Eva Walther / Simon D. Isemann (Hrsg.): Die AfD – psychologisch betrachtet
Eva Walther und Simon D. Isemann bieten mit Beiträgen verschiedener Autor*innen psychologische Erklärungsansätze an, wie sich die Wahlerfolge der AfD erklären lassen. Die Partei offeriere für drei Gruppen von psychologischen Bedürfnissen – Versorgung, Anerkennung, Vertrauen/Kontrolle – vermeintliche Lösungen, lautet eine Erkenntnis der Autor*innen. In ökonomischer Hinsicht ziele die AfD auf existenzielle Bedrohungsgefühle und materielle Abstiegsangst. Nach Meinung der Rezensentin werde eine gelungene Synthese von Erkenntnissen aus Populismusforschung und Psychologie geboten.
Eva Walther und Simon D. Isemann bieten mit Beiträgen verschiedener Autor*innen psychologische Erklärungsansätze an, warum die AfD trotz ihrer bislang objektiv geringen politischen Einflussmöglichkeiten und einer wenig ausgearbeiteten Programmatik so erfolgreich ist.
Ihre Kernhypothese lautet, dass sich der Wahlerfolg der AfD anhand dreier psychologischer Konfliktlinien analysieren lässt: Ökonomie, Identität sowie Vorhersagbarkeit und Kontrolle. Dem lägen basale menschliche Bedürfnisse zugrunde, wie Versorgung, Wertschätzung und Vertrauen, die in der aktuellen gesellschaftlichen Situation subjektiv depriviert würden und auf die die AfD – wie keine andere Partei sonst – eine vermeintliche Resonanz biete. Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Bedürfnisse sei entscheidend, dass sie sich keineswegs abstellen oder aufheben lassen. Menschen werden stets Wege suchen, sich zu versorgen und Kontrolle, individuelle Bedeutung und Anerkennung zu erlangen. Um die psychologische Wirkungsweise der AfD zu verstehen, gelte es daher zu betrachten, welche menschlichen Bedürfnisse diese Partei anspricht. Um dies zu untermauern, werden zunächst zentrale psychologische Grundbedürfnisse vorgestellt.
Die Terror-Management-Theorie erhellt, welchen Einfluss die Wahrnehmung existenzieller Bedrohung auf das Erleben und Verhalten des Einzelnen hat. Aus dieser Perspektive vermitteln die Betonung und die Verteidigung kultureller Werte als eine Ansammlung von Annahmen über die Welt ein geordnetes, beständiges und bedeutungsvolles Bild der Realität, das beruhigt. Dies bietet Schutz gegen existenzielle Bedrohung. Je größer die subjektiv erlebte existenzielle Bedrohung, desto stärker ist das Bedürfnis nach ordnungs- und bedeutungsvermittelnden kulturellen Werten und Normen sowie deren Verteidigung. So kann die Sorge um die eigene Existenz tendenziell zu einer konservativen Haltung und zur Verteidigung des Althergebrachten führen.
Auf der nächsten Stufe der Bedürfnishierarchie befinden sich daher Sicherheits- und Kontrollbedürfnisse, die viele kognitive Prozesse mit dem Ziel steuern, in einer vorhersagbaren und kontrollierbaren Umgebung zu leben.
Die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse beleuchtet einen dieser kognitiven Prozesse näher, denn durch sozialen Vergleich mit anderen überprüfen und korrigieren Individuen Auffassungen, Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen bezüglich der Realität, in der sie leben. In neuen Situationen neigten Menschen dazu, sich im Hinblick auf das adäquate Verhalten unsicher zu fühlen, sodass die Feststellung dessen, was normal und damit akzeptabel sei, durch den Vergleich mit dem Verhalten anderer erfolge. Diese Theorie verdeutlicht, dass der Einfluss anderer Personen mit dem Ausmaß an subjektiv empfundener Unsicherheit steigt, sodass erfolgreiches politisches Marketing diese nutzen kann: Man schürt Unsicherheit und offeriert dann im Nachgang Befriedigung des Bedürfnisses nach Sicherheit. Menschen vergleichen ihre Realitätswahrnehmung mit anderen Menschen, um Unsicherheit zu reduzieren. Durch die galoppierende Ausweitung von sprachlichen Normen innerhalb der Rhetorik der AfD als einer neuen, quasi rechtsgerichteten Normalität könne das, was zuvor als radikal betrachtet wurde, nun eine scheinbare subjektive Legitimität für rechte Inhalte herstellen. Es werde dann das als Normalität erachtet, worauf andere nicht mehr mit Empörung reagierten. Rechte Inhalte können so die Anschlussfähigkeit zur Normalität erlangen.
