungleichheit einer komplexen Gesellschaft inmitten wirtschaftlicher Dynamik zu erklären. Doch wie kann soziale Ungleichheit in peripheren Gesellschaften erklärt werden, um nicht nur Brasilien, sondern „das Leben von etwa 80 % der Weltbevölkerung zu begreifen?“ (10) Mit Beiträgen von Historikern, Kultur- und Religionssoziologen, von Sozial- und Politikwissenschaftlern wollen die Autoren die westliche Perspektive der Leser auf Ansätze einer interdisziplinären Ungleichheitsforschung lenken. Dazu ist das Buch in zwei Blöcke gegliedert: Im ersten Teil wird vornehmlich die soziale Differenz betrachtet, er bietet zudem theoretisch Gegenvorschläge zur angeblichen „Vormodernität“ peripherer Gesellschaften, nennt historische und kulturelle Gründe für Ungleichheit und stellt diese anhand der zunehmenden Informalisierung von Arbeitsverhältnissen in Brasilien, aber auch der dortigen Bürgerbeteiligung über partizipative Haushalte dar. Im zweiten Teil steht die Religion im Mittelpunkt. Die Autoren verknüpfen soziale Ungleichheit mit religiöser Grundhaltung oder Rasse, veranschaulichen den heutigen Stellenwert magischer Glaubensinhalte einerseits, aber auch den Bedeutungsgewinn evangelikaler Kirchen andererseits.