SIRIUS Heft 3/2019 ist erschienen.
Verstehen wir Russland richtig und inwieweit entspricht das Bild, das wir von Russland haben, der Realität? Dieser Fragenkomplex bildet einen Schwerpunkt von Heft 3 der Zeitschrift SIRIUS, das kürzlich online erschienen ist. Analysen zur Lage im Jemen stellen einen zweiten Schwerpunkt dar. Weitere Themen sind die Krise westlicher Demokratien, die Herausforderungen durch China, Fragen des humanitären Völkerrechts und anderes mehr. Einen Überblick über das gesamte Heft bietet das Editorial, das wir hiermit vorstellen. Auch aus dieser Ausgabe sind einige Beiträge online frei erhältlich.
Das vorliegende Heft hat als Schwerpunkt die Frage, ob und wie wir Russland richtig verstehen. Diese Frage wird vor allem in politischen Redebeiträgen und Diskussionen immer wieder aufgeworfen, zuletzt durch die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, aber auch immer wieder durch Vertreter der Wirtschaft. Und es gibt auch Beiträge von Sachbuchautoren und führenden Sozialdemokraten, die die Frage nahelegen, ob unser Russlandbild der Realität entspricht ober nicht. Heft 3 beginnt mit einer kritischen Würdigung der zentralen Argumente der Vertreter der Denkrichtung, der zufolge der derzeitige Konflikt mit Russland hauptsächlich durch falsches Denken auf unserer Seite und mangelndes Verständnis für legitime Anliegen Russland verursacht sei. Der Artikel gelangt zu dem Ergebnis, dass die meisten Argumente der „Russlandversteher“ einer kritischen Prüfung nicht standhalten und in der wissenschaftlichen Diskussion weitgehend verworfen werden. Das vorliegende Heft befasst sich in zwei weiteren Beiträgen mit der Thematik, allerdings unter ganz anderen Gesichtspunkten. Der Beitrag von Dave Johnson, einem der besten Kenner des russischen Militärdenkens, vermittelt einen Einblick in die Entwicklung des militärstrategischen Denkens unter dem Chef des Generalstabs Valerij Gerasimov. Er zeigt auf, wie wichtig es ist, diese Gedankenwelt zu reflektieren und ernst zu nehmen – allerdings mit ganz anderen Ergebnissen als es die „Russlandversteher“ bei uns nahelegen. Ein weiterer Beitrag zum Verständnis des sicherheitspolitischen Denkens in Russland ist von einem pensionierten russischen General, der im Rahmen eines Projektes der Carnegie Stiftung in Moskau darüber nachdenkt, welche Herausforderungen im Bereich nuklearstrategischer Stabilität bestehen. Dieser Beitrag ist – trotz bestehender Rivalität zwischen den USA und Russland – damit befasst, gemeinsame Interessen an strategischer Stabilität auszuleuchten und Empfehlungen auszusprechen. Er lässt erkennen, dass es jenseits der Propagandamaschine sehr lohnenswerte intellektuelle Beiträge aus Russland gibt. In den Kurzbesprechungen der Studien internationaler Thinktanks nimmt die Politik Russlands ebenfalls einen großen Raum ein.
Ein weiterer Schwerpunkt des Heftes ist die Lage im Jemen. Die verschiedenen Kriege im Jemen werden in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend durch das Prisma der damit verbundenen humanitären Notlage und durch die Verquickung mit der emotional aufgeladenen Debatte über deutsche Rüstungsexporte wahrgenommen. So entsteht ein Bild, demzufolge im Jemen Krieg hauptsächlich mit deutschen Waffen gekämpft wird und demnach die Bundesregierung immer noch im großem Umfang Waffen an die Kriegsbeteiligten liefert. In den drei Beiträgen bekannter internationaler Experten wird ein differenziertes, wenngleich nicht optimistisch stimmendes Bild der dortigen Lage gegeben. Helen Lackner fragt nach den Ursachen dafür, dass die internationale arabische Koalition bislang so wenig erfolgreich war. Sama’a Al-Hamdani befasst sich mit den Huthis und Gregory D. Johnsen gibt eine kritische Würdigung der bisherigen Anstrengungen zu einer politischen Beilegung der Kriege im Jemen. Unter den Kurzbesprechungen internationaler Thinktankstudien wird das Thema Jemen ebenfalls behandelt.
Im weiteren Sinne mit dem Nahen Osten befasst sich die Analyse von Tomisha Bino zu dem von der Trump-Administration initiierten Projekt einer strategischen Allianz im Nahen Osten. Die Verfasserin gelangt zu dem Ergebnis, dass dieses Projekt kaum durchdacht und in sich widersprüchlich ist und wenig Aussichten auf Erfolg hat. Außerdem werden unter den Kurzbesprechungen mehrere Studien zur Lage im Nahen Osten behandelt.
In eine ganz andere Region führt der Beitrag von Julian Pawlak und Jeremy Stöhs, die sich mit den maritimen Herausforderungen für die NATO im Nordatlantik befassen. In ihrer Analyse zeichnen sie die neuen Herausforderungen auf, die sich vor allem durch gesteigerte maritime Aktivitäten Russlands im Nordatlantik ergeben. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass weitgehende Anpassungsprozesse bei den Seestreitkräften der NATO vorzunehmen sind. Auch unter den Buchbesprechungen wird das Thema maritime Strategie aufgegriffen.
Andere Themen, die im Rahmen von Buchbesprechungen und Besprechungen von Thinktankstudien angesprochen werden, sind die Krise westlicher Demokratien, die Herausforderung durch China, Fragen des humanitären Völkerrechts, die Ethik der Terrorismusbekämpfung, die Bedeutung der Routine bei Streitkräften in Stabilisierungsoperationen sowie die irregulären Kriege im Grenzgebiet von Kolumbien. Interessant ist auch die Wiedergabe einer Studie der Brookings Institution, die sich mit innovativen Ansätzen der Klimapolitik befasst und jenseits ökonomischer Anreizmechanismen für eine stärker problemorientierte Klimapolitik als einer Aufgabe von strategischer Relevanz befasst.
Die Herausgeber
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Zur Inhaltsübersicht von SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Band 3, Heft 3/2019: https://www.degruyter.com/view/j/sirius.2019.3.issue-3/issue-files/sirius.2019.3.issue-3.xml
Außen- und Sicherheitspolitik
Sammelrezension
Deutsche Russlandpolitik in der Kontroverse. Ansichten über „Russlandversteher“ und „Russlandkritiker“
Welche Haltung sollte Deutschland gegenüber Putins Russland einnehmen? Klaus von Beyme und Ilja Kalinin gehen in ihren Büchern dieser Frage entlang des Konflikts zwischen „Russland-Verstehern“ und „-Kritikern“ nach und sehen sich dabei selbst als „Versteher“ im Sinne von „Erklärern“. Ihre Analysen zeigen allerdings erneut die Schwierigkeit auf, Verständnis von Rechtfertigung und Verteidigung zu trennen.
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