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Rezension / 22.04.2021

Maik Fielitz / Holger Marcks: Digitaler Faschismus: Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus

Berlin, Dudenverlag 2020

Maik Fielitz und Holger Marcks eruieren die Struktur des Neuen Rechtsextremismus aus medial-organisatorischer Perspektive. Dabei diskutieren sie unter anderem den Faschismusbegriff in zunehmend digitalisierten Gesellschaften der Gegenwart und untersuchen die Rolle der sozialen Medien für rechtsextreme Tendenzen in Deutschland, den USA oder in Großbritannien. Beide Autoren plädieren mit ihrer sozialtheoretisch-psychologisch kenntnisreichen sowie durch Handlungsmaßnahmen angereicherten Analyse leidenschaftlich für den Fortbestand der Demokratie – allen Anfeindungen im Netz zum Trotz.

Der Konfliktforscher Maik Fielitz und der Sozialwissenschaftler Holger Marcks widmen sich in ihrem gemeinsamen Werk der drängenden Frage, wie der Rechtsextremismus heute insbesondere aus medialer und organisatorischer Perspektive strukturiert ist. Denn die sozialen Medien, so lautet die Kernthese, wirken als Motor des Rechtsextremismus in Deutschland und weiteren Ländern wie den USA und Großbritannien, die teilweise mit in den Blick genommen werden. Dabei diskutieren die Autoren die zentrale Frage, inwiefern der Faschismusbegriff auf rechtsextreme Bewegungen heute noch angewandt werden kann und welche Veränderungen er durch die Digitalisierung der Gesellschaft erfährt. Ihr elaboriertes sowie klar strukturiertes Werk bietet einen kompakten und nachvollziehbaren Überblick darüber, welche enorme Rolle den sozialen Medien in der Ausprägung und Wirkung rechtsextremer Tendenzen zukommt.


Bereits in der Einleitung wird eingängig aufgezeigt, wie nach Ansicht der Autoren die moderne Demokratie von der extremen Rechten mittels eines völkischen Verständnisses der Nation angegriffen wird. In den nachfolgenden Kapiteln wird ausführlich dargelegt, welche neuen Dynamiken der Kommunikation und Mobilisation dabei durch die sozialen Medien entfacht und wie sie von Rechtsextremen zur Verbreitung ihrer Ansichten genutzt werden. Die mit dem Aufkommen neuer Medien noch überwiegend positiv bewertete Massenzugänglichkeit verkehre sich demnach in Kombination mit den neuen Interaktionsmöglichkeiten sozialer Medien ins Negative. Für diese Entwicklungen nutzen Fielitz und Marcks den Begriff des digitalen Faschismus, welchen sie durch Problematisierung für ihre Analyse nutzbar machen. Sie betonen, dass es sich weniger um eine klar definierte Ideologie handele als um ein „Denkmuster, das sich in Rhetorik und Praxis seiner Akteure zeigt“ (20).


Mit Einführung dieser neuen Kategorie gelingt es Fielitz und Marcks eindrücklich zu zeigen, wie das Konstruieren und Verbreiten eines spezifisch rechtsextremen Narrativs des nationalen Untergangsmythos qua sozialer Medien funktioniert. Hier zeigt sich, dass der Titel des Buches insgesamt überzeugend eingelöst wird. Allerdings bleibt das Werk ein Stück weit bei dieser Einordnung rechtsextremer Tendenzen stehen. Neben der Nennung offensichtlicher Akteure wie beispielsweise der Alternative für Deutschland sowie der Identitären Bewegung wird nicht weiter beleuchtet, welche Gruppierungen dem noch zuzuordnen wären.


In Bezugnahme auf diverse Sozialtheorien wie auch psychologische Begriffe, die ihren Einzug in die Medientheorie gefunden haben, wird die Symbiose aus Medienfunktionsweisen und rechtsextremen Manipulationstechniken konkret und konsequent durchdacht. Darüber hinaus wird auch in den Blick genommen, wie genau sich politische Kräfteverhältnisse durch diese medialen Praktiken und ausgeklügelten Systeme der Mediennutzung verschieben. Anhand dessen wird deutlich, wie die digitalen Ausprägungen und Strukturen rechtsextremer Netzwerke zu tatsächlicher Radikalisierung, Gewaltbereitschaft und somit auch zu Gewalttaten führen. Die von Fielitz und Marcks skizzierten Folgen in Bezug auf soziale Kommunikation und kollektives Verhalten lassen sich dabei grundlegend in der Auflösung einer relativ homogenen politischen Kultur zusammenfassen.


