/ 18.06.2013
Gregor Thum
Die fremde Stadt. Breslau 1945
Berlin: Siedler Verlag 2003; 640 S.; Ln., 29,90 €; ISBN 3-88680-795-9Breslau sei eine der Städte, an denen sich das ganze Drama Europas im 20. Jahrhundert erfahren lassen, schreibt Thum, der in Pittsburgh Geschichte lehrt. Nationalismus, Antisemitismus, Zerstörungswut im Zweiten Weltkrieg, Ermordung der europäischen Juden, Verschiebung der Staatsgrenzen in Mitteleuropa, Zwangsumsiedlungen und der Kalte Krieg - dies alles gehöre zur Geschichte der Stadt. Die unmittelbaren und langfristigen Konsequenzen des vollständigen Bevölkerungsaustausches, der 1945 in Breslau zwangsweise stattfand, stehen im Mittelpunkt dieser eindrucksvollen Analyse, die die Stadtgeschichte, die Geschichte der Vertreibungen im 20. Jahrhundert und Forschungen zum kollektiven Gedächtnis zusammenführt. Thum beschreibt die Schwierigkeiten, eine neue polnische Verwaltung zu organisieren, und den Wiederaufbau der Stadt. Viele Gebäude seien zwar nach historischem Vorbild rekonstruiert worden, gleichzeitig aber habe man versucht, die deutsche Vergangenheit zu vergessen. Der Bruch des Jahres 1945 sei lange nicht mental verarbeitet worden, so Thum, der Breslau als eine Stadt ohne Gedächtnis bezeichnet. Ein Wandel sei erst in jüngster Vergangenheit zu beobachten: Mit der Wende von 1989 und der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grenzvertrages sei das mentale Hindernis für die kulturelle Aneignung der Westgebiete beseitigt worden, die Breslauer entdeckten ihre Stadtgeschichte neu. 1990 sei sogar das alte habsburgische Stadtwappen wieder eingeführt worden.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.62 | 2.23 | 2.25 | 4.42
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Gregor Thum: Die fremde Stadt. Berlin: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/19701-die-fremde-stadt_22933, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 22933
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Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
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