Angebote der AfD bezüglich der ökonomischen Konfliktlinie zielten darauf aufbauend auf existenzielle Bedrohungsgefühle und materielle Abstiegsangst. Tiefergehende Wünsche nach einem versorgenden ‚Vater Staat‘ werden nach Ansicht der Autor*innen in neoliberal geprägten Gesellschaftsordnungen zunehmend frustriert. Und hier punkteten Rechtspopulisten besonders bei denen, die noch etwas zu verlieren haben. Durch restriktive Vorschläge zur Migrationspolitik würden insbesondere Menschen erreicht, die sich – berechtigt oder nicht – materiell bedroht fühlten: Wo keiner mehr ins Land komme, würde niemandem mehr etwas weggenommen. Das Outsourcing negativer Gefühle durch Projektion auf andere Gruppen ist in der psychoanalytischen Praxis belegt und als besonders gefährliche Form emotionaler Selbstregulation bekannt, da das Böse als konstante Bedrohung von außen weiter bestehen bleibe. Die Abschottungspolitik der AfD mit dem Versprechen, das Fremde draußen zu halten, wirke folglich für viele Menschen beruhigend.
Daneben gäbe es auch elementare Bedürfnisse, die mit dem eigenen Selbst verbunden seien, da Personen stets eine positive soziale Identität anstrebten. Konflikte der Identitätslinie entstünden durch Gefühle der Abwertung und des Statusverlustes. Psychologisch speist sich der Selbstwert des Individuums einerseits aus der Wertschätzung, die es durch seine Lebensumstände erfährt und andererseits aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Eigengruppen oder Ingroups. Nach der Sozialen Identitätstheorie (SIT) segmentieren Menschen ihre soziale Umwelt über verfügbare soziale Merkmale, wie zum Beispiel Geschlecht, Alter oder Ethnizität. In diesem Prozess der sozialen Kategorisierung werde Zugehörigkeit zum Selbstkonzept, was die Identität der Person bestimmen kann. Über den sozialen Vergleich erfolge eine stetige Neubewertung dieser Identität. Das grundliegende Bedürfnis nach einem positiven Selbstwert zeige sich somit insbesondere in der Bedeutung der Chancengleichheit in Gesellschaften. Die Inhalte des AfD-Parteiprogramms regten dabei zu sozialen Vergleichen zwischen Bevölkerungsgruppen, Parteien oder den eigenen Sympathisierenden an.
Damit verbundene verletzte Bedürfnisse seien zudem die Vorhersagbarkeit und das Vertrauen, besonders in die Medien und in die Politik. Auch das Gefühl, etwas bewirken zu können, das heißt Kontrolle zu haben, sei hier angesiedelt. Diese Konfliktlinie spräche daher besonders Enttäuschte und Nichtwähler an und ist nach Ansicht der Autor*innen durch einen Mangel an Transparenz und ein Legitimationsdefizit der Politik, wie es zum Beispiel im Hinblick auf die Europäischen Institutionen bestünde, entstanden. Nach Walther und Isemann führt politische Unzufriedenheit nur dann zu gesellschaftlichem Engagement, wenn das Zutrauen existiere, dass die Probleme von (und mit) der Politik gelöst werden können. Sei dieses Vertrauen jedoch verloren gegangen, zögen sich die Bürger entweder zurück oder strebten neue Wege der Problemlösung an.