Mit den dargelegten Praktiken wird eine zunehmende Fragmentierung der Öffentlichkeit sowie die Entstehung von Teil- oder auch Gegenöffentlichkeiten geschildert, die es Rechtsextremen ermöglichen, eigene Netzwerke und Resonanzräume zu bilden, in denen sich die Wahrnehmung der Welt für die Beteiligten erheblich verändern kann. In modernen Demokratien wurde die Regulation von Massenmanipulation durch das Presserecht sowie journalistische Standards der Informationsdistribution etabliert, welche an die Medien als Vermittler zwischen Politik und Bürger*innen gestellt wurden. Aufgrund der technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen könnten diese Mechanismen nun mittels sozialer Medien ausgehebelt werden. Waren diese lange begrenzt, scheint es nun schier unendliche Funktionen der sozialen Medien zu geben, welche die je nach Kontext changierende Erzählung einer von vermeintlich Fremden oder inneren Feinden bedrohten Nation verbreiten können.


Dabei zeigen die Autoren ebenso deutlich auf, dass diese Praktiken keinesfalls reine Zufallsprodukte aufgrund der technologischen Möglichkeiten seien, sondern in gewissem Maße von Akteuren und von durch sie angesprochenen Adressaten in eine Art Massenphänomen gesteuert und ausgedehnt würden. Soziale Medien erweisen sich daher als äußert günstig für Rechtsextremisten, um demokratiefeindliche Haltungen zu verbreiten. Besonders fatal und zugleich kennzeichnend für den digitalen Faschismus sei dabei der Aspekt der Fluidität: Verantwortlichkeiten, auch für daraus resultierende reale Taten, lösten sich netzwerkübergreifend auf.


In seiner überzeugenden Argumentation mangelt es dem Werk einzig an konkreter statistischer Evidenz über die medialen Aktivitäten, die die beschriebenen Entwicklungen zusätzlich untermauern würde. An einigen Stellen wäre darüber hinaus eine ausführlichere Darstellung der angeführten Konzepte für ein tieferes Verständnis erhellend, so zum Beispiel der Aspekt der (nationalen) Identitätskonstruktion. Mehrfach wird dieser im Zusammenhang mit konkurrierenden Lebensentwürfen, deren Vervielfältigung und Einflussnahme durch soziale Medien aufgegriffen, allerdings bleiben weitere theoretische Implikationen unerschlossen, die sich als fruchtbar für die hier vorgenommene Analyse hätten erweisen können. So wäre auch eine tiefergehende Ergründung der Rolle des Neoliberalismus für die Dynamiken rechtsextremer Netzwerke und Medienpraktiken eine wertvolle Ergänzung. Denn der Neoliberalismus verhalte sich der „Falschheit seiner Behauptungen“ (116) gegenüber gleichgültig und spiele damit dem Muster faschistischer Logik in die Karten.


Abschließend wird die Frage diskutiert, welche Auswege es aus dem um sich greifenden digitalen Faschismus geben kann und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Dabei gehen die Autoren auf verschiedene Möglichkeiten auf immanenter, externer und interner Handlungsebene ein und zeigen ein ganzes Spektrum an Konfliktpotenzial und Dilemmata des digitalen Antifaschismus auf. So wird unter anderem diskutiert, inwiefern sich Technologie-Konzerne selbst in die Pflicht nehmen können und sollen in Bezug auf die Verantwortung für die auf ihren Plattformen verbreiteten Inhalte. Politisches Eingreifen mit angemessener Vorsicht scheint für die Autoren unabdingbar. Sie schlagen eine Aktualisierung der Demokratie im Sinne eines „digitalen Gesellschaftsvertrag[s]“ (240) vor, insbesondere im Hinblick auf ihr Verhältnis zu sozialen Medien. Wie dies jedoch in absehbarer Zeit tatsächlich praktisch umsetzbar wäre, bleibt offen. Die hier präsentierten Lösungsansätze erscheinen demnach teilweise fraglich in Bezug auf ihre Effektivität. Fielitz und Marcks schließen ihr lesenswertes Werk, basierend auf ihrer umfassenden Analyse und präzisen Argumentation, dabei als leidenschaftliches Plädoyer für die Demokratie.

 

CC-BY-NC-SA
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