/ 21.06.2013
Amalia van Gent
Leben auf Bruchlinien. Die Türkei auf der Suche nach sich selbst
Zürich: Rotpunktverlag 2008; 314 S.; brosch., 24,- €; ISBN 978-3-85869-377-8Die Autorin versammelt im dem Band ihre journalistischen Erfahrungen der letzten drei Jahrzehnte über die sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in der Türkei. Sie fragt, wohin es diesen Staat ziehen wird, nach Westen, auf die Europäische Union zu oder nach Osten, zu einem konservativ islamischen Staat mit boomender Wirtschaft. Die Hintergründe dieser entscheidenden Entwicklungen versucht van Gent an den inneren Bruchlinien der Türkei aufzuzeigen. So erweisen sich die Islamisten der AKP als pro-europäisch, die kemalistischen Militärs hingegen als durchaus zurückhaltender. Zudem macht die Autorin eine neue Entwicklung aus. Es werden beispielsweise anatolische Traditionen in der Musik neu entdeckt, sodass es zunehmend insbesondere in Istanbul zu einer anderen Identitätsbildung in offensiver Auseinandersetzung mit dem Staat und der kemalistischen Staatsdoktrin selbst kommt. „Nach 2005 stockten die Demokratisierungsreformen genauso unerwartet, wie sie eingesetzt hatten“ (18), hält die Autorin skeptisch fest und sieht auch die Möglichkeit, „dass das Land in die ethno-türkische Staatsräson des 20. Jahrhunderts zurückfällt“ (19). In diesem Kontext verortet van Gent auch den Prozess einer schleichenden Islamisierung des Landes: „Eine Untersuchung […] hat 2006 ergeben, dass sich die Zahl der Bürger, die sich als „sehr religiös“, bezeichnen, zwischen 2000 und 2006 von 6 auf 12,8 Prozent mehr als verdoppelt hat“ (130). Stellt man diesen Tendenzen die Reformerfolge der letzten Jahre gegenüber, zeigen sich die Bruchlinien, die dem Band seinen Titel geben. Van Gent hält zum Einfluss der Perspektive einer Aufnahme in die EU und zur Entwicklung in der Türkei fest: „Die von der EU inspirierten Reformen haben die Türkei liberalisiert […]. Zugleich wurde das Land aber auch viel islamischer […]. Und der Gebetsruf des Muezzins ertönt jetzt lauter, schriller, oftmals aber auch imposanter als zuvor“ (290).
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.63 | 2.2 | 2.22 | 2.23 | 2.25 | 2.27 | 4.42
Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Amalia van Gent: Leben auf Bruchlinien. Zürich: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/29890-leben-auf-bruchlinien_35412, veröffentlicht am 20.01.2009.
Buch-Nr.: 35412
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Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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