Tatsächlich hebe sich die heterogene AfD-Wählerschaft bezüglich ihrer Bedürfnisse von anderen Wählergruppen ab, wo soziale Abstiegsängste durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder steigende Mieten sowie subjektiv erlebte Statusverluste durch die Liberalisierung der Gesellschaft oder gefühlte mangelnde Anerkennung von Lebensleistungen nunmehr ein erhöhtes Bedürfnis nach Selbstaufwertung und Selbstwirksamkeit weckten. Die AfD fache diese Bedürfnisse an und greife sie mit bekannten Mitteln auf: Prügelknaben wie politische Eliten oder Geflüchtete erlaubten dann die Projektion eigener Ängste auf konkrete Zielobjekte. Dies suggeriere angesichts anderer Probleme wie Klimawandel oder Digitalisierung endlich direkte Beeinflussbarkeit. Damit schweiße die AfD Menschen zusammen und mache Angebote zur selbstinszenierten Heroisierung. Begriffe wie Umvolkung oder Gender-Ideologie delegitimieren zugleich die aktuelle Politik, stellten den Rechtsstaat infrage und definierten ihn zum politischen Gegner um. Begriffe wie Gesinnungsterroristen oder Parasiten dämonisieren politisch Andersdenkende und legitimierten schließlich extreme Mittel. Nach der Quest for Significance-Theorie zeigt die Partei zuerst einen vermeintlichen Bedeutsamkeitsverlust der AfD-Sympathisierenden auf, um dann als Lösung für einen Bedeutsamkeitsgewinn die Wahl der AfD zu empfehlen. Es werde eine relative Deprivation als psychologischer Hebel betätigt, um das Recht auf einen Ausgleich von etwaigen Missständen zu beschreiben, den nur die AfD gewährleisten könne.
Politische Ziele können für die Autor*innen folglich im Radikalisierungsprozess gezielt psychologisch eingesetzt werden, um Selbstaufwertung und innere Bindung an die Partei zu generieren: Diesbezüglich werden Parallelen zwischen den Dynamiken extremistischer Gruppen und der Entwicklung der AfD sowie ihrer Wählerschaft eruiert, da sich hier ein immer stärker nachlassendes Vertrauen der Bürger zum politischen und gesellschaftlichen System Bundesrepublik Deutschland als zentrales Element offenbare. Wie durch das Loyalitätsmodell der Radikalisierung postuliert, zeichne sich hierdurch die Umdeutung des zuvor Versorgung und Sicherheit gewährenden politischen Systems zum vermeintlichen Problemfall Bundesrepublik Deutschland ab.
Schließlich lautet daher ein Fazit des Buches, dass sich unter Berücksichtigung der aktuellen Radikalisierungsforschung Hinweise für eine Radikalisierung der AfD selbst und eine entsprechende Ausstrahlung auf ihre heterogene Wählerschaft verdichten. Dabei grenzen sich die Autor*innen dezidiert davon ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht zu stellen. Würden nämlich Individuen oder Gruppen diffamiert und damit der gesellschaftlichen Wertschätzung entzogen, fingen andere Gruppen die Betroffenen auf und böten Möglichkeiten zur positiven Selbstevaluation, wobei auch die hierdurch erlebte Selbstwirksamkeit bedeutsam ist. Daher erweisen sich harte Antagonismen und die Polarisierung für extremistische Gruppen als überlebensnotwendig, wo sie Krisen aufgriffen beziehungsweise konstruierten, nachfolgend dramatisierten und als Ungerechtigkeit anprangerten.
