Skip to main content
/ 17.06.2013
Stefan Zimmer

Jenseits von Arbeit und Kapital? Unternehmerverbände und Gewerkschaften im Zeitalter der Globalisierung

Opladen: Leske + Budrich 2002 (Forschung Soziologie 153); 231 S.; kart., 24,80 €; ISBN 3-8100-3374-X
Das deutsche System der industriellen Beziehungen ist seit den Neunzigerjahren heftig in Bewegung. Verbandsflucht und Mitgliederschwund setzen Unternehmerverbände wie Gewerkschaften unter Druck. Zimmer identifiziert "die ökonomische Globalisierung, die Tertiarisierung des Beschäftigungssystems und die sozioökonomischen Folgeprobleme der deutschen Wiedervereinigung" (13) als primäre Ursachen der Krise. Die Konsequenzen des Prozesses sind ein Absinken der Organisationsgrade der kollektiven Akteure, eine Destabilisierung der Arbeitsmarktinstitutionen, Funktionsstörungen des politischen Tausches und eine Heterogenisierung der Klientelinteressen. Wenngleich sich die Lasten der deutschen Vereinigung und die Ausbreitung des Dienstleistungssektors empirisch nachweisen lassen, ist dies bei der ökonomischen Internationalisierung komplizierter. Inwiefern die Globalisierungsfolgen die Verhandlungsmacht der Verbände und Gewerkschaften einschränken, ist angesichts einer lückenhaften Datenlage umstritten. Dennoch, so die Einschätzung Zimmers, beeinflusst der globale Strukturwandel die subjektiven Wahrnehmungen der kollektiven Akteure. Mit dem Titel seiner wissenschaftlich soliden Arbeit unterstreicht der junge Autor verschiedene Lesarten der neuen Situation industrieller Beziehungen: Seit einigen Jahren sind die Gewerkschaften und Unternehmerverbände mit den globalen Problemlagen konfrontiert, die zumindest den Grundkonflikt zwischen Arbeit und Kapital überlagern. Innerhalb der Tarifparteien zeichnet sich ein interessenpolitischer Bruch ab. Einige Akteure sind an der Abschaffung des institutionellen Rahmens industrieller Beziehungen interessiert, andere wollen ihn bewahren. Die Abwehrstrategien der beiden Akteure sind ähnlich: Fusionen zur internen Kostensenkung und zur Nutzung von Synergieeffekten. Neue gestalterische Möglichkeiten der Tarifparteien erkennt Zimmer in der funktionalen Erweiterung klassischer interessenpolitischer Handlungsfelder in Form von privaten Serviceleistungen und in der transnationalen Expansion des kollektiven Handelns. Innerhalb der klassischen Handlungsfelder ist die Wirkung der internationalen Ausweitung zurzeit eher bescheiden, wie Zimmer am Beispiel der Europäisierung industrieller Beziehungen verdeutlicht. Doch vor allem in solchen Politikfeldern, die nicht unmittelbar durch den Arbeit-Kapital-Konflikt geprägt sind, können die Tarifparteien Punkte sammeln. "Gewerkschaften und Unternehmerverbände erschließen sich vielversprechende Handlungsbereiche in einer globalisierten Welt, indem sie regulative Kollektivgüter wie Umweltschutz, Arbeitssicherheit, Qualitätskontrolle sowie Produktions- und Vertriebsethik herstellen." (214) In Zimmers Betrachtungsweise sind die kollektiven Akteure durchaus keine Globalisierungsverlierer. Vielmehr erkennen die Unternehmerverbände und Gewerkschaften im Zeitalter der Globalisierung eine "Bedeutungsverschiebung ihrer Einflussmöglichkeiten" (214) und sind auf dem Weg nach neuen Handlungsoptionen jenseits von Kapital und Arbeit.
Wilhelm Johann Siemers (SIE)
Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
Rubrizierung: 2.3314.432.3423.4 Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Johann Siemers, Rezension zu: Stefan Zimmer: Jenseits von Arbeit und Kapital? Opladen: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/16606-jenseits-von-arbeit-und-kapital_19072, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 19072 Rezension drucken
CC-BY-NC-SA
Neueste Beiträge aus
Außen- und Sicherheitspolitik