Diese beunruhigende Progression stellt indes kein unabwendbares Ereignis dar, sondern einen Prozess. Und als solcher kann er letztendlich innerhalb eines politischen Systems nur disruptiv in der Relation zu etwas wirken: Daher stellen sich die Autor*innen der Aufgabe, ökonomische, soziale und psychologische Problemkontexte zu skizzieren und gemäß der eigenen theoretischen Perspektive einzuordnen, mit denen sich immer größere Teile der Bevölkerung konfrontiert sehen und die rechten Parteien in die Hände spielen: Wie hier versucht wurde darzulegen, könnte die AfD auch deshalb so erfolgreich sein, weil sie gezielt für drei Gruppen von psychologischen Bedürfnissen – Versorgung, Anerkennung, Vertrauen/Kontrolle – vermeintliche Lösungen offeriert. Diese subjektive, psychologische Perspektive sei trotz ihrer Bedeutsamkeit für die Politik nach Ansicht der Autor*innen bisher kaum beachtet und empirisch weniger gut analysiert worden. Weiterführende Ansätze lassen sich diesbezüglich in Arbeiten zur securization theory und zu dem aus der politischen Psychologie stammenden Konzept der ontological security in englischsprachiger Fachliteratur finden. All dem ist gemeinsam, dass hierdurch Analysekategorien dafür erschlossen werden, wie die AfD in ihrem Wahlprogramm die psychologischen Bedürfnisse von konservativen Wählern anspricht, indem sich die Partei als Garantin für Sicherheit und Kontinuität präsentiert. Dies überzeugt in theoretischer Hinsicht dahingehend, dass der Erfolg der Partei auch auf der effektiven Ausnutzung grundlegender psychologischer Bedürfnisse fußt. Den dahinterstehenden populistisch genutzten Mechanismen, so ein weiteres Fazit des Buches, gelte es mit entsprechendem Wissen über deren Beschaffenheit und Funktionsweise folglich in Workshops mit Aufklärungsarbeit zu begegnen.
Dabei präsentieren die Autor*innen der jeweiligen Themenschwerpunkte in ihren vielfältigen Beiträgen wiederholt eine gelungene Synthese von Erkenntnissen aus Populismusforschung und Psychologie. Die unter der sozialpsychologisch-theoretischen Klammer zusammengetragene Vielfalt der Methoden, die in den einzelnen Beiträgen angewendet werden, erweitern die Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand erheblich. Hervorzuheben ist zum Beispiel der stark empirisch unterfütterte Beitrag zur Sprache der AfD: Bei der psychologischen Analyse von Sprache als politischem Instrument lassen sich mithilfe des Linguistik Category Model (LCM) unter anderem unbewusste Attributions- und Bewertungsmuster aufdecken, die durch Sprache ausgedrückt werden können.
Die Autor*innen liefern folglich mannigfache Möglichkeiten, das dargestellte Phänomen weiter zu erforschen und dabei bereits Bekanntes aus einer neuen Perspektive mit Erkenntnisgewinn zu betrachten.
Außen- und Sicherheitspolitik
Rezensionen
{Bid=40963}Wer hat noch nicht? Wer will nochmal? Die Alternative für Deutschland (AfD) ist aktuell ein beliebtes Untersuchungsthema der deutschen Politikwissenschaft. Dass trotz mannigfaltiger Veröffentlichungen nach wie vor sehr empfehlenswerte Schriften über die Partei erscheinen und – auch für jene, die sich bereits intensiver mit der Partei befasst haben – neue Erkenntnisse bieten können, zeigt der Sammelband von Wolfgang Schroeder und Bernhard Weßels. Darin schreiben 14 Autoren in zehn thematischen Kapiteln zu Wählerschaft, Kandidaten, Programmatik und parlamentarischer Arbeit der AfD.
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{Bid=40964}Im Nachgang der Bundestagswahl 2017 waren die Anschuldigungen gegenüber den Medienvertretern groß. Das gute Wahlergebnis der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) wurde von Seiten einiger Politiker nicht zuletzt mit der vermeintlich hohen medialen Beachtung für Personen und Themen der Rechtspopulisten begründet. Ähnlich hat es Martina Bauer beobachtet, die sich diese Debatte im Herbst des Jahres 2017 zum Anlass genommen hat, in ihrer Masterarbeit eine fallbezogene Untersuchung des Zusammenspiels von „medialer Logik“ und „populistischer Logik“ vorzunehmen